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… in die Jahre gekommen – Rischarts Backhaus

Rischarts Backhaus, München, 1983
… in die Jahre gekommen – Rischarts Backhaus

Mitten in einem Wohngebiet mit gewerblich genutzten Hinterhöfen eine Großbäckerei zu errichten, zeugte von unternehme- rischem Mut. Das Konzept ist aufgegangen. Auch als veränderte logistische und unternehmerische Ausrichtungen Anpassungen erforderlich machten, die Architektur des Glashauses im Hinterhof der Buttermelcherstraße hat sich bewährt. Constructing a large bakery in the middle of a residential area with rear yards used for commercial purposes demonstrated entrepreneurial boldness. The concept has succeeded. Even as changing logistic and corporate orientation have necessitated adjustments, the architecture of the glasshouse behind Buttermelcherstrasse has stood the test of time.

Text: Ira Mazzoni

Fotos: Verena von Gagern, Kiessler + Partner, Sigrid Neubert, Helke Rodemeier, Leandro Mazzoni (neu)
»Kein Bauwerk hat uns mehr Preise gebracht als Rischarts Backhaus«, resümiert Architekt Hermann Schultz, damals wie heute Büropartner von Uwe Kiessler. Der BDA Bayern lobte die leichte Hinterhofbebauung 1983 als »Bekenntnis zur Lebendigkeit der Stadt und zur Befriedung ihrer Gegensätze«. Selbstverständlich war die neue Shedhalle den Preis des Deutschen Stahlbaus 1984 wert. Auch er zeichnete die Entscheidung des Bauherrn Müller-Rischart aus, seine neue Bäckerei mitten in der Stadt und nicht auf der grünen Wiese anzusiedeln: »Ein zweiter Hinterhof – dunkel und von Brandwänden umgeben, von allen Seiten ›Rückseite‹ – wurde gelichtet, ein Hinterhaus saniert«, kennzeichnete die Jury die außergewöhnliche Situation. Im selben Jahr gab es dann noch eine Anerkennung im Rahmen des Mies van der Rohe Preises. Bei der Ausstellung der Bundesarchitektenkammer »Lebensraum Stadt« gehörte die gläserne Bäckerei 1985 zu den prominenten Beispielen. Heute fehlt das versteckte Bauwerk in keinem Architekturführer Münchens und Bayerns und ist aktueller denn je. Denn die Ansiedlung von Gewerbe am Rande der Stadt hält unvermindert an; produzierende Betriebe mitten in gewachsenen Wohngebieten sind rar.
Die Zeit scheint an Rischarts Backhaus fast spurlos vorbeigegangen zu sein, und doch ist der Betrieb ein anderer, größerer. Der Umsatz habe sich in den letzten 25 Jahren mehr als vervierfacht, bilanziert Gerhard Müller-Rischart. Zehn Filialen müssen beliefert werden. Das Verhältnis zwischen Bäckerei und Konditorei habe sich verschoben. Neue Produkte wie Speiseeis und Sandwiches seien hinzugekommen. Ende der neunziger Jahre waren daher eine Modernisierung der Kühlung sowie der Ausbau von Produktion und Lager unumgänglich. Das Büro Link schuf mit einem schmalen Durchbruch zum Rückgebäude des Nachbarn eine kaum merkliche Erweiterung, die ganz dem Stil Kiesslers verpflichtet blieb. Doch jetzt sind die engen Grenzen ausgeschöpft. Nur eine flexible Arbeitszeitreglung und die Optimierung des Produktionsablaufs erlauben Zuwachs im limitierten Bereich. Ab 2007 beginnt eine weitere, mit den Bäckern eng abgestimmte architektonische Umstrukturierung der Anlieferung unter Leitung von Markus Link.
Bereut hat Müller-Rischart seine Entscheidung nie, eine moderne Bäckerei im dichten Gärtnerplatz-Viertel bauen zu lassen. »Unser Hauptgeschäft am Marienplatz beliefern wir sechs Mal am Tag, das wäre vom Stadtrand aus nicht zu schaffen.«
1980 hatte das Gärtnerplatzviertel, ein spekulatives Stadtentwicklungsprojekt der 1860er Jahre, noch vorwiegend kleinbürgerlichen Charakter. In dem großen Karree zwischen Cornelius-, Klenze-, Buttermelcher- und Baaderstraße gab es hinter der hohen Wohnhaus-Blockrandbebauung große Grundstücke mit gewerblicher Nutzung. Die Buttermelcherstraße 16 gehörte einer Tresor-Schlosserei mit einer Stockwerksfabrik aus dem späten 19. Jahrhundert im ersten Hinterhof und einer Shedhalle im zweiten Hinterhof; eingespannt zwischen den Rückwänden und Hofmauern der Nachbarn. Als Müller-Rischart das Grundstück entdeckte, dachte er erst an Abriss der Rückgebäude. Durch Zufall lernte er den Architekten Uwe Kiessler kennen, der zu Umbau und Sanierung der Stockwerksfabrik riet und die neue Bäckerei genau in der Baulücke implantieren wollte, die durch Abtrag der verfallenen Shedhalle entstand.
Ganz einfach war die Baustelleneinrichtung nicht. Zwar hatte das Vorderhaus bereits eine hohe, auch für die Feuerwehr taugliche Durchfahrt, aber der zweite Hinterhof war abgeriegelt. So wurde der Baukran in die für den Tiefgaragenbau ausgehobene Baugrube im ersten Hof gestellt. Alle Bauteile mussten mit dem Kran über den First der dreistöckigen Stockwerksfabrik gehievt werden.
Die neue, 800 Quadratmeter große Shedhalle aus verzinkten Stahlrahmen mit Dreifach-Isolierverglasung nutzt jeden Winkel und alle vorhandenen Rückwände der angrenzenden Hofbebauungen. Zwei Stahlfachwerkträger überspannen die Halle: Der stützenfreie Raum sollte auch für eventuelle Nachnutzungen frei disponibel bleiben. Ursprünglich war die Glasfassade parallel zum sanierten Rückgebäude geplant. Doch dann gab es Einwände der Baubehörden: Die Abstandsflächen seien zu gering. Also kam es zum Kompromiss mit reizvollen Verschneidungen: Die Traufe fällt zur Mitte der Fassade ab, während die Außenwände schräg nach vorne gezogen sind, um genügend Raumtiefe für den zentralen Ofenblock zu gewinnen. So wird die Bauhöhe proportional zur Abstandsfläche minimiert. Am niedrigsten Punkt der Traufe und in kürzester Ent- fernung zum historischen Rückgebäude dockt der trichterförmige Glasgang an. So sind beidseits dieses Verbindungsglieds zwei intime trapezförmige Gärten entstanden, die Gartenarchitekt Günter Grzimek mit wenigen Bodendeckern und Bäumen in eine wohltuende Pausenoase verwandelte, die auch ausgewachsen ihren Charme bewahrt hat.
»Schlichtheit ist nicht einfach herzustellen«, sinniert Müller-Rischart. Sein Backhaus ist mehr als schlicht, es ist robust und klar. Trotz des verzwackten Grundstücks gibt es in keiner Ecke Kleinliches. Verzinktes Tragwerk, Bleche, Glas und Edelstahl bestimmen die Ästhetik. Böden aus ziegelroten Kacheln durchziehen alle Arbeitsbereiche und werden im gemauerten Schreibtischblock des Chefs und dem Kantinentresen als Zitat aufgenommen. Architektur stiftet hier auch Gemeinschaft.
Kernstück des Backhauses ist nach wie vor der Ofenblock, der Bäckerei und Konditorei separiert. Kiessler hat die kompakte Edelstahl-Anlage wesentlich mit beeinflusst. Andere Öfen tragen Kronen aus wirren Rohren, die weder schön aussehen noch gut zu pflegen sind. Und gepflegt ist die ganze Anlage. Die Hochschätzung, die diesem Arbeitsumfeld von Seiten aller Mitarbeiter entgegengebracht wird, ist sichtbar.
»Am Anfang wurden wir gefragt, ob ein Glashaus für eine Bäckerei überhaupt sinnvoll ist, da der Betrieb ja mitten in der Nacht beginnt«, erinnert sich Schultz. Aber mitzuerleben, wie der Tag beginnt, beflügelt die Bäcker mehr als dunkel-dumpfe Hinterhof- Atmosphäre. Insofern spiegelt der lichtvolle Leichtbau auch den Humanismus des Bauherrn und Arbeitgebers. Der Arbeitsplatz nahe am Wohnort – einige Mitarbeiter haben eine Wohnung im Vorderhaus –, gute Architektur, Gärten, eine Kantine mit Terrasse schaffen in dem harten Handwerk ein atmosphärisches Umfeld, das sich letztlich als Gewinn für das ganze Unternehmen auszahlt. Trotz betrieblicher Expansion – zu dem Hinterhof-Standort gibt es vorerst keine Alternative: »Wurde einmal eine Sache gut gemacht, dann hält sie sich auch in Zeiten wechselnder Bedürfnisse«, resümiert Müller-Rischart – »selbst wenn’s schwierig wird.« I. M.
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