1 Monat GRATIS testen, danach für nur 6,90€/Monat!
Startseite » Allgemein »

Living Kitchen

Allgemein
Living Kitchen

Die Küche rückt in den Mittelpunkt. Das gilt für die Kölner Möbelmesse imm cologne, deren Sonderevent »LivingKitchen« sich als wahrer Besuchermagnet erwies, und ebenso für die mediale Aufmerksamkeit und die Bedeutung, die ihr Bauherren und Planer zunehmend beimessen.

Text: Thomas Edelmann

Kreisen die gegenwärtigen Debatten um Massentierhaltung und Lebensmittelindustrie, um Bio-Boom, um Fehlernährung und die »Vertafelung« der Gesellschaft nicht allesamt um die Küche und die Auswahl ihrer Zutaten? Dass die Küche wieder ins Zentrum des Hauses rückt, ist keine ganz neue Tendenz. Rufen wir uns kurz ihre Vorgeschichte in Erinnerung: Mit dem Aufkommen der Moderne wandelte sich die Küche von einem Arbeits- und Treffpunkt in Haus und Wohnung, von einem Ort der Kommunikation zu einem reinen Funktionsraum. Hier sollte das Essen mit möglichst kurzen Wegen und geringem Arbeitsaufwand zubereitet werden. Die »Frankfurter Küche«, geplant von der Wiener Architektin Margarete Schütte-Lihotzky und für die städtischen Wohnungsbauten des Neuen Frankfurt von 1926-30 rund 10 000 mal realisiert, bildete den Prototyp aller späteren Einbauküchen. Die Zeit für häusliche Arbeit sollte verringert werden, die Baukosten durch Vorformen der Serienproduktion gesenkt werden.
Kochen im Kämmerchen
Demokratisierung und Egalisierung der Gesellschaft wirkten sich auch auf die Küche aus. Nach dem Krieg war es auch in gut verdienenden Haushalten nicht mehr üblich, mit Hausangestellten unter einem Dach zu wohnen. In Privathäusern wurde die Küche als spezifischer Ort der Hausfrau definiert und ausgestattet. Der Raum dafür war alles andere als repräsentativ. Dem entsprach das ästhetische Programm deutscher Nachkriegsküchen. Möbliert waren sie als Zeilenküche, gearbeitet wurde entlang der Wand. In den 80er Jahren erwiesen sich die Zeilenküchen in den Pastellfarben der 50er Jahre oder in Türkis- und Orangetönen der 70er Jahre als nicht mehr angemessen. Geprägt von der französischen Nouvelle Cuisine entstand eine Bewegung zur genussvollen gemeinsamen Essenszubereitung, Wohngemeinschaften propagierten gar das autarke Landleben inklusive Nahrungsmittelproduktion.
Kommunikation und Profi-Look
Gefragt war nun die »Küche zum Kochen«, eine Küche für Männer, die zumindest zu besonderen Anlässen das Regiment in der Küche übernehmen wollten. Dazu musste sich das Ambiente grundlegend wandeln. Der Grafikdesigner, Kritiker und passionierte Koch Otl Aicher, der für den Küchenhersteller Bulthaup 1982 das programmatische Buch »Die Küche zum Kochen« schrieb, orientierte sich bei seinem Küchen-Ideal am Profi-Koch, dem bessere und zuverlässigere Technik zur Verfügung steht als der Hausfrau. Auch die Zugänglichkeit von Töpfen, Handwerkszeug und Zutaten organisierte Aicher neu. Nicht mehr der aufgeräumte, pflegeleichte Küchenraum stand im Vordergrund, sondern der perfekt ausgestattete Arbeitsplatz, dessen kommunikative Qualitäten ebenfalls thematisiert wurden. Insel statt Zeilen lautete die Devise. Denn, so Aicher: »Die Arbeit zur Wand hin schaltet den Gesichtssinn ab und bringt Kommunikation zum Erliegen.« In seinem noch immer lesenswerten Buch nimmt er bereits aktuelle Tendenzen vorweg: »Man darf (…) annehmen, dass das Verhältnis Küche – Wohnzimmer sich weiterhin ändern wird. (…) Es ist nicht unvorstellbar, dass Kochen und Wohnen eine noch engere Beziehung gewinnen werden und die Trennung zwischen Wohnzimmer und Küche transparenter wird, wenn sie nicht sogar ganz fällt.« Die aktuellen Produkte und Studien von Küchenherstellern und Designern versteht man in der Tat besser, wenn man diese Vorgeschichte kennt.
Archaische Verschmelzung
Da ist etwa der Architekt und Designer Matteo Thun, dessen »La Cucina« [1] , die Küche sich als Huldigung an mediterrane Kochkünste versteht. Tradition und Authentizität werden dabei auf moderne Weise kontrastierend verbunden. Thun kooperierte für sein Projekt mit vielen Partnern, darunter mit dem italienischen Holz- und Möbelspezialisten Riva1920 und dem American Hardwood Export Council (AHEC). La Cucina besteht aus einem Platz für Feuer, einem für Wasser und dem Mittelpunkt, einem Platz zum Essen und für das große Palaver. Dabei kontrastieren die fein ausgearbeiteten Details und minimalistisch-strengen Formen einer wandhängenden Zeilenküche mit Inselelementen und dem archaisch-simpel strukturierten Kommunikationsplatz unter Weidenstangen. Thun nahm Recycling wörtlich und verwendete amerikanische Rote Eiche und Walnussholz, das er bereits zuvor bei einer Installation in Mailand genutzt hatte, nun in neuem Kontext.
Die Küche als Sportboot
Nicht gerade naheliegend, vielleicht auch nicht überzeugend – schließlich sollte ein Boot immer eine Handbreit Wasser unter dem Kiel haben – aber als Blickfang erfolgreich: Hersteller Alno bezieht sich mit seiner »marecucina« [2] auf die Faszination von Sportbooten der 50er und 60er Jahre. Die große Arbeitsfläche besteht aus Nussbaum-Planken. Die Küche ist grifflos und wirkt wegen ihrer zurückgesetzten Basis schwebend. Ihr klappbarer Bug dient als Stauraum, der Geschirrspüler ist bündig in die Bootsform eingelassen. Die Beleuchtung erinnert an Mast und Segel. Zudem gibt es eine motorisierte ausfahrbare Dampfabsaugung. Mit marecucina, die auf bestehenden Produktlinien aufbaut, schlage man »eine Brücke zwischen Urlaub und Alltag«, heißt es bei Alno. Neben der bootsförmigen Insel-Küche, die schon 2010 in Mailand zu sehen war, gibt es nun auch Versionen in Zeilen- und L-Form, ebenfalls mit maritimen Motiven. Dennoch wirkt das Projekt ein wenig bemüht.
Wohnen mit Stahl
Der Schweizer Hersteller Forster huldigt dem Aicherschen Ideal der Profi-Küche mit den Mitteln der Jetztzeit. Dabei galt die Edelstahlküche lange als unvereinbar mit dem Trend zur Öffnung des Küchenraums hin zum Wohnumfeld. Nun haben die Designer Fritz Frenkler und Anette Ponholzer (f/p design) mit dem Modell »Pur11« bewiesen, dass es auch wohnliche Edelstahlküchen geben kann. Dazu tragen ein selbsttragender Korpus, die Sandwichbauweise, bündige Linien, glatte Flächen und magnetische Küchenaccessoires bei. Mit Pur11 will die Marke Forster, bislang schon Nummer 1 in der Schweiz und neben Warendorf und Piatti zum Schweizer AFG-Konzern gehörend, expandieren. Die deutsche Schwestermarke Warendorf präsentierte in Köln u. a. die schwebende Küche »Swing« mit wandhängenden Sideboards, die kaum noch nach Küche, viel mehr schon nach Wohnzimmer aussehen.
Carbon-Optik
Eine neue Variante der von Porsche Design entworfenen Küche, die als »Küche für den Mann« beworben wird, stellte Poggenpohl vor. Sie ist nun ausgestattet mit einer Front aus Glas und laminiertem Carbon. Derzeit erproben Automobilhersteller das Carbon-Laminierverfahren für die Großserie. Bislang galt das Material als zu exotisch und zu teuer für größere Stückzahlen und war daher vor allem in Luft- und Raumfahrt, aber auch bei Formel-1-Boliden zu finden. Dort zählen leichtes Gewicht und die Fähigkeit, Energie bei Hochgeschwindigkeits-Unfällen zu absorbieren und das Überleben der Rennfahrer zu sichern. In der Küche dient Carbon hauptsächlich dekorativen Zwecken und ist – noch – ein Merkmal technologischer Exklusivität. Dabei könnten insgesamt leichtere Küchenmöbel, in entsprechenden Stückzahlen gefertigt, durchaus ökologisch relevant werden.
Klassische Alternative
Im Rahmen der »Passagen«, einer Begleitveranstaltung zur Möbelmesse, präsentierte Siematic die neue Küche »BeauxArts.02«. Entworfen hat sie der Designer Mick De Giulio aus Chicago, der von einer guten Küche erwartet, »dass sie ein magische Anziehungskraft entfaltet« und der »Seele Nahrung gibt«. Das mag etwas esoterisch klingen, setzt sich im Ergebnis aber vom dominanten Küchen-Minimalismus ab, ohne sich in sinnlosen Schnörkeln zu ergehen. Bewusst soll sich das Programm unterschiedlichen Einrichtungsstilen anpassen, offen sein für die Kombination mit rustikalen Kochherden, Antiquitäten und Sammlerstücken. Statt auf große, glatte Fronten setzt BeauxArts.02 auf kleinteilige, facettierte Formen, ohne auf Geradlinigkeit zu verzichten.
Grenzenlos induktiv
Mit seinen Backofenfronten schuf Gaggenau in den vergangenen Jahren einen neuen Standard. Das technische Gerät wandelte sich zum dreidimensionalen Rahmen mit Passepartout, das auch der unbenutzten Küche Ausstrahlung verlieh. Als Top-Marke der Bosch-Siemens-Hausgeräte hat Gaggenau nun das neue »Vollflä- cheninduktions-Kochfeld CX 480« entwickelt, das vor allem Benutzer von iPhone und iPad erfreuen dürfte. Anders als seine Vorläufer definiert das Kochfeld nicht vorgegebene Plätze für Kochtöpfe einer bestimmten Größe. Wer also im Laufe des Kochvorgangs große und kleine, vordere und hintere Töpfe und Pfannen wechseln oder umstellen möchte, der wird von der neuen, flächenbündigen Kochfläche mit 48 unmittelbar aneinandergereihten und seitlich zueinander versetzten Mikro-Induktoren begeistert sein. Mails schreiben oder telefonieren kann man damit allerdings nicht.
Innovation als Lernaufgabe
»In der offenen Küche von heute ist Design ein wichtiger Prestige-Faktor«, schreibt Siemens, was allerdings für eine etwas eigentümliche Vorstellung von Design spricht. Aicher kritisierte 1982, dass sich »fast ausschließlich Männer mit dem Design von Küchen beschäftigen und zudem solche, die das Kochen den Frauen überlassen«. Die Orientierung am männlichen Profikoch, die Aicher vorbereitete, hat sich verselbstständigt. Immer neue Funktionen, Programmsymbole, mehrfach belegte Tasten und Schalter: Für die Generation, die mit dem Internet aufwuchs, ist all dies ein selbstverständlicher Spaß. Alle anderen freuen sich, wenn der alte Herd noch eine Weile hält. Selbst wenn der neue »ecoPlus« Edelstahl-Einbaubackofen aus deutscher Siemens-Produktion nur noch 0,69 Strom verbraucht, statt 0,99 kW/h, die sein Vorgänger verbrutzelte.
Luxus zum Herzeigen
Mit dem Architekturbüro Graft entwickelte Miele eine neue Reihe von »Designwelten«, letztlich Farb- und Oberflächenstrukturen, die der Kombination von Miele-Hausgeräten mit der übrigen Kücheneinrichtung zugute kommen sollen. Dabei wird unterschieden zwischen »Fire«, »Ice«, »Edelstahl«, »Brillantweiß plus« und »Schwarz«. Weniger dem Understatement, sondern eher der puren Repräsentation dient etwa die Designwelt Fire. Die massiven Stangengriffe der Geräte, aber auch Kaffeeauslauf und Milchbehälter des Kaffeevollautomaten sind dabei hochglänzend vergoldet. Die Geräteblenden sind titanfarben, die Glasflächen bronzefarben hinterdruckt. Wer übersehen haben sollte, in welch luxuriöser Umgebung er sich befindet, dem hilft das geprägte, goldglänzende Markenzeiche auf der Gerätefront auf die Sprünge. •

LivingKitchen (S. 68)
Thomas Edelmann
1963 in Frankfurt a. M. geboren. 1985 Texte über Architektur und Design für die tageszeitung. Ab 1987 Mitarbeit am Design Report beim Rat für Formgebung, Frankfurt a. M. 1993 zur Übersiedlung der Zeitschrift nach Hamburg Entwicklung des redaktionellen Konzepts; 1996 bis 2001 Chefredakteur des design report. Freier Journalist und Designkritiker in Hamburg.
Tags
Aktuelles Heft
Titelbild db deutsche bauzeitung 5
Ausgabe
5.2024
LESEN
ABO
MeistgelesenNeueste Artikel

Architektur Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Architektur-Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Medien GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum arcguide Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des arcguide Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de