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Cádiz: Die älteste Stadt Spaniens versucht sich neu zu erfinden

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Cádiz: Die älteste Stadt Spaniens versucht sich neu zu erfinden

Liebe db,

das Jahr endet in nur vier Wochen, und damit verabschiede ich mich mit einem letzten Brief aus Spanien. Doch auch 2012 steht Großes an: Cádiz feiert die offiziell erste spanische Verfassung vor 200 Jahren und erfindet sich neu – auch mit herausragenden Architekturprojekten. Während der Unabhängigkeitskrieg der Spanier gegen Napoleon tobte, feilten die Bewohner der schwer zugänglichen Halbinsel an der spanischen Westküste schon an der Zukunft einer spanischen Monarchie ohne Frankreich, in Form eines Schriftwerks, das zur Grundlage für nachfolgende spanische Verfassungen wurde. Nicht nur darauf ist man in der Stadt stolz: Mit der Entdeckung des amerikanischen Kontinents wuchsen ihre Bedeutung und ihr Reichtum. V. a. aus dieser kolonialen Zeit stammen viele Bauten der Kernstadt. Vor der Altstadt säumen moderne Bauten die breite Straße zum Stadttor. Doch bis vor ein paar Jahren waren der Glanz des Alten und der Moderne gleichermaßen abgeblättert. Cádiz wirkte merkwürdig entrückt, in ein anderes Zeitalter und auf einen anderen Kontinent. Wer auf der Seepromenade [1] flanierte, fühlte sich Lateinamerika näher als Spanien. Jetzt will sich Cádiz ins 21. Jahrhundert katapultieren. Gegen den maroden Charme setzen die Stadtverantwortlichen Großprojekte. Zu den Feierlichkeiten des Bicentenario wird Cádiz Iberoamerikanische Kulturhauptstadt 2012 und damit auch die achte Iberoamerikanische Biennale ausrichten. Dafür plant die Stadt einiges: Verkehrswege werden neu geordnet, Freiflächen umstrukturiert, Altbauten z. T. saniert und Kultur- und Sportanlagen sowie Hochhäuser sollen ergänzt werden.
Das größte Projekt ist der Bau einer Brücke, die über 5 km den Altstadtkern mit dem Festland verbindet und für 10 000 Autos pro Tag ausgelegt ist. Die Konstruktion ist 185 m hoch, hat eine Durchfahrtshöhe von 69 m und eine Klappfunktion, damit auch größere Containerschiffe in die Bucht einlaufen können. Ingenieurtechnisch ist die Brücke eine Meisterleistung, politisch ist sie umstritten. Gegner befürchteten nicht nur explodierende Baukosten – nach aktuellen Schätzungen lagen die Baukosten bei weit über 300 Mio. Euro –, sondern auch eine extreme Zunahme des Autoverkehrs in der Innenstadt. Eine Bürgerinitiative verlangte stattdessen den Ausbau der Bahnstrecken. Das allerdings ist ohnehin geplant: Ein neuer Bahnhof bündelt den Bus- und Bahnverkehr direkt an den Toren zur Altstadt. Geografisch ist er richtig verortet, über die Architektur erhitzen sich die Gemüter. Zu wenig Bilbao, so etwa lautet der Vorwurf. Die im Wettbewerb ermittelten Entwürfe, für den Bahnhof wie auch für andere Bauwerke, sind tatsächlich eher pragmatisch als extravagant. Das ist sicher auch dem enormen Zeitdruck sowie der Anzahl und Größe der Projekte geschuldet; viele Wettbewerbe konnten erst in den Jahren 2006 und 2007 entschieden werden – bis 2012 blieb also wenig Zeit für einen Stadtumbau.
Allein schon der Um- und Ausbau der Seepromenade ist ein Megaprojekt. Sie bietet den Bewohnern ein wenig Weite in der dicht besiedelten Stadt und prägt gleichzeitig deren Außenwirkung. Verschiedene Architekten, darunter José Luis Bezos [2], wurden beauftragt, und eigentlich sollte man von »den Promenaden« sprechen. Alte Parks wurden saniert, neue kamen hinzu. Neben den beiden (umgebauten) Fähr- und Containerhäfen entstand ein Freizeithafen. Auf der anderen Seite der Insel, zum Atlantik hin, erhielten die Strände eine neue Infrastruktur. Aus Industriebrachen, Wehrmauern und urbanen Restflächen wurde ein kilometerlanges Freiflächenband. Ein besonderes Projekt am Weg ist die Aussichtsplattform zwischen den Kathedralen, geplant von Alberto Campo Baeza. Auf diesem historisch wichtigen Platz zwischen der alten und der neuen Kathedrale [3] kann man wie von einem Schiff die Aussicht auf den Atlantik genießen – eine Erinnerung an die Seefahrer von einst, die im Auftrag der spanischen Krone und der Kirche von Cádiz aus nach Amerika segelten. Statt eines Prunkdenkmals ist hier ein poetischer Ort entstanden, der so gar nicht passen will zum neuen Größenwahn in Cádiz.
Der manifestiert sich auch in der Altstadt. 99 % ihres Baubestands sollten bis 2012 saniert werden. Nicht nur Monumentalbauten sollten wieder strahlen, der Umbau im Kleinen ist ebenso spannend. Das Haus in der calle Fray Félix [4] neben der Neuen Kathedrale etwa wurde so umgebaut, dass Platz, Licht und Luft bei gleichzeitig maximaler Privatsphäre entstanden. Die Architekten dieses Hauses, Morales, Giles und Mariscal, entwickelten schon bei vorherigen Bauten das Individuelle aus einem lokalen Bezug. Sie veränderten das Haus enorm, in der Fassade, im Grundriss und mit neuen Bauteilen. Dennoch folgten sie damit nur der Tradition des Baus, der über mehrere Jahrhunderte hinweg erweitert und umgebaut wurde. Nun entstanden fünf Wohnungen um zwei Höfe, verschiedene Dachterrassen, neue Fassadenöffnungen, Holzbalkone mit Klappläden und Lamellen, ein neuer Eingang und ein Ladenlokal im EG.
Zahlreiche Kulturbauten der Region wurden in den letzten Jahren erneuert. Eines davon sieht, wer künftig mit dem Auto über die neue Brücke nach Cádiz gelangt: die Casa de las Artes de Cádiz. Hier sollen ab März 2012 bis zu 1 500 Studenten in Kunst, Tanz und Musik ausgebildet werden. Damit möchte die Stadt junge Kreative an sich binden, die wie viele andere junge Cádizer sonst in die großen Metropolen abwandern. Nicht nur Touristen, sondern v. a. die Einheimischen sollen von einer neuen Lebensqualität in Cádiz profitieren. Und so erwarte ich mit Cádiz gespannt das kommende Jahr 2012 und wünsche
Feliz año nuevo, ~Rosa Grewe
Rosa Grewe liebt Flamenco, das Mittelmeer – und spanische Architektur. Für ein Jahr streift sie quer über die iberische Halbinsel und entdeckt Stadt und Stadtrand, Küste und Landschaft, Unterschiede und Bekanntes. Sie studierte Architektur in Darmstadt und ist seit 2006 Architekturjournalistin.
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