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Schwachstellen Baumängel

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Schwachstellen Baumängel

Neuere Gerichtsurteile zu Streitigkeiten über Baumängel lassen befürchten, dass die Sphäre der Baurechtsprechung und die Wirklichkeit des praktischen Baugeschehens zunehmend völlig verschiedenen Welten angehören. Die zwangsläufige Kollision beider Sphären im Rechtsstreit hat fatale Folgen für die jeweilig Betroffenen. Wenn dieser Fehlentwicklung entgegengesteuert werden könnte, wäre viel zur Vermeidung unsinniger Rechtsstreitigkeiten erreicht.
Recent legal verdicts in disputes over building defects have led to fears that the spheres of building law adjudication and the practical reality of construction belong more and more to totally different worlds. The inevitable collision of both spheres in legal disputes has drastic consequences for those who are affected. If this undesirable trend could be reversed, many unnecessary building disputes would be avoided.

Eine große Gruppe von gerichtlichen Auseinandersetzungen im Baubereich betrifft reine Mangelstreitigkeiten, ohne dass ein Bauschaden vorliegt oder zu befürchten wäre. Es wird darüber gestritten, ob die errichtete oder gekaufte Immobilie die vertraglich vereinbarte Beschaffenheit aufweist und wie Abweichungen zu be-werten sind. Angesichts einer zunehmenden Tendenz, selbst über marginale Vertragsverletzungen ausgiebig zu prozessieren, sind solche Streitigkeiten – aus Distanz und mit Vernunft betrachtet – in vielen Fällen höchst überflüssig.
Das Problem ist jedoch brisant, da solche Auseinandersetzungen vermehrt zum Anlass genommen werden, Zahlungen zurückzuhalten. Insolvenzen seriöser Unter-nehmen sind die Folge. Ein Techniker kann viele Gerichtsentscheidungen zu diesem Problemfeld häufig nur als »bizarr« bezeichnen. Es besteht allerdings kein Anlass, als Bausachverständiger selbstgerecht Urteile anzuprangern. Wie auch die im Folgenden diskutierten Fälle zeigen, sind manche Entscheidungen nur deshalb bautechnisch grotesk, weil vieles darauf hindeutet, dass die hinzugezogenen Sachverständigen ihre Aufgabe nicht voll erfüllt haben. Hier soll versucht werden, sowohl dem Juristen die Situation des Planers als auch dem Planer die Denkweise des Juristen näher zu bringen, um so dazu beizutragen, dass die aufklaffende Lücke zwischen Rechtstheorie und Bauwirklichkeit geschlossen wird.
Wohngebäude entstehen heute überwiegend durch Baubetreuer und – noch häufiger – durch Bauträger. Der Bauherr beziehungsweise der Erwerber ist nur noch sehr begrenzt oder gar nicht in die einzelnen Schritte der Errichtung des Gebäudes eingebunden. Er kauft meist eine »schlüsselfertige« Immobilie. Die vertraglich geschuldete Beschaffenheit solcher Objekte wird in der Regel durch eine Baubeschreibung und Bauantragspläne definiert, die Bestandteil des Baubetreuungs- oder Kaufvertrages sind. Es sollte durch eine möglichst unmissverständliche Vereinbarung bei Vertragsabschluss vermieden werden, dass später über die vereinbarte Beschaffenheit des Bauwerks gestritten wird. Es geht also darum, hinreichend genau zu definieren, wie das Objekt beschaffen sein soll. Abweichungen von diesem Sollzustand sind nämlich gemäß § 633 BGB grundsätzlich als Mängel zu bezeichnen.
Der Bedarf nach genaueren Angaben in der Baubeschreibung besteht grundsätzlich in drei Situationen: – Genauere Angaben sind notwendig, wenn die übliche Beschaffenheit oder die gewöhnliche Verwendung erfahrungsgemäß umstritten ist und wenn auch die dazu vorliegenden Regelwerke ungenau oder ebenfalls umstritten sind. – Weiterhin besteht Bedarf an einer Festlegung, wenn im Hinblick auf die Bauteileigenschaften unterschiedliche Qualitätsniveaus üblich sind. – Schließlich sind im Hinblick auf Ausstattungsdetails, die nicht durch Regelwerke definiert sind, und immer dann, wenn ganz spezielle Eigenschaften unbedingt gewünscht werden, genauere vertragliche Festlegungen notwendig.
Man könnte auf dem Standpunkt stehen, dass Streitigkeiten am besten vermieden werden, indem sämtliche Bauleistungen in der Baubeschreibung möglichst genau in allen Einzelheiten aufgelistet werden. Baubeschreibungsmuster der Verbraucherberatungen legen zum Beispiel privaten Bauherren nahe, sehr detaillierte Beschreibungen zu fordern. Leider wird damit eher der Streit intensiviert. Darauf wurde in »Schwachstellen« db 1/2005 bereits hingewiesen.

Fallbeispiel 1 Folgende Entscheidung des OLG Bamberg (4 U 283/01 vom 29.7.02) illustriert typisch die dann auftretenden Probleme: Die Wohnungstrennwand einer Eigentumswohnung war in der Baubeschreibung zum Bauträgervertrag ohne nähere Angaben zur schalltechnischen Leistungsfähigkeit als 20,5 cm dicke Gipskartonständerwand angegeben, dann aber nur 15,5 cm dick ausgeführt worden. Dies wurde vom Eigentümer bemängelt.
Das OLG diskutiert nicht die Frage, ob die 5 cm dünnere Wand nicht vielleicht andere Konstruktionsmerkmale besitzt und daher gegebenenfalls gleichwertig oder sogar besser als die geplante Wand ist, sondern leitet allein aus der Tatsache der um 5 cm geringeren Dicke einen zu beseitigenden Mangel ab. Der Wert der Wohnung sei gemindert, da beim Wiederverkauf für eine Wohnung mit dünnerer Wohnungstrennwand ein geringerer Kaufpreis gezahlt würde (es ging hier um einen Betrag von rund 33 000 DM).
Einem Bautechniker sträuben sich bei einem solchen Urteil die Haare, da eine 20,5 cm dicke Gipskartonständerwand je nach Art der Konstruktion einen deutlichen schlechteren Schallschutz als eine 15,5 cm dicke Wand haben kann. Die Datenblätter der Gipskartonwandsystem-Hersteller zeigen zum Beispiel, dass eine Doppelständerwand aus Gipskartonmassivbauplatten mit einem Ständerabstand von 100 cm bei 20,5 cm Dicke ein Schallschutzmaß Rw,R von 55 dB erreicht, während ein ähnliches Metalldoppelständerwerk mit 62,5 cm Ständerabstand, zweilagig beplankt, bei einer Wandgesamtdicke von 15,5 cm das bessere Schallschutzmaß Rw,R von 59 dB erzielt. Beide Varianten erfüllen (in Abhängigkeit vom resultierenden Schalllängsdämmmaß der flankierenden Bauteile) die Anforderungen an einen erhöhten Schallschutz von Wohnungstrennwänden. Der Dickenunterschied zwischen den beiden Wänden besteht im Wesentlichen darin, dass sich bei der vertraglich vereinbarten Version eine 5 cm dicke Luftschicht nicht nutzbar zwischen zwei Gipskartonschalen befindet, während die Luftschicht in der geänderten, vom Gericht bemängelten Variante als 5 cm breiter, nutzbarer Innenraum zur Verfügung steht. Kann ein Besteller eine ernsthaftes Interesse an der Beseitigung dieses »Mangels« haben? Würde ein Käufer, über diesen Sachverhalt sachkundig aufgeklärt, für die anders konstruierte, dünnere Wand tatsächlich 33 000 DM weniger zahlen? Es ist daher zu befürchten, dass der bei diesem Streitfall hinzugezogene Sachverständige dem Gericht nicht hinreichend klar gemacht hat, dass bei 5 cm dickeren Ständerwänden im Wesentlichen der Schalenabstand vergrößert wird. Der schalltechnische Vorteil eines größeren Abstands kann aber bei dünneren Wänden durch verschiedene Maßnahmen kompensiert oder gar übertroffen werden. Vielleicht ist der Sachverständige aber nach diesem Aspekt auch gar nicht gefragt worden. Im vorliegenden Fall wäre es wesentlich besser gewesen, im Vertrag nicht die Dicke der Wand anzugeben, sondern nur die für Wohnungstrennwände wesentlichen Eigenschaften: den Schallschutzstandard und die Bauart. Es gibt eine große Zahl von Streitigkeiten, bei denen es um solche, aus technischer Sicht marginale Abweichungen geht. Volkswirtschaftlich sind solche Streitigkeiten völlig unproduktiv. Baubeschreibungen mit genauen Angaben zu unwesentlichen Merkmalen erzeugen also unnötig Streit über die Bedeutung von Abweichungen. Wie aus der folgenden Passage der Urteilsbegründung desselben Falls deutlich wird, besteht bei den Gerichten ganz offensichtlich ein tiefes Missverständnis über die Mechanismen des tatsächlichen Planungs- und Bauablaufs. In der Begründung heißt es nämlich: »Der auf Seiten der Klägerin tätig gewesene Architekt hat hier entweder vorsätzlich angeordnet, dass die Wohnungstrennwand schwächer als vereinbart ausgeführt wird oder er hat dies in Folge grober Fahrlässigkeit übersehen.« Diese Formulierung ist sehr denk- und diskussionswürdig. Bei der großen Vielzahl der von mittelständischen Unternehmen errichteten, dem jeweiligen Standort möglichst maßgeschneidert angepassten Einfamilienhäuser und Eigentumswohnungen handelt es sich mehr oder minder um Unikate. Beim Kaufvertragsabschluss sind die Objekte in der Regel noch nicht realisiert. Auch die Projektierung befindet sich dann erst im Stadium der Entwurfs- und Genehmigungsplanung. Sie ist lediglich so weit fortgeschritten, dass die Baugenehmigung erteilt werden kann. Es ist übliche und notwendige Planungspraxis, dass der zunächst für den Bauantrag und den Verkauf fixierte Entwurf nicht absolut deckungsgleich realisiert wird. Er wird vielmehr in mehreren Schritten konkretisiert: durch die Ausführungsplanung mit den flankierenden Planungen und Berechnungen der Fachingenieure, die Ausschreibung und die Vergabe. Auch während der Ausführung selbst sind häufig noch Entscheidungen zu treffen. All diese Arbeitsprozesse haben aus vielerlei Gründen Rückwirkungen auf den ursprünglichen Entwurf. Dazu einige typische Beispiele: – Bei der statischen Durcharbeitung wird erkennbar, dass die Decken 3 cm dicker als im Entwurf vorgesehen hergestellt werden müssen – die lichte Raumhöhe muss um 3 cm reduziert werden. – Der Bauphysiker stellt fest, dass, aufgrund der Wärmebrückenwirkung der Anker einer geplanten Vorhangfassade, der erforderliche Wärmeschutz der Außenwände bei gleicher Bauteildicke nur durch Wechsel des ursprünglich vorgesehenen Dämmstoffmaterials erreichbar ist. – Der mit der Ausführung beauftragte Bauunternehmer schlägt wegen der rationelleren Herstellung anstelle der geplanten reinen Ortbetondecken Teilortbetondecken mit Sichtbetonschalelementen (Filigrandecken) vor. Anstelle des ursprünglich geplanten Deckenputzes reicht dann bei gleicher Oberflächenqualität eine Spachtelung. – Der Bauwerksabdichter schlägt vor, angesichts der Witterungsbedingungen auf der Baustelle die Kellerwände nicht – wie ursprünglich ausgeschrieben – mit spachtelbaren Abdichtungen, sondern mit einer Bahnenabdichtung zu versehen. – Der Trockenbauer legt in einem Alternativangebot dar, dass bei Verwendung neuartiger Gipskartonplatten mit 15,5 cm dicken Ständerwänden mit geringen Mehrkosten ein gleicher oder besserer Luftschallschutz erreicht werden kann als mit den projektierten 20,5 cm dicken Wänden. Die Mehrkosten würden durch den Gewinn an Nutzfläche deutlich kompensiert. – Der Estrichleger weist darauf hin, dass der Bauzeitenplan nur einzuhalten ist, wenn anstelle des geplanten Zementestrichs ein Calziumsulfatestrich eingebaut wird. Der Prozesscharakter einer Objektplanung kann an den in § 15 HOAI dargestellten Leistungsbildern nachvollzogen werden, wobei es nicht der Realität entspricht, dass am Ende der Entwurfsplanung – wie die HOAI formuliert – die Planungsaufgabe bereits in allen Details »endgültig« gelöst ist. Es ist sogar Pflicht des Planers, im fortschreitenden Planungsprozess rückkoppelnd Korrekturen am Entwurf vorzunehmen. So hat mir vor kurzem ein Rechtsstreit vorgelegen, in dem die Bauherren den Planern die Schlusszahlung des Honorars mit dem Argument vorenthielten, die tragenden Mauerwerkswände einer kleineren Seniorenwohnanlage seien mit 20 cm zwar gemäß Bauantrag, aber zu dick ausgeführt worden. Eine genaue statische Überprüfung habe ergeben, dass 17,5 cm dicke Wände ausgereicht hätten. Man habe Baumaterial verschwendet und Nutzfläche verschenkt. Für den Planer, der ein Projekt ersonnen und zu Papier gebracht hat, ist es selbstverständlich, dass mit der vertieften Einarbeitung in die Details das ursprünglich Konzipierte korrigiert und modifiziert werden muss. Der gesamte Entwurfsprozess besteht wesentlich aus solchen rückgekoppelten Denk- und Entscheidungsschritten. Es macht die Erfahrung eines guten Planers aus, bereits im Entwurfsstadium eine in allen wesentlichen Merkmalen nicht mehr entscheidend korrekturbedürftige Lösung vorlegen zu können. Solche Entwürfe können allerdings nichts Innovatives wagen. Dass zum Zeitpunkt der Entwurfs- und Genehmigungsplanung das Gebäude noch nicht in allen Punkten zu Ende geplant sein kann, ergibt sich eigentlich bereits aus den gezahlten Honoraranteilen. Am Ende der Genehmigungsplanung sind erst 27 % der vollständigen Objektplanung erbracht. Weiterhin ist es grundsätzlich wünschenswert, dass im Rah
Fallbeispiel 2 Ein Bauträger hatte die »umfassende Modernisierung und Renovierung« eines Altbaus in erforderlichem Umfang vertraglich versprochen; bei den einzelnen Beschreibungen der Maßnahmen aber nicht erwähnt, dass keine Instandsetzung des feuchten Kellers vorgesehen war. Das OLG München und der BGH entschieden, dass bei einer derartigen allgemeinen, umfassenden Verpflichtung der Besteller erwarten kann, dass auch der Keller instand gesetzt wird. Hier hätte also in der Baubeschreibung die Instandsetzung des Kellers ausdrücklich ausgeklammert werden müssen und es hätte nicht von einer »umfassenden Renovierung« gesprochen werden dürfen. Bei der Formulierung von Baubeschreibungen ist demnach zur Streitvermeidung der richtige Mittelweg zwischen einer zu genauen und einer zu ungenauen Beschreibung zu suchen (siehe dazu db 1/2005). Unklare Baubeschreibungen widersprechen im Übrigen dem Transparenzgebot, wie es in der neuen Fassung des BGB in § 307, Abs. 1, infolge der Richtlinie 93/13 EWG des Rates über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen vom 5. 4.1993 gefordert wird. Bei missverständlichen und offenen Fragen zur Bauqualität orientiert sich die BGH-Rechtsprechung daher an den Vorstellungen des Erwerbers. Es ist insofern auch im Interesse der Baubeteiligten, unmissverständliche Festlegungen zur Bauqualität zu treffen. Prinzipiell ist es sinnvoll, dem Anbieter Wahlmöglichkeiten zur Realisation von Bauaufgaben zu lassen – die Baubeschreibung sollte insofern offen für »gleichwertige« Alternativlösungen sein. Über die »Gleichwertigkeit« wird allerdings häufig gestritten. Die Zusätze in Baubeschreibungen »Produkt X oder gleichwertig«, »Technische und behördliche Änderungen bleiben vorbehalten und dürfen nur gleich- oder höherwertig sein« oder »Gleichwertige oder wertsteigernde Maßnahmen werden auf Kosten des Bauträgers durchgeführt«, geben spätestens dann Anlass zu Streitigkeiten, wenn beim Einbau von Alternativprodukten oder anderweitigen Änderungen der Erwerber der Meinung ist, dass das Ergebnis nicht gleichwertig und damit nicht vertragsgemäß ist.
Fallbeispiel 3 Neuerdings ist durch ein BGH-Urteil (VII ZR 200/04 vom 23.6.2005) klargestellt worden, dass folgende Formulierung unwirksam ist: »Grundlage der Bauausführung ist die Baubeschreibung. Änderungen der Bauausführung, der Material- bzw. Baustoffauswahl, soweit sie gleichwertig sind, bleiben vorbehalten.« Der BGH stellt klar, dass Abweichungen von der Baubeschreibung nur aus triftigem Grund zulässig sind. Wirtschaftliche Interessen des Bauträgers werden dabei nicht als »triftiger« Grund angesehen. Es ging bei der Entscheidung um folgenden Fall: Ein Bauträger baute im Rahmen einer Altbausanierung andere als in der Baubeschreibung genannte Fenster ein. Er berief sich auf die oben zitierte Vertragsklausel. Der BGH entschied, dass kein triftiger Grund zur Änderung vorlag und daher die vertraglich beschriebenen Fenster eingebaut werden müssen (Streitwert etwa 32 000 Euro). Von Gregor Basty (IRB 200509) wird abgeleitet, dass Vertragspassagen unwirksam sind, in denen »gleichwertige Lösungen« als vertragskonform definiert werden. Wenn es bei Produktnennungen nicht darum geht, dass ausdrücklich genau dieses Produkt und kein anderes auszuführen ist, sondern die Produktangabe nur zur Definition eines Standards verwendet werden soll, so müsste dies in Zukunft bereits schon aus dem Baubeschreibungstext deutlich ablesbar sein. Basty schlägt daher beispielsweise folgende Formulierung vor: »Die Fenster werden entsprechend den Merkmalen des Produkts XY ausgeführt.« Dann wird klar, dass es nicht um das Produkt selbst, sondern um die durch die Produktbezeichnung definierten Merkmale geht. So wird dann wohl die BGH-Rechtssprechung zu einer Verkomplizierung und schlechteren Lesbarkeit von Baubeschreibungen führen, wenn durchgängig nach dem oben angegebenen Muster formuliert werden muss, um rechtlich unmissverständlich einen Sachverhalt zum Ausdruck zu bringen, der mit der Formulierung »oder gleichwertig« auch schon gemeint ist. Nach genauerer Lektüre des Urteils ist es für einen mit der Altbauinstandsetzung vertrauten Sachverständigen aber schwer verständlich, warum dieser Fall zum Anlass genommen wurde, durch ein BGH-Urteil die Bedingungen für die Zulässigkeit gleichwertiger Lösungen einzuschränken. In diesem Fall hatte nämlich die Baubeschreibung vorgegeben, dass im Treppenhaus der Gebäude im Rahmen der Instandsetzung neue zweiflüglige Fenster mit Kreuzstock eingebaut werden sollen. Tatsächlich wurden zunächst gar keine neuen Fenster eingebaut, dann – nach Kritik durch die Eigentümer und den eingeschalteten Schiedsgutachter – neue, einflüglige Fenster ohne Kreuzstock realisiert. Der Schiedsgutachter beurteilte diese Lösung als »gleichwertig« und damit vertragsgemäß. Diese Beurteilung macht sprachlos. Ist es nicht völlig eindeutig, dass in einem historischen Altbau ein zweiflügliges Kreuzstockfenster und ein einflügliges Fenster ohne Kreuzstock in Funktion und Erscheinungsbild völlig verschiedene Bauleistungen sind und insofern aus technischer Sicht von einer »Gleichwertigkeit« der Varianten überhaupt nicht die Rede sein kann? Es bleibt die Vermutung, dass der BGH mit seiner Entscheidung letztlich eine Fehlbegutachtung korrigiert hat. Selbst wenn man in Zukunft zur Vermeidung von Missverständnissen Formulierungen wählt, wie sie von Basty vorgeschlagen wurden, wird es im Endeffekt im Streitfall doch darum gehen, ob die schließlich gewählte Variante tatsächlich dem im Bauvertrag angegebenen Produkt »gleichwertig« ist. Die Frage, wann »Gleichwertigkeit« vorliegt, ist im Einzelfall häufig schwer zu beantworten, da der »Wert« einer Sache aus einer Vielzahl von Eigenschaften bestehen kann, deren Gewichtung zum Teil subjektiv bleiben muss. Sicher ist, dass im Regelfall mit »gleichwertig« nicht in erster Linie der gleiche Warenwert gemeint ist. Der Preis der Produkte spielt bei der Beurteilung der Gleichwertigkeit daher nicht die entscheidende Rolle, sofern nicht – wie dies etwa bei Bodenbelägen häufig der Fall ist – eine Preisangabe zur Definition der Qualität dient. Im Einzelfall ist es bei Streit Aufgabe eines Sachverständigen, mit beispielsweise einer Nutzwertanalyse das Gleichwertigkeitsproblem zu lösen. Angesichts der dargestellten Entwicklungen in der Rechtsprechung trauert man dem alten § 633 BGB nach und bewundert die Weisheit der damaligen Gesetzgeber und ihrer juristischen Berater. Neben einiger, bewusst und ausdrücklich zugesicherter, besonderer Eigenschaften galt die Gebrauchstauglichkeit als Maßstab für eine mangelfreie Werkleistung. Aus diesem Denkansatz sprach Lebenserfahrung mit den Schwierigkeiten und Unvorhersehbarkeiten handwerklicher Tätigkeiten. Natürlich spiegelten sich darin auch Lebensumstände wider, in denen nicht von der jederzeitigen, freien Verfügbarkeit von Werkstoffen auszugehen war und in denen kluge Improvisation noch positiv eingeschätzt wurde. Das Auseinanderdriften von Positionen ist ein relativer Tatbestand. Wer beharrt dabei auf seine Position und wer ist insofern für das Aufklaffen der Schere verantwortlich? Aus den Begründungen höchstrichterlicher Entscheidungen ist ablesbar, dass offenbar einem zunehmenden Verfall der Vertragstreue streng entgegengesteuert werden soll. Aus den dargestellten Gründen habe ich allerdings den Eindruck, dass sich die Baurechtsprechung immer mehr von einer nicht entscheidend geänderten Bauwirklichkeit entfernt. Wie ich schon im Vorwort des Buches »Hinzunehmende Unregelmäßigkeiten« vermerkt habe, ist die Interpretation neuer Gesetze ein gesellschaftlicher Prozess, den die Betroffenen nicht stumm über sich ergehen lassen sollten. Die derzeitige Entwicklung muss dringend überdacht werden! Sie ist nicht nur reif für eine intensive, interdisziplinäre Diskussion, sondern reif für eine parlamentarische Debatte. R. O.
Literatur- und Quellennachweis: – Weymann, Christoph u. a.: Muster-Baubeschreibung. Formular zum richtigen Hausbau, Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände e.V., AgV, Bonn, 2000 (aus dieser Broschüre ist Abbildung 2 entnommen) – Oswald, Rainer, Klaus Wacinski u. a.: Inhalt von Baubeschreibungen, Irb-Verlag , Stuttgart, 2004 – Oswald, Rainer: Schwachstellen – Über die notwendige Ungenauigkeit von Baube-schreibungen. In: db 1/2005, S. 68 ff. – Oswald, Rainer und Ruth Abel: Hinzunehmende Unregelmäßigkeiten bei Gebäuden, Vieweg Verlag, Wiesbaden, 2005 – Thode, Reinhold: Transparenzgebot und Bauträgervertrag – Baubeschreibung und Vergütung, ZNotP4/2004 – Abbildung 1 wurde den Produktinformationen Knauf Wände – Schallschutz, Empfehlungen, Berechnungsverfahren, Januar 2002, entnommen. Die drei genauer angesprochenen Urteile wurden in der Zeitschrift IBR, Immobilien und Baurecht, Juni 2003 (Trennwandfall), April 2002 (Kellersanierung) und September 2005 (Altbaufensteraustausch) kommentiert. Nebenbei sei angemerkt, dass es beim Fensteraustauschfall vermutlich nicht um einen »Kreuzstock« ging – dies ist ein aus Stein gemauertes Fensterkreuz – sondern wohl um ein Fenster mit hölzernem Mittelpfosten und Kämpfer. Die Urteilsvolltexte sind über www.ibr-online.de erhältlich.
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