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Auf weiter Flur

Fachhochschule Westküste in Heide
Auf weiter Flur

Für die Baulichkeiten in freier Umgebung wählten die Architekten den nach innen orientierten Typus der Campusuniversität. Die einzelnen Gebäude sind um zwei zentrale Höfe herum gruppiert und durch Dächer so miteinander verbunden, dass sich unerwartete, gerahmte Ausblicke in die Landschaft ergeben. For building in an open environment the architects chose the inwards orientated campus type of university. The individual buildings are grouped around two central courts and connected with each other by roofs, thus creating framed, unexpected views into the landscape.

Text: Olaf Bartels

Fotos: Oliver Heißner, Werner Huthmacher
Die neuen Bauten der Fachhochschule Westküste sind auf der sprichwörtlichen »Grünen Wiese« direkt vor den Toren der holsteinischen Kreisstadt Heide entstanden. Bekanntlich stellt ein solcher Topos die nahezu größte Herausforderung an einen architektonischen Entwurf, bietet er doch fast alle Möglichkeiten der Orientierung, aber kaum einen direkt verwertbaren Kontext – ein Campus also im ursprünglichen Sinne.
Der Pilotcharakter, der den Bauten auch in Bezug auf einen parallel diskutierten Bebauungsplan des Gebietes zukam, lenkte das öffentliche Augenmerk auf dieses Projekt. Ortstypisch sollte die Bebauung nach den Vorstellungen der Stadtplaner ausfallen. An konkreten Gestaltideen fehlte es allerdings. Gefordert wurde schließlich nur, dass roter Backstein zu sechzig Prozent die Fassade bestimmen sollte.
Mit der Ansiedlung der Hochschule in dieser strukturschwachen Region sind aber auch wirtschaftspolitische Ziele verbunden. Den Gebäuden und ihrer Architektur kommt also eine nicht unbeträchtliche symbolische Bedeutung für die Modernisierung der Region zu.
Die Kölner Architekten Scheuring und Partner haben dieses Spannungsfeld souverän bespielt: Der neue Campus kann mit beidem aufwarten: Er verbreitet eine Atmosphäre spielerischer Innovation, seine Architektur ist an überregionalen Maßstäben orientiert, gleichzeitig aber auf den Ort und sein Klima bezogen – im bautechnischen, wie im ästhetischen Sinne.
Die Architekten haben in einem klar definierten Hausgeviert von etwa hundert Metern Kantenlänge alles untergebracht, was für einen reibungslosen Betrieb der Fachbereiche Maschinenbau, Elektrotechnik, Betriebswirtschaftslehre bzw. Internationales Tourismusmanagement und Wirtschaft/Recht notwendig ist. Drei sehr unterschiedlich ausgebildete Gebäuderiegel sind in Ost-West-Richtung ausgerichtet. Bauten im Osten und Westen schließen das Karree ab, gewähren dabei aber mit großzügigen Toren Zugang zum größeren der beiden Innenhöfe. Diesem sind südlich die Eingänge der wichtigsten Gebäude zugewandt: der Bibliothek, des Rektorats und des viergeschossigen Bauteils, das Professorenarbeits- und Seminarräume jener Fachbereiche beherbergt, die keine Werkstätten und Labore benötigen. Hier lässt die Bebauung auch Raum für den Zugang zur Mensa, die als eigenständiger Baukörper etwas abseits liegt. Gegenüber befindet sich die zentrale Empfangshalle, die mit den westlich etwas aus dem Karree herausgeschobenen Vorlesungs- und Seminarräumen den mittleren Riegel bildet. Durch seinen vergleichsweise weitläufigen Raum bildet dieser Hof den eigentlichen Campus. Die schützende Abgrenzung zum offenen Land, die traditionell in der bäuerlichen Baukultur dieses Landstrichs von großer Bedeutung ist, wird hier nach allen Himmelsrichtungen deutlich.
Von der Eingangshalle aus sind alle für den Studienbetrieb wesentlichen Räume direkt oder über Brücken erreichbar. Orientierung bieten Informationen auf von der Decke abgehängten Computermonitoren. Nördlich schließt ein Werkstättengebäude den Komplex ab, östlich liegen Labore. In den Hof dazwischen sind zwei kubische Bauten eingestellt, die weitere Vorlesungsräume, darunter einen Hörsaal enthalten. Ein dritter Kubus sollte als Auditorium Maximum diesen Reigen beschließen, der Sparzwänge halber wurde der Bau aber zurückgestellt.
Hier verdichtet sich die Anlage zu fast schon städtischem Format. Doch trotz seiner vergleichsweise engen Bebauung wirkt auch dieser Hof weiträumig. Ihn durchzieht eine Steingärten-Landschaft, die die ursprünglich geplanten Wasserflächen ersetzt. Die zwischen den Bauten frei gelassenen Räume sind nicht zu betreten und verleihen dem Ensemble einen kontemplativen Charakter.
In der kargen nordischen Landschaft, die die Umgebung der Stadt Heide prägt, spielt das Licht – entgegen so mancher Annahme – eine wesentliche Rolle. Denn was in der dunklen Jahreszeit begierig aufgesogen wird, steht im Sommer als Vielfaches und vor allem lange am Tag zu Verfügung. Der hohe Glasanteil der Gebäude gewährt viele Durch- und Einblicke und lässt das Licht in den Räumen spielen. Ausgeklügelte Belichtungs- und Sonnenschutzeinrichtungen domestizieren es an den besonders exponierten Stellen, um die effektive Arbeit mit Projektionen und am Bildschirm zu ermöglichen und die Räume dennoch mit natürlichem Licht zu versorgen.
Nach Süden hin gelegene Doppelfassaden wurden für den Energieverbrauch optimiert. Im fünfzig Zentimeter tiefen Zwischenraum werden Pufferwirkung und natürliche Thermik ausgenutzt. Windgetriebene Lüftungsrotoren auf dem Dach führen die Abluft ins Freie.
Das herbe und feuchte Klima an der schleswig-holsteinischen Westküste stellt besondere Anforderungen an die Bauten der Region. Die Forderung nach Backstein ergab sich also nicht nur vor ästhetischem Hintergrund. Die verlangten sechzig Prozent des widerstandsfähigen Verkleidungsmaterials haben die Architekten in der Fassade verbaut. Präsenter sind allerdings die Betonoberflächen, die auch im Inneren des Gebäudes überwiegen. Sie leisten nicht weniger Abwehr gegen die Unbill des nordischen Klimas, dennoch wird ihre Ästhetik allenthalben noch immer als gewöhnungsbedürftig empfunden, was auch in Heide zu einigen Diskussionen mit den Nutzern der Gebäude führte.
Die zugegeben etwas ruppigen Details stehen aber durchaus in der Bautradition des Nordens, schließlich liegt auch der Reiz des nackten Backsteins in seiner Werkästhetik. Auf diesem gemeinsamen Nenner fügten die Architekten beide Materialien zu einer harmonischen Einheit zusammen, die langsam unter den Nutzern Akzeptanz findet. Das wird sie vielleicht auch von der notwendigen Wartung der technisch aufwändigeren und deshalb filigran detaillierten Glasfassaden überzeugen, die derzeit unter starkem Algenbefall leiden.
Die ästhetischen Spielräume der Betonoberflächen demonstriert der Mensabau. Die ursprünglich vorgesehene Backsteinverkleidung fiel den Sparzwängen zum Opfer. Jetzt markieren die Abdrücke schmaler Schalbretter die horizontalen Schichtungen, die sonst dem Mauerwerk eigen sind. Die Attikazonen wurden im Kontrast dazu glatt verschalt.
Dem Architekturkundigen zeigt sich darin die besondere Raffinesse der Architekten, die im Umgang mit dem Beton diesen zu einem Teil einer korporativen architektonischen Identität machten.
Da der Bebauungsplan keine Vorgaben über einzuhaltende Bauhöhen machte, blieb auch dies in der Verantwortung der Architekten, die sie sehr bewusst wahrnahmen: Die weitgehende Zweigeschossigkeit der Bauten unterstreicht die horizontalen Eigenarten der norddeutschen Tiefebene. Allein der viergeschossige Bauteil der Anlage ist auf Fernwirkung angelegt und kündet mit seinen Baustoffen Metall und Glas schon von Weitem vom neuzeitlichen Habitus der Anlage. Dagegen blieb der schwerer wirkende Backstein den erdnäheren Bereichen vorbehalten.
Die Stadtoberen können mit den neuen Bauten also zufrieden sein: Das Typische des Ortes ist inspirativ in die Architektur und die städtebauliche Konzeptionen des Campus eingeflossen. Nicht zuletzt der hohe technische Ausstattungsstandard der Bauten und die moderne ortsverbundene Ausrichtung der Architektur unterstreichen das Innovationspotenzial, das aus der wohl geordneten Position des Campus vor der Stadt in sie hinein wirken kann. O.B.
Bauherr: Land Schleswig-Holstein, vertreten durch GMSH NL Itzehoe Architekt: Scheuring u. Partner, Köln Mitarbeiter: Guido Bornkast, Marc Ley, Uwe Mehring, Ursula Pasch, Hekyung Lee Tragwerksplanung: Schlichting – Eggers, Heide (1. BA); Trakon Beratende Ingenieure, Meldorf (2. BA); Cornils & Partner, Brunsbüttel (3. BA) Haustechnik: Pahl und Jacobsen, Heide Bruttogeschossfläche: 20610 m² Kosten: 34 Mio Euro Fertigstellung: 2003
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