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Science-und Erlebniszentrum in Münchenstein

Zirkulär als Prinzip
Science-und Erlebniszentrum in Münchenstein

Laubengänge, umhüllt von stählernen Profilen ehemaliger Hochspannungsmasten, prägen das Bild eines Neubaus auf dem Gelände des Energieversorgers Primeo nahe Basel. Das gesamte Gebäude ist ein Demonstrationsobjekt für die Potenziale der Kreislaufwirtschaft.

Architektur: Rapp AG

Kritik: Hubertus Adam
Fotos: Beat Ernst

1897 gründete sich die Elektra Birseck Münchenstein (EBM) – mit dem Ziel, das Birseck mit Strom zu versorgen. Dabei handelt es sich um eine Region südlich von Basel, die Gemeinden der Kantone Baselland und Solothurn umfasst. Aus dem regionalen Stromproduzenten ist inzwischen ein global agierender und vernetzter Stromanbieter geworden, der in den Bereichen Energie, Netz, Wärme und erneuerbare Energien tätig ist und seit 2019 unter dem international besser zu vermarktenden Namen Primeo auftritt. Eine Besonderheit des Unternehmens ist die Organisationsform einer Genossenschaft, der heute rund 57 000 Mitglieder angehören. Früher als manche Konkurrenz hat Primeo auf CO2-freie Stromproduktion gesetzt und seine Kundinnen und Kunden überdies zu sparsamer Energieverwendung motiviert. Wichtig ist dem Unternehmen die Kommunikation und Bildungsarbeit – insbesondere auch für Kinder und Jugendliche.

Zu diesem Zweck wurde anlässlich des 100-jährigen Bestehens der Genossenschaft an deren Hauptsitz in Münchenstein in einem historischen Kraftwerksgebäude ein Museum eröffnet, das die Geschichte des Unternehmens und seine Mission dokumentierte. Doch diese eher retrospektive Ausrichtung schien dem Unternehmen nach zwei Dekaden nicht mehr zeitgemäß, sodass man sich im Vorfeld des 125-jährigen Bestehens dazu entschied, die bisherige dokumentarische Ausstellung durch eine komplett neue Präsentation zu ersetzen, welche die Herausforderungen der Energiewende in den Blick rückt.

Die »Energiewende« der Besucherinnen und Besucher beginnt mit immersiven, aufwendig szenografierten Themenräumen im Altbau, der jetzt Erlebnis Center heißt. Nach der etwa 45-minütigen Erlebnisshow verlässt man das Gebäude und setzt die Tour individuell im benachbarten Science Center fort, in dem an 17 Mitmachstationen Phänomene zu Klima- und Energiefragen anschaulich vor Augen geführt werden. Das Science Center ist ein Neubau; Rapp Architekten aus Basel hatten den Studienauftrag gewonnen. Zusammen mit dem im Altbau neu eingerichteten Erlebniscenter wurde das Science Center im Oktober 2022 in Betrieb genommen. Der Primeo Energie Kosmos, so der offizielle Name, ist täglich für Einzelbesucher und Gruppen geöffnet; da die Plätze aber begrenzt sind, bedarf es der Voranmeldung.

Wiederverwendung von Baumaterialien

Da Primeo das Energiethema ganzheitlich versteht, wurde auch der Neubau nach Kriterien der Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft realisiert. Ziel war es, ein möglichst hohes Maß an wiederverwendeten, recycelten und nachwachsenden Materialien oder Rohstoffen zu erzielen. Um lange Transportwege zu vermeiden, sollten diese möglichst regional beschafft werden; wo auf neue Baustoffe zurückgegriffen werden musste, galt es, das Prinzip der Wiederverwertbarkeit zu berücksichtigen und auf hybride Werkstoffe zu verzichten. Begleitet wurde das Bauprojekt vom Schweizer Bundesamt für Energie, das in einer Studie untersucht, wie groß die wirtschaftlichen und nachhaltigen Auswirkungen einer Kreislaufwirtschaft auf den gesamten Lebenszyklus von Bauprojekten sind.

Das dreigeschossige, vom Grundriss her quadratische Gebäude fügt sich in die Volumetrie und Ausrichtung der bestehenden Bauten auf dem etwas versteckt gelegenen Gelände des Unternehmens ein, das nördlich des S-Bahnhofs Münchenstein von der Gleistrasse und dem Lauf der Birs begrenzt wird. Die nutzbare Wasserkraft des Flüsschens war Ende des 19. Jahrhunderts entscheidend für die Wahl des Standorts, der bis heute als Sitz der Hauptverwaltung beibehalten wurde.

Realisiert wurde das neue Gebäude als reiner Holzskelettbau, der allseitig von Laubengängen aus Metall umgeben ist. Diese werden von einem Netz aus expressiv anmutenden Stahlprofilen umhüllt, die aus 19 demontierten Hochspannungs-Gittermasten der Firma Swiss Grid stammen. Diese wurden nicht wie üblich eingeschmolzen, sondern in Einzelteile zerlegt und für die als Rankgerüst dienende Fassade (sowie für die Brüstungen im Inneren) wiederverwendet. Die Strommasten-Teile stabilisieren die äußere Hülle und wirken zusammen mit den Laubengängen und der Bepflanzung als Sonnenschutz. Ursprünglich bestand die Idee, auch das Stahlgerüst der Laubengänge aus dem Material der Strommasten zu errichten, doch da die Laubengänge auch als Fluchtwege dienen, ließ sich dies aufgrund der Sicherheits- und Gewährleistungsbestimmungen nicht umsetzen – nur ein Beispiel dafür, an welche baurechtliche Grenzen die Wiederverwendung von Bauteilen häufig stößt.

Das aus Brettschichtholz erstellte Tragwerk des Gebäudes gliedert sich in vier Quadranten von 7,5 x 7,5 m und ruht auf einer Mittelstütze aus Baubuche. Die Fassadenplatten aus Kompaktlaminat stammen von einer Baustelle in der Nähe von Luzern. Es handelt sich um Abschnitte, also um Restmaterial, das sonst entsorgt worden wäre und das nun, zu Bändern zusammengefügt, die äußere thermische Hülle des Gebäude bildet. Konnte das Material selbst kostengünstig erworben werden, waren Planung und Montage mit einem Mehraufwand verbunden. Anders als bei einem konventionellen Bauprojekt, bei dem zunächst ein Entwurf entwickelt wird, auf dessen Basis dann Baumaterialien beschafft werden, kehrt sich bei der Kreislaufwirtschaft der Prozess um: Erst geht es darum, die Bauteile zu finden, die dann in eine digitale Datenbank eingespeist werden und dann die Detaillierung des Entwurfs bestimmen. Am Ende, so die Erfahrung in Münchenstein, liegen die Gesamtkosten des Gebäudes beim zirkulären Bauen trotz der recycelten Baumaterialien leicht über denen eines konventionellen Neubaus. Mag sein, dass sich das in Zukunft ändert, beispielsweise dann, wenn Datenbanken für wiederverwendbare Bauteile nicht eigens erstellt werden müssen, sondern zum Standard gehören. In der Menschheitsgeschichte war das Wiederverwenden von Material üblich, bis durch eine veränderte Relation zwischen Material- und Arbeitskosten die Wiederverwendung von Bauteilen unökonomisch wurde.

Lebenszyklen verlängern

Beim Science Center von Primeo, das wie ein Pilotprojekt für die Kreislaufwirtschaft zu verstehen ist, zeigt sich, wie weit das Recycling gehen könnte, wenn man denn gewillt ist, sich darauf einzulassen. Die Treppenstufen der Spindeltreppe aus Stahl stammen von der eigenen provisorischen Bautreppe. Teile der Holzdielen wurden einem abgerissenen Bootshaus aus dem Jahr 1911 im benachbarten Kaiseraugst entnommen. Für die Nasszellen wurden Ausstattungsgegenstände wie Waschbecken oder Armaturen aus der Bauteilbörse eingesetzt – es handelt sich um ungenutzte Gegenstände, die als Ersatzteile für eine Liegenschaft parat gehalten wurden; Fliesen wurden als Restposten oder aus Überproduktionen erworben. Auch dieKüche, kaum zehn Jahre alt, wäre ansonsten entsorgt worden. Die Leuchten wiederum waren die Grundbeleuchtung eines Abrissobjekts und wurden für den jetzigen Zweck mit LEDs versehen und somit upgecycelt. Bei der Photovoltaik-Anlage auf dem Dach schließlich wurden ausrangierte Paneele mit neuen Elementen kombiniert.

Erklärt wird das Konzept der Kreislaufwirtschaft in einer überaus informativen Open-Air-Ausstellung auf den Laubengängen des Science Centers. Es geht um Klima & Bau, um Re-Use zur Minimierung grauer Energie und ganz zuoberst um die sieben klimafreundlichen R: Rethink, Refuse, Re-Use, Reduce, Repair, Recycle und Recover. Die Sitzskulpturen wurden aus zerschnittenen Windkraft-Rotorblättern der ersten Generation gefertigt, die als Verbundwerkstoffe nur bedingt recycelfähig sind.

Von hier oben fällt der Blick auf den Vorplatz, der nach einem Konzept von Bryum Landschaftsarchitekten gepflastert ist. 95 % des Baumaterials (beim Gebäude ließ sich nur eine Quote von 70 % samt nachwachsenden Rohstoffen erzielen) sind wiederverwendet. Teils stammt der Belag vom Ort selbst, teils vom Pausenhof eines Schulhauses in Basel, teils aus den nahegelegenen Meriangärten. Mit dem Streifenmuster konnten die nicht im Voraus quantifizierbaren Mengen in ein flexibles gestalterisches Konzept eingebunden werden. Zu Recht hat der Außenraum kurz nach seiner Fertigstellung den Preis des bronzenen Hasen für Landschaftsarchitektur der Zeitschrift Hochparterre erhalten.


Unser Kritiker Hubertus Adam entdeckte in der Outdoor-Ausstellung noch Fakten zum Thema Kreislaufwirtschaft, die ihm vorher nicht bewusst waren.


  • Standort: Weidenstrasse 6, CH-4142 Münchenstein

    Bauherrschaft: EBM Genossenschaft Elektra Birseck Münchenstein, Münchenstein
    Architektur: Rapp AG, Münchenstein
    Projektleitung: Jacek Wieckowicz
    Tragwerksplanung, Generalplanung: Rapp AG, Basel
    Landschaftsarchitektur: Bryum GmbH, Basel
    Forschungspartner: EPFL Structural Xploration Lab, Lausanne
    HLKS-, GA-Planung: Waldhauser+Hermann AG, Münchenstein
    Elektroplanung: Pro Engineering AG, Basel
    Sanitärplanung: Anima Engineering AG, Basel
    Brandschutz-, Akustikplanung: Rapp AG, Basel
    Solarplanung: aventron AG, Zürich
    Ausstellungsplanung: Bellprat Partner AG, Zürich
    BGF: 1 592 m²
    Nutzfläche (netto): 580,48 m²
    Gesamtfläche der PV-Anlage: 234,7 m²
    Stromproduktion der PV-Anlage pro Jahr: 12 808 kWh
    Baukosten: keine Angaben
    Bauzeit: August 2021 bis März 2023

Rapp AG


Jacek Wieckowicz

Architekturstudium an der TH Breslau, Polen, 1994 Diplom, 1993-95 Promotion. 1993-95 wissenschaftliche Assistenz an der TH Breslau. Mitarbeit in verschiedenen Architekturbüros in Polen und Deutschland. Seit 2014 Mitarbeit bei Rapp AG.


Hubertus Adam

Studium der Kunstgeschichte, Archäologie und Philosophie in Heidelberg. Freier Architekturkritiker. 1996- 1998 Redakteur der Bauwelt, 1998-2012 der archithese. 2010-15 Künstlerischer Leiter des SAM in Basel.

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