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Plädoyer für Qualität und Quantität

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Plädoyer für Qualität und Quantität

Kinder und die öffentliche Kindertagesbetreuung sind im Superwahljahr 2009 in aller Munde. Nachmittagsbetreuung in offenen Ganztagsschulen oder die frühkindliche Förderung: Längst erscheint es politisch schick, diese und ähnliche Forderungen in Wahlprogrammen zu begehren. Auch bei Experten steht der Elementarbereich im Mittelpunkt der Diskussionen. Um die Architektur, die für die verschiedenen Aktivitäten von Kindern den räumlichen Rahmen bereitstellt, geht es jedoch fast nie. Dabei ist dieser Aspekt von besonderer Bedeutung für die umfangreichen Aufgaben, die moderne Kindertageseinrichtungen erfüllen sollen.

Text: Andrea Petmecky

Vergleicht man neue Kindertageseinrichtungen mit solchen aus den 70er Jahren, so sind Unterschiede im Innen- wie Außenbereich augenfällig. Von Außen fällt heute eine eher offene, das Umfeld einbeziehende Gestaltung auf, während ältere Kindertageseinrichtungen den Innenbereich stärker fokussieren. Auch dort hat sich in den letzten 40 Jahren einiges verändert: Starre Gruppenkonzepte werden in räumlicher Hinsicht zunehmend aufgeweicht und eine wachsende Anzahl von Aktivitäten findet gruppenübergreifend statt. Ursprünglich war der Gruppenraum das Zentrum aller Aktivitäten – hier wurde gespielt, gegessen, gebastelt, geschlafen. Neuere Einrichtungen fallen durch eine großzügigere Raumgestaltung auf: Es gibt gruppenübergreifend genutzte Mehrzweckhallen für Bewegungsaktivitäten, Ateliers für Werkprojekte und großzügig gestaltete Flur- bzw. Eingangsbereiche, die ausdrücklich auch als Spielorte konzipiert sind. Für die Pädagogen in den Betreuungseinrichtungen bedeutet diese Gliederung in Funktionsbereiche mehr Flexibilität, da die einzelnen Bereiche parallel von verschiedenen (Klein-)Gruppen genutzt werden können. Die Veränderungen bei der räumlichen Gestaltung liegen u. a. daran, dass die kindliche Entwicklung zunehmend als individuell und stärker selbst gesteuert betrachtet wird, anstatt anzunehmen, dass sie sich an streng chronologisch geordnete Schemen hält. Außerdem führen die wachsenden Erwartungen an Kindertagesstätten als Bildungseinrichtungen zu einem zusätzlichen und differenzierteren Raumbedarf. Und nicht zuletzt kommt es auch durch die Heterogenität bei den pädagogischen Konzepten, die jeweils individuelle Schwerpunkte formulieren – z. B. integrative Einrichtungen, Waldorf-Pädagogik, Reggio-Pädagogik, Bewegungskindergärten – zu speziellen Anforderungen an die Architektur und Raumgestaltung.
Eine flexible Gestaltung kann sich auch für das Gesamtkonzept einer Tageseinrichtung auszahlen – warum sollten bei zurückgehenden Belegungszahlen nicht Teile für Kulturveranstaltungen oder familienbezogene Dienstleistungen genutzt werden? Diese Form einer nachhaltigen Nutzung kann die öffentlichen Träger bei den Unterhaltskosten entlasten und bietet die Chance, Kindertageseinrichtungen zu einem zentralen Ort im Stadtteil zu machen.
Architektur als Identifikation
Doch wie sollte eine Architektur für Kinder und die erwachsenen Nutzer aussehen? Eine mit Blick auf die künftigen Nutzer entwickelte, respektvolle Architektur ist vielfältig und lässt eigene Deutungen zu, anstatt fertige Bilder vorzugeben. Die architektonische Gestaltung sollte individuelle Identifikationsmerkmale für die Nutzer anbieten. Im Übrigen darf sie durchaus mutig und »anders« sein als die gebauten Umwelten, mit denen Kinder sonst Kontakt haben, denn es geht nicht darum, ein »Ersatz-Zuhause« zu schaffen. Natürlich ist es unerlässlich, den Kindern Geborgenheit zu geben; es bietet sich aber auch die Chance, Kinder mit einer räumlichen Gestaltung zu konfrontieren, die sich von ihrem Zuhause deutlich unterscheidet, z. B. durch Maßstäblichkeit, Farb- und Raumkonzepte, Sichtbeziehungen sowie Materialität.
Eine Frage der Perspektive
Häufig jedoch sind es gerade die aus gestalterischer Sicht besonders gelungenen Kindertageseinrichtungen, die von den erwachsenen Nutzern negativ bewertet und weniger stark angeeignet werden. Ursache für diese Schwierigkeiten zwischen Architekten und Pädagogen sind die unterschiedlichen Perspektiven bei der Wahrnehmung und Wertschätzung gebauter Umwelt. Die von Planern gelobte »großzügige Eingangshalle mit vielfältigen Sichtbeziehungen« wird von den Erziehenden schnell als Platzverschwendung und Sicherheitsgefährdung kritisiert. Die Besonderheiten der architektonischen Gestaltung bzw. die Planungsüberlegungen der Architekten werden von Pädagogen oft gar nicht wahrgenommen. Was fehlt, ist ein Dialog zwischen den Experten für Gestaltung und den Nutzungsexperten (und dazu gehören auch die Kinder!). In gemeinsamen Rundgängen durch Gebäude könnten Architekten den Nutzern ihre Planungsüberlegungen und die zentralen Elemente des Entwurfs erläutern, um die Identifikation mit dem Gebäude zu erhöhen und einen Dialog über gebaute Umwelt anzuregen. Kinder übrigens zeigen sich für zeitgenössische Architektur viel offener: Im Vergleich zu den erwachsenen Nutzern haben sie kaum Berührungsängste und nehmen die Architektur oft genauer wahr als ihre Erzieher!
Es geht um mehr …
Aber ist es nicht geradezu vermessen, angesichts regional immer noch unzureichender Betreuungskapazitäten und einer Diskussion von ambitionierten Tageseinrichtungen nun auch noch implizit Gebäude zu fordern, die aus der Perspektive von Experten »architektonisch besonders gelungen« sind? Nein, ist es nicht, denn es geht um mehr: Die Frage ist nicht, ob man die Quantität über die Qualität stellen sollte oder umgekehrt, sondern wie man bei künftigen Planungen die Quantität mit der Qualität verbinden kann. Der Dialog mit den Nutzern und eine systematische Evaluation von neuen, aber bereits genutzten Kindertageseinrichtungen könnten helfen, die beschriebenen Schwierigkeiten zwischen Planern und Nutzern zu überwinden. •
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