1 Monat GRATIS testen, danach für nur 6,90€/Monat!
Startseite » Allgemein »

Betreff: Junge spanische Büros

Allgemein
Betreff: Junge spanische Büros

Liebe db,

und, was machst Du so? Bei dieser Frage lande ich im Gespräch mit jungen Barcelonesen schnell beim Thema Chancen und Pläne fürs Leben. Und die Lebenspläne sind ähnlich, in Frankfurt wie in Barcelona. Das bringen Erasmus, Job-Mobilität und Auslandserfahrungen mit sich. Eines verbindet junge Architekten in Deutschland und Spanien ganz sicher: die Suche – nach einem Berufseinstieg, nach einem fairen Arbeitsvertrag oder einem Startauftrag für die Selbstständigkeit. Und nach einem Ausweg aus der Jobmisere, die junge Spanier heftig trifft. Etwa 60 % der in spanischen Büros beschäftigten Architekten sind scheinselbstständig. Sie arbeiten zu Dumpinglöhnen, ohne bezahlte Urlaubs- oder Krankheitstage, Überstunden und Sozialversicherung. Die Stimmung schwankt zwischen Hoffnung auf Besserung, Depression und Wut. Wer nicht an Spanien hängt, wandert aus. Das betrifft vor allem die Architekten unter 35 Jahren. Doch sie suchen unermüdlich nach Geschäftsideen oder Nischen. Dabei kommen ihnen ihr Einfallsreichtum, ihre Affinität zum Digitalen und ihre Ausgangslage zugute: Wer bei Null anfängt, hat nichts zu verlieren.
Erste Strategie: Anerkennen, dass Architektur im Kopf beginnt. Virtuelle Welten und fantastische Visionen, das sind die ungebauten Architektur- und Stadtideen vieler junger Kreativer. Die hiesigen »digital natives« machen Architektur wie einst die Futuristen der 60er. Dabei haben nicht nur Architekten, sondern auch Grafiker und Künstler den Lebensraum Stadt und die Architektur als Thema entdeckt.
Zweitens: Nicht auf einen Auftrag warten, sondern eigene Konzepte entwickeln und öffentlich machen. Für die Architekturvision braucht es nur eine Idee und eine Plattform. Auf www.freshmadrid.com zeigen rund 20 junge Architekten und Künstler aus Madrid ihre Entwürfe. Es ist eine nicht nur, aber v. a. im Internet stattfindende Ausstellung, kuratiert von der Architektin Ariadna Cantis und mitorganisiert vom Kollektiv Zuloark.
Drittens: Viele der Architekten arbeiten im Netzwerk. Einige gründeten sich noch während des Studiums und setzten die Zusammenarbeit nach der Uni fort. Den Anfang machte 2001 die madrilenische Gruppe Zuloark, in der sich Studenten der ETSAM (Escuela técnica superior de arquitectura de Madrid) zusammenfanden, ohne übliche Hierarchien, ohne dauerhafte Bindung und einzig der Idee verpflichtet. Auch verschiedene reale Ausstellungsreihen zeigen das kreative Potenzial junger Spanier. Sie machen dabei zwischen bildender Kunst, Design und Architektur keinen Unterschied. Der Ursprung sind die Künstler- und Architektenkollektive Fabricae und Leon11, die u. a. ein [1] enges Dachgeschoss höchst platzsparend, unkonventionell und in der Beschränkung geradezu edel umbauten.
Seitdem gründen sich immer mehr Kollektive. Sie bauen, schließlich sind sie Architekten. Aber sie schreiben und forschen, kommunizieren und moderieren auch. Das Internet ist dabei Arbeitsplattform, Ideengeber und Prozessbegleiter. Der Vorteil des Netzwerks ist klar: Kompetenzen lassen sich besser teilen, die Idee eines Einzelnen kann ein anderer weiterentwickeln und man stärkt sich gegen etablierte Büros, Auftragsflauten und allzu investorenfreundliche Standards und weckt außerdem Aufmerksamkeit.
Die vierte Strategie ist ein verändertes Selbstverständnis. Den großen Namen der spanischen Avantgarde, dem hemmungslosen Bauboom und der folgenden Krise setzen die jungen Architektengruppen eine Emanzipation des Bürgerwillens entgegen. Denn gar zu häufig dirigiert der Investorenwille die Stadtentwicklung. Auf urbanaccion.org etwa wird über aktuelle und zukünftige Stadtentwicklungen diskutiert. Gleichzeitig planen die Initiatoren analoge Werkstattgespräche, Vorträge und Interventionen im öffentlichen Raum, um urbane Themen zur Diskussion zu stellen.
Gegen die Ausbeutung junger Architekten in etablierten Büros haben sich andere zusammengeschlossen: Im März 2010 gründete sich die Gewerkschaft sindicato de arquitectos de España.
Manches Mal ergeben sich aus dem neuen Selbstverständnis auch neue Aufgaben. Die fünfte Strategie junger Büros: Einzigartige Ideen über alle Kanäle zu kommunizieren. So geschehen bei basurama, gegründet 2001. Das Architektenkollektiv, ebenfalls im Ursprung eine Gruppe der ETSAM, beschäftigt sich mit Abfall und Recyclingstrategien – so wurde etwa in Lima eine nie fertiggestellte Hochbahntrasse [2] in eine öffentliche Fläche verwandelt, u. a. mit Schaukeln und Kletteranlagen aus alten Autoreifen. basurama hat sich zur festen Größe im Architekturdiskurs entwickelt, dank ihrer Ideen, aber auch dank basurama-TV und Blog. Ebenso machte es ecosistema urbano. Das Architekturbüro setzt sich mit ökologischen Konzepten für Städte auseinander. Für Dordrecht (NL) entwickelten sie z. B. ein kombiniertes Karussell/Lichtobjekt, das je nach Aktivität tagsüber [3] dann abends mehr oder weniger Licht spendet. Mittels Internet-TV, Blog und Netzwerk pflegen auch ecosistema urbano Fangemeinde und Netzwerkpartner.
Die sechste Strategie: International sein vergrößert den Wirkungskreis. So konnte sich Carlos Arroyo, ein freshmadrid-Architekt, mit einem internationalen Team für Bauvorhaben in Belgien, Frankreich und Spanien qualifizieren. Im »Unstable House« in Madrid [4] verknüpfte er zentrale Aufgaben eines Bauwerks aus drei Jahrhunderten: Lastabtragung im vorhandenen Sockel und eine geometrische Fassade, die von den Erfordernissen heutigen Energiemanagements überlagert wird. Übrigens geht der Trend zur Kooperation auch an den großen Büros nicht vorbei: Luis Vidal in Madrid kooperiert mit Rogers Stirk Harbour + Partners in London und Nieto Sobejano kooperieren für ihre Projekte in Graz mit dem örtlichen Büro Eep Architekten.
Multimedial und digital vernetzt, das scheint das Rezept der Jungen zu sein. Wer auf ihren Webseiten surft, verfängt sich leicht in einer der zahlreichen Animationen, die einen blinkend locken, um dann doch keine Information auszuspucken. Die große Schau der Jungen hat längst begonnen. Grenzenlos scheint dabei ihr Schaffensdrang.
Saludos cordiales, ~Rosa Grewe
Rosa Grewe liebt Flamenco, das Mittelmeer und spanische Architektur. Ein Jahr streift sie über die iberische Halbinsel und entdeckt Stadt und Stadtrand, Küste und Landschaft. Sie studierte Architektur in Darmstadt und ist seit 2006 Architekturjournalistin.
Aktuelles Heft
Titelbild db deutsche bauzeitung 4
Ausgabe
4.2024
LESEN
ABO
MeistgelesenNeueste Artikel
3 Saint Gobain Glass
Eclaz

Architektur Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Architektur-Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Medien GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum arcguide Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des arcguide Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de