~Hartmut Möller
Unter doppeldeutigem Titel huldigt die Berliner Gemäldegalerie der Allgegenwart Botticellis. Noch vor dem Eingang steht ein Podest mit Muschelhalbschale, das den ankommenden Besucher im Zeitgeist der unsäglichen Selfie-Manie zur legendären Venus-Pose auffordert; eine nach dem berühmten Italiener benannte Autofelge folgt im Vorraum des Museums. Beide Gebilde veranschaulichen die von den Kuratoren Stefan Weppelmann (»Wir sind Botticelli«) und Ruben Rebmann opulent akzentuierte Dauerpräsenz des stilprägenden Altmeisters. Erstaunlicherweise funktioniert er als regelrechtes Markenprodukt. Sein Name hat sich ins kollektive Gedächtnis gebrannt – vollkommen losgelöst davon, ob man mit diesem konkrete Bilder assoziiert. Andererseits hat sein Werk einen signifikanten Wiedererkennungseffekt auch bei jenen, denen der Künstler selbst gar nichts sagt. Dabei geriet der 1445 als Alessandro di Mariano Filipepi geborene Maler bereits kurz nach seinem Tod 1510 in Vergessenheit. Auf der Suche nach Inspiration wurde er durch die englischen Präraffaeliten in der Mitte des 19. Jahrhunderts wiederentdeckt, vielfach in Museen kopiert und adaptiert.
Gezeigt werden in der Schau in der Gemäldegalerie u. a. Arbeiten von D. G. Rossetti, E. Burne-Jones, W. Morris und E. De Morgan. Im deutschsprachigen Raum hatten A. Böcklin, F. und J. Riepenhausen sowie J. Schnorr v. Carolsfeld Bilder nach Botticelli angefertigt; in Frankreich folgten u. a. E. Degas und G. Moreau dem Trend. Surrealisten wie Dalí und Magritte bereicherten ihr Œuvre ebenso durch Botticelli wie die Pop Art-Künstler Warhol und Rauschenberg. Bis in die Gegenwart reicht sein Schatten, der neben Europa und Amerika ferner den Weg nach Japan, China, Ägypten oder Brasilien fand. Zeitgenössische Digitalcollagen, computergenerierte Animationen, Fotografien und Videokunst füllen das Botticelli-Universum mittels Aneignung, Neubewertung und Interpretation. Sogar die Mode erlag dessen Einfluss, wie Kleider von Schiaparelli, Dolce & Gabbana und McQueen belegen. Häufigstes Zitat der knapp 100 Ausstellungsstücke ist zweifellos die »Geburt der Venus«, kein Wunder also, dass sie Ikonenstatus erlangt hat. Dank s-förmig gestaltetem Parcours verteilt sich der hohe Besucherandrang; durchbrochene Wandscheiben erlauben zudem Ausblicke im offenen Raumkontinuum.
Anhänger der Renaissance-Kunst bekommen im zweiten Teil dann mehr als 50 Originale zu sehen, die Botticelli bzw. seiner Werkstatt zugeschrieben werden (tatsächlich existieren lediglich zwei vom Meister signierte Werke. Sie hängen in einem geräumigen Separée. Die aneinandergereihten »Madonna mit Kind«-Darstellungen mögen ein viel gefragtes Motiv der religiösen Florentiner Bürgerschicht zur Ausschmückung ihrer Paläste gewesen sein, aus heutiger Sicht sind sie etwas ermüdend. Sollte nach dem üppigen Kunstgenuss dennoch weiterer Bedarf bestehen, zeigt das im Haupthaus untergebrachte »Kabinett in der Galerie« Botticelli im Repro-Schick anhand von Druckgrafiken des 19. Jahrhunderts. Obendrein präsentiert das benachbarte Kupferstichkabinett zeitgleich mit dem »Botticelli-Coup« Zeichnungen des Künstlers zu Dantes Göttlicher Komödie.
Bis 24. Januar. Botticelli 2015-1445 – The Botticelli Renaissance. Gemäldegalerie, Matthäikirchplatz, 10785 Berlin, Di-Fr 10-18, Do bis 20, Sa+ So 11-18 Uhr, www.smb.museum
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