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Kunststoffe als Multifunktionale (bau)werkstoffe
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OLEDs als leuchtende Tapeten, biegsame, polymerbasierte Solarzellen von der Rolle oder Farbstoffsolarzellen: Mit Polytronik und neuartigen technologischen Verfahren werden aus Kunststoffen multifunktionale Werkstoffe, die schon bald auch die Architektur beeinflussen können – ein Ausblick zu möglichen Anwendungen im Bauwesen.

Text: Susanne Rexroth

In allen zurückliegenden Menschheitsepochen bildete die Entdeckung neuer Werkstoffe den Ausgangspunkt tief greifender Entwicklungsschübe: Nicht umsonst sprechen wir von der Steinzeit, der Bronzezeit oder der Eisenzeit. Immer, wenn sich ein neues Material dem Althergebrachten als überlegen erwies, dominierte es fortan die kulturelle Entwicklung. Der Trend der Gegenwart sind multiple Materialien, besser bekannt als Verbundwerkstoffe – gemeint sind ausgeklügelte Kombinationen mehrerer Materialien und Materialeigenschaften. Neue Produktionstechniken erlauben es, die unterschiedlichsten Werkstoffe in hauchdünnen Schichten miteinander zu verbinden. Ein solcher Hybridwerkstoff kann einst gegensätzliche Materialeigenschaften vereinen und dadurch mehrere Funktionen auf einmal übernehmen.
Kunststoff – material der Zukunft?
Als Wissenschaftler Kunststoffe entdeckten, die elektrisch leitfähig sind und leuchten können, entstand die Vision einer Elektronik auf Basis von Polymeren, bezeichnet als Polytronik. Ihr Ursprung reicht bis in die sechziger Jahre zurück. Doch einen wesentlichen Innovationsschub hat diese Technologie erst seit knapp zwanzig Jahren mit der erfolgreichen Entwicklung vor allem von LEDs auf Basis organischer Materialien erfahren. Chemische Modifikationen machten die Kunststoffe, die bis dahin in der Technik eher als Isolatoren dienten, plötzlich leitend wie Metalle, halbleitend wie Silizium und leuchtend wie eine Glühlampe. Inzwischen hat sich die Polytronik zu einer Schlüsseltechnologie entwickelt.
Polytronik – gedruckte »Low-cost«-Elektronik
Die Entwicklung polymerer Bauelemente mit elektrischen und optischen Funktionen hat in den letzten Jahren erstaunliche Fortschritte gemacht. Ebenso wie die Verkleinerung elektronischer Schaltungen durch die neu aufkommende Halbleiterelektronik ungeahnte Entwicklungen in Gang brachte, können heute preiswerte, flexible, mikroelektronische Systeme aus Polymeren wesentliche Bereiche des täglichen Umfeldes nachhaltig verändern. Zu den visionären Anwendungen gehören der elektronische Bar-code (Bild 3) ebenso wie die elektronische Zeitung. Eine Vorform hat bereits der Hersteller Plastic Logic entwickelt: Mit Hilfe einer Art elektronischer »Tinte« verwandelt er flexible Kunststoffdisplays in elektronische Lesegeräte, die man papierähnlich verwenden kann.
Eine solch »eingebettete« Elektronik vermag die Umgebung des Menschen – Kleidung, Bücher, Tische, Tapeten, Fenster, Rollos – in Kommunikationsnetze einzubinden und sie mit zusätzlichen Funktionen auszustatten. Mit Hilfe dieser Informationsflüsse kann die Technik selbstständig Aktionen ausführen, sich an Veränderungen anpassen oder Funktionen überwachen. Neben integrierten Schaltungen über Sensoren, etwa in einem Teppich (Bild 2), konnten bereits Displays, Leuchtdioden, Batterien und Solarzellen aus Polymeren von Forschungsabteilungen und der Industrie als Prototypen entwickelt werden.
Polymere haben den großen Vorteil, dass sie flüssig verarbeitet werden können. Mit einfachen Druckverfahren lassen sich, vermutlich in den nächsten fünf bis zehn Jahren, elektronische Schaltungen auf Basis leitfähiger Kunststoffe auch in Serie herstellen. Der Vorteil derartiger, biegsamer Kunststoff-Chips: Sie können preisgünstig im etablierten Rolle-zu-Rolle-Verfahren (Abb. 4) zunächst auf Folie produziert oder direkt auf den Gegenstand gedruckt werden und erschließen damit vielfältige Anwendungspotenziale.
Die Oberflächentechnologie, also die Veredelung von Materialoberflächen, gilt quer durch unterschiedlichste Branchen als entscheidender Faktor, um wettbewerbsfähige, innovative Produkte herzustellen. Zu den derzeit vielversprechendsten Techniken, Oberflächen zu beschichten und ›
› damit die Polytronik überhaupt zu ermöglichen und weiterzuentwickeln, zählen die Ionenstrahlimplantation, bei der mittels eines Ionenstrahls Fremdmaterial auf ein Trägermaterial aufgebracht wird, das Bedampfen unter Hochvakuum mit plasma-physikalischen Methoden (PVD – »Physical Vapor Deposition«) oder mit plasma-chemischen Methoden (CVD – »Chemical Vapor Deposition«).
Per plasmaunterstützter, chemischer Dampfphasenabscheidung (PECVD) lassen sich sogenannte OLED-Displays (»Organic-Light-Emitting-Diode«-Display) im Rolle-zu-Rolle-Verfahren mit einer ultradünnen Schicht verkapseln. Die so entstehenden, flexiblen Displays bieten sich vor allem dort an, wo es auf größtmögliche Gewichts- und Raumeinsparungen ankommt. Sie sind hauchdünn, biegsam und haben eine ausgezeichnete Bildqualität, weil sie selbst leuchten. Haupteinsatzgebiet sind unter anderem Mobiltelefone, wo die OLEDs insbesondere für Displays verwendet werden. Ihre durchschnittliche Lebensdauer ist mit rund 5000 Stunden aber eher kurz.
Leuchtende Tapeten
Unter Laborbedingungen kommen OLEDs allerdings auf bis zu 100 000 Stunden – im Gegensatz zu Glühlampen, die nur eine Lebenszeit von etwa 1000 Stunden besitzen. Aufgrund ihrer Flexibilität bieten OLEDs Architekten und Designern ganz neue Möglichkeiten bei der Gestaltung mit Licht: Da sie wie eine Tapete im Raum verklebt werden können, lassen sich mit Leuchtfolien bedeckte Möbel und Wände, an eine Stromquelle angeschlossen, mit unterschiedlich einstellbaren Farben, Mustern und Intensitäten realisieren. Dabei strahlen sie ein flächiges, angenehmes Licht aus – das sogenannte Moodlighting –, das weniger grell als das von Glühlampen oder Leuchtstoffröhren ist. Noch sind solch stimmungsvolle Leuchtelemente allerdings Zukunftsmusik; Experten rechnen damit, dass diese Technik erst in etwa fünfzehn Jahren für eine breite Käufermasse erschwinglich sein wird. Erste Fernsehbildschirme auf OLED-Basis werden frühestens in drei bis vier Jahren erhältlich sein. Insbesondere an der Lebensdauer muss noch gearbeitet werden, denn die hauchdünnen und biegbaren Polymerfilme reagieren empfindlich auf Sauerstoff und Feuchtigkeit. Deshalb werden die Displays bislang auch noch mit Glas verkapselt.
Organische Solarzellen
PV-Module mit polymerbasierten Solarzellen versprechen eine Revolutionierung der bisherigen Anwendung von Photovoltaik – hin zur massenhaften Nutzung von Solarstrom. Damit diese Vision Wirklichkeit wird, arbeitet die chemische Industrie mit Hilfe der Nanotechnologie (vgl. db 1/06) an neuartigen Solarzellen auf Basis halbleitender Polymere anstatt der bisher vorwiegend genutzten Siliziumtechnologie. Dünnschichten aus sogenannten konjugierten Polymeren und Fulleren (Kohlenstoffmolekülen) werden so geschickt miteinander kombiniert, dass sie unter Lichtabsorption besonders schnell und effektiv Strom erzeugen. Der Vorteil gegenüber den anorganischen Bauelementen wie Silizium liegt vor allem darin, dass sich die Polymere mit weniger Energieaufwand und damit kostengünstiger herstellen lassen. So könnten mit der neuen Technik die Herstellungskosten für Solarmodule auf ein Drittel der heutigen Kosten sinken. Und da die dunkelroten Plastiksolarzellen so biegsam und dünn wie eine Klarsichthülle sind, könnten sie künftig als »Lichtzellen von der Rolle« auf Hausdächern, Fassaden, Fenstern oder Markisen aufgebracht werden. Denkbar ist auch, dass sie auf Autodächern das Fahrzeug mit Strom versorgen oder als faltbarer Akku-Ersatz portable, elektronische Klein- geräte unterwegs aufladen.
Um die neue Technologie zur Serienreife zu bringen, will die Forschungsinitiative »Organische Photovoltaik« in den nächsten Jahren mehr als dreihundert Millionen Euro aufwenden. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung und die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) unterstützen diese Initiative. Voraussichtlich ab 2015, so die Zielsetzung, könnten organische Solarzellen dann großflächig auf Dächern, Fenstern oder Fassaden zum Einsatz kommen. Weitaus früher denkbar sind Anwendungen wie etwa faltbare Ladegeräte für Mobiltelefone. Bis dahin gilt es, organische Solarzellen zu entwickeln, die mindestens 10 % der Sonneneinstrahlung in elektrische Energie umwandeln und so konkurrenzfähig zu den herkömmlichen sind. Ihre Haltbarkeit soll bei mindestens zwanzig Jahren liegen.
Unter dem Produktnamen »Power Plastic« will der Hersteller Konarka neuartige Photovoltaikmodule auf Basis der Polymertechnologie bis zum Ende dieses Jahres oder Anfang 2009 anbieten. Die Module sind leicht, transparent und flexibel (Bild 5). Der Wirkungsgrad der Polymer-Solarzellen be-
trägt 5 %, was sie vergleichbar mit amorphen Siliziumzellen macht (vgl. db 8/07, S. 62 ff). Die Module, die ungefähr so groß wie ein DIN A4-Blatt sind, leisten 5 W/h und liefern damit genug Strom für Produkte wie beispielsweise Laptops.
Aber auch eine weitere Technologie könnte bisherige Solarzellen ablösen, nämlich neuartige Farbstoffsolarzellen (kurz FSZ), elektrochemische Dünnschichtsolarzellen. Für ihre Produktion kommen im Vergleich zur Siliziumtechnik kostengünstigere und wesentlich einfachere Herstellungsverfahren aus der Siebdrucktechnik zur Anwendung. Außerdem bietet die Siebdrucktechnik ungleich größere Freiheiten für die angestrebte Farb- und Formgebung. Der Vorgang der Stromerzeugung einer FSZ folgt dem Prinzip der Fotosynthese bei Pflanzen. Die Zelle aus metallorganischen Farbstoffen auf Basis von Ruthenium, einem Halbmetall, wird zwischen zwei ebenen Glasplatten eingebettet, die mit nanokristallinem Titandioxid beschichtet und so als Elektroden ausgebildet sind. Das ermöglicht eine höhere Lichtausbeute und einen besseren Elektronentransfer vom Lichtabsorber zur Elektrode. Im Labor konnten bei direktem Lichteinfall solare Wirkungsgrade von bis zu 8 % erreicht werden. Diese Werte liegen zwar unter denen kommerziell verfügbarer Siliziumsolarzellen, die Forscher gehen jedoch davon aus, dass sich der Wirkungsgrad von Farbstoffsolarzellen mittel- bis langfristig noch deutlich erhöhen lässt und ihre Stabilität deutlich zunehmen wird.
Das Projektteam des Forschungsvorhabens »ColorSol«, bei dem das Fraunhofer IAO (Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation) beteiligt ist und das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird, entwickelt gezielt Photovoltaikmodule mit FSZ, die für die Gebäudeintegration bestimmt sind. Eine mit ihnen bestückte Testfassade am Fraunhofer ISE (Institut für Solare Energiesysteme) ist seit rund einem Jahr in Betrieb (Bild 1). Zur Zeit werden die Entwicklungsergebnisse zur Marktreife gebracht.
Solare textilien
Die Potenziale von Polymerforschung und Plasmaverfahren für die Bearbeitung und Beschichtung von Textilien erkundet das SmartTex-Forum, ein wissenschaftliches und wirtschaftliches Netzwerk zwischen Textilindustrie und anderen High-Tech-Technologien, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird. Unter den Akteuren befindet sich auch das Department Physik AG Nanophotonische Materialien der Universität Paderborn. Es erforscht unter anderem die Kombination von Halbleiterkristall-Züchtungsverfahren, Polymertechnik und Feinvliestechnologie, die den Weg zu einem marktreifen, textilen Photovoltaik-Werkstoff ebnen könnte. Basis der »Solarzellen-Fäden« sind Siliziumkarbid- Fasern – eine Erfindung, die das Department schon im Oktober 2006 als Patent angemeldet hatte.
Aber auch bisherige Entwicklungen können sich sehen lassen: Paderborner Wissenschaftler entwickelten neben photovoltaischem Vlies UV-absorbierende Textilien, aktiv kühlende Textilien und Textilien, die ihre Farbe verändern können. Ohne Zweifel werden sie mit ihren vielseitigen Eigenschaften eines Tages Einzug in die Architektur halten. •
Über die neuesten Entwicklungen bei Gläsern, die auf Umwelteinflüsse reagieren, berichtet die Autorin in der nächsten Rubrik »Technik aktuell« (db 10/08)
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