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Ausstellung: »Balkrishna Doshi. Architektur für den Menschen«, Vitra Design Museum, bis 8. September 2019

Ausstellung – bis 8. September
Balkrishna Doshi (Weil am Rhein)

Balkrishna Doshi (Weil am Rhein)
Balkrishna Doshi, Tagore Memorial Hall, Ahmedabad, 1967, Vastushilpa Foundation, Ahmedabad

~Hubertus Adam

In den letzten beiden Jahren hat die Pritzker-Jury eine glückliche Hand bewiesen und ihren Preis zwei asiatischen Architekten verliehen, die auf sehr eigene Weise in ihrem Lebenswerk West und Ost in Beziehung setzen: 2019 dem 87-jährigen Japaner Arata Isozaki und 2018 dem heute 91-jährigen Inder Balkrishna Doshi. Man könnte also vordergründig vermuten, das Vitra Design Museum wollte durch den infolge der Preisverleihung ausgelösten Hype um Doshi profitieren, wenn es jetzt unter dem Titel »Balkrishna Doshi. Architektur für den Menschen« die erste wirkliche Retrospektive über den in Ahmedabad ansässigen Architekten zeigt. Aber natürlich bedarf eine Schau, die das Gesamtwerk opulent mit Modellen, Zeichnungen, Plänen und Dokumenten in – fast ist man versucht zu sagen: indisch anmutender – Überfülle präsentiert, eines längeren Vorlaufs. Der Pritzker-Preis war also ein glücklicher Zufall, der das Interesse an der Wanderausstellung zweifelsohne verstärkt.

Kuratiert wurde die Retrospektive von Kushnu Panthaki Hoof, Doshis Enkeltochter und Partnerin in dessen Büro Vastu Shilpa Consultants in Ahmedabad, zusammen mit Jolanthe Kugler vom Vitra Design Museum. Die Schau basiert auf der ebenfalls von Panthaki Hoof verantworteten Ausstellung »Celebrating Habitat«, die nach der National Gallery of Modern Art in New Delhi 2017 in der Power Station of Art in Shanghai zu sehen war. Diese Konstellation macht deutlich, dass es sich um eine Präsentation aus der Optik Doshis und seiner Familie handelt, die also nicht aus kritischer Distanz heraus erarbeitet wurde. Selbst wenn man über die Auswahl einiger weniger Projekte streiten kann, das Problem der Schau besteht nicht in der Auswahl, auch nicht in der Bewertung, sondern in der alleinigen Fokussierung auf Projekte und Bauten, die in vier Ausstellungssälen in dichter Abfolge präsentiert werden. Der Kontext bleibt durch diese eher konventionelle Strategie weitgehend ausgeklammert und wird allein durch den umfangreichen Lebenslauf vermittelt, in dem die Geschichte Indiens mit den Lebensstationen Doshis verknüpft wird. 1927 in Pune (seinerzeit Poona) geboren, nahm er 1947, im Jahr der Unabhängigkeit, ein Architekturstudium in Bombay auf, wechselte aber 1951 nach London. In Hoddesdon nahm er am CIAM 8 »The Heart oft he City« teil und erfuhr von einem Mitarbeiter Le Corbusiers, dieser sei gerade mit der Planung für Chandigarh betraut worden. Doshi willigte ein, ein achtmonatiges unbezahltes Praktikum bei Le Corbusier zu absolvieren, und wurde dessen wichtigster Mitarbeiter für die indischen Projekte. 1954 kehrte er nach Indien zurück und überwachte die Bauausführung, insbesondere jene für die Privathäuser der reichen Textilindustriellen in Ahmedabad. Aus diesen Kreisen ergeben sich auch die ersten eigenen Aufträge, sodass er 1956 das Büro Vastu Shilpa (Kunst der gebauten Umwelt) gründete. Ein Stipendium der Graham Foundation ermöglichte ihm 1958 eine Reise durch die USA, an die sich ein viermonatiger Aufenthalt in Japan anschloss. Die traditionelle und die zeitgenössische Architektur des Landes wurden für ihn zu einem Schlüsselerlebnis, und zwei Jahre später nahm er an der legendären World Design Conference in Tokyo teil, auf der die Metabolisten erstmals an die Öffentlichkeit traten. Noch im selben Jahr besuchte er Louis Kahn in Philadelphia, und als er 1961 den Auftrag für das Indian Institute of Management erhielt, reichte er das Projekt an den amerikanischen Meister weiter und übernahm – wie schon bei Le Corbusier – die Bauleitung. Während es Le Corbusier kaum gelang, auf die klimatische Situation Indiens zu reagieren – das Mill Owners’ Association Building (1954) in Ahmedabad war seit Anbeginn nur bedingt nutzbar – gilt Kahns IIM als Musterbeispiel einer den Bedingungen des indischen Subkontinents angepassten Architektur.

Der erste Saal der Ausstellung widmet sich dem Centre for Environmental Planning and Techonology in Ahmedabad, der von Doshi 1962 gegründeten Architekturschule. Die Institution revolutionierte die Architekturausbildung in Indien. Der Bogen der Bauten, die Doshi über mehrere Jahrzehnte errichtete, spannt sich vom Ursprungsbau der School of Architecture (1968) bis zum Kunstraum Amdavad ni Gufa (1994), einem halb unterirdischen, höhlenartigen Gebilde, das von Kuppelstrukturen unterschiedlichen Durchmessers überdeckt ist.

Kostengünstiger Wohnungsbau (Saal 2) ist ein Thema, das Doshi seit seiner ersten Werkssiedlung für die Textilindustrie in Ahmedabad (1958–65) beschäftigt. Tonnengewölbte Backsteinbauten zeigen die typische Legierung aus westlichen Einflüssen und indischer Tradition, die für sein Werk prägend wurden. Immer aufs Neue versuchte er, die soziale Segregation der indischen Gesellschaft aufzubrechen – ob durch Wohnungen für unterschiedliche Einkommensgruppen in gemeinsamen Häusern (LIC Housing, Ahmedabad, 1973) oder im Quartier in Indore (Aranaya Low Cost Housing, 1989), bei dem es gelungen ist, ehemaligen Slumbewohnern ein neues Zuhause und einen Aufstieg in die Mitte der Gesellschaft zu ermöglichen – Iwan Baans Fotos des Zustands im Jahr 2018 zeigen das eindrücklich.

Saal 3 widmet sich weiteren institutionellen Bauten. Im Zentrum stehen dabei Doshis eigenes, Sangath (»sich gemeinsam bewegen«) genanntes Architekturbüro (1980/2010), eine spielerisch-detailreiche Collage aus tonnengewölbten Baukörpern, höhlenartigen Strukturen, Teichen inmitten parkartiger Landschaft – und der großartige Campus des Indian Institute of Management (1977-1992) mit seinen Korridoren, Durchwegungen und begrünten Gartenhöfen. Wie Doshi seine Konzepte in den großen Maßstab überträgt, dokumentiert schließlich Saal 4 im OG, in dem die städtebaulichen Projekte ausgestellt sind.

Auch wenn man über manches gerne mehr erfahren würde – etwa, wie Doshi die Entwicklung der indischen Gesellschaft und Architektur rückblickend beurteilt –, so ist die materialreiche Schau doch ebenso lehrreich wie faszinierend. Lehrreich, weil sie zeigt, wie konsequent und erfolgreich sich der Architekt einer sozial verantwortlichen Architektur verschrieben hat. Dies um so mehr, als das Bauen in den Tropen in den vergangenen Jahren verstärkt Aufmerksamkeit findet und mitunter der Eindruck erweckt wird, als sei das ein völlig neues Thema. Und faszinierend, weil aus dem Zusammenspiel von Ost und West, von Tradition und Moderne wahrhaft bestechende Architektur entstanden ist.

Bis 8. September. Balkrishna Doshi. Architektur für den Menschen. Vitra Design Museum, Charles-Eames-Str. 2, 79576 Weil am Rhein, täglich 10-18 Uhr. www.design-museum.de

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