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Kap der guten Hoffnung

Jessica Krafczyk, seit 2005 in Südafrika
Kap der guten Hoffnung

Nach einem neunmonatigen Sydney-Aufenthalt während ihres Architekturstudiums stand für Jessica Krafczyk fest, nach Beendigung des Studium an der TU München weitere Erfahrungen im englischsprachigen Ausland sammeln zu wollen. Die Chance bot sich ihr in Südafrika, statt über 16 000 km »nur« rund 9 000 km entfernt. Noch immer erscheint sie fasziniert und gefesselt von dem Land, seiner Natur, den Menschen und ihrer Mentalität.

Text und Fotos: Jessica Krafczyk

Drei Tage nach Beendigung meines Diploms in Architektur saß ich bereits in einem Flugzeug nach Kapstadt, wo ich, 70 km entfernt auf dem Land, meinem Onkel einen Gefallen erfüllen sollte. Er ließ sich für seinen Ruhestand jeweils ein Haus für sich und seine Frau in Wellington bauen, und ich sollte die Baustelle bis zur Fertigstellung beaufsichtigen. Es war also ein neunmonatiger Aufenthalt in Südafrika geplant, der mir die hiesige Bauweise nähergebracht, mir aber auch die Kultur und das Leben der Afrikaner vielschichtig offenbart hat.
Am Anfang musste ich mich erst mal daran gewöhnen, neben dem Bauleiter die einzige weiße, vor allem weibliche Person auf der Baustelle zu sein. Gerade in dörflichen Gegenden ist es hier wohl generell noch eher ungewohnt, eine Frau auf der Baustelle zu sehen, vor allem wenn sie auch noch mit der Bauüberwachung betraut wurde. Mit dem Afrikaans hatte ich am Anfang so meine Schwierigkeiten, aber es dauerte nicht lange, und ich habe das kleine Dorf schnell kennen und lieben gelernt. Vom ersten Tag an wurde ich herzlich empfangen. Schon bald war mein einziger und inniger Wunsch, hier in diesem Land meinen Weg weiter zu beschreiten. Schon vor zehn Jahren war ich einmal für zwei Monate zu Besuch in Südafrika und der Aufenthalt hat seit jeher einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Von nur wenigen Urlaubsorten bin ich bisher so fasziniert und gefesselt worden wie von Südafrika. So wollte ich nun tiefer gehend in das Alltagsleben eintauchen, wollte wissen, was dieses Land so faszinierend macht, an welche Werte die Menschen hier glauben und wie die Geschichte dieses Landes die Menschen geprägt hat.
Da der nationale und internationale Austausch sehr groß ist, viele nur für einige Jahre hier ihr Leben verbringen und es somit immer wieder Neuankömmlinge mit den verschiedensten Kulturen gibt, ist es einfach, Menschen kennen zu lernen. Überall wird man gastfreundlich empfangen, spontane Treffen am Strand, zum Kajaking, Fliegen-Fischen oder Hiking sind keine Seltenheit. Erstaunlich ist für mich, dass keiner bei seinen Vorhaben auch nur einen Hauch von Zweifel oder Unsicherheit zulässt. Was immer auch dazwischenkommt, dem wird möglichst mit Gelassenheit, ›
› Geduld und positivem Denken begegnet. Die Unkompliziertheit, mit der offen aufeinander zugegangen wird, hat mich, glaube ich, am meisten gefesselt und beeindruckt. Hier in Südafrika wollte ich unbedingt bleiben, hier habe ich eine Chance gesehen, mich persönlich und beruflich weiterzuentwickeln. Für Kapstadt habe ich mich entschieden, da die Kriminalität weniger drastisch und lebenseinschränkend ist als in Johannesburg oder Pretoria. Außerdem ist es landschaftlich interessanter – wo hat man schon das Glück, auf Berge wie den Tafelberg und zugleich solch viele schöne Strände zu treffen.
Zu der Zeit als ich noch in Wellington auf der Baustelle beschäftigt war, beschloss ich somit, nach Kapstadt zu fahren um herauszufinden, wie die Arbeitsmarktsituation vor allem für Ausländer, die sich für einen Job in einem Architekturbüro interessieren, und die generelle Lage in Bezug auf den baulichen Fortschritt und die Nachfrage nach neuen Bauten ist. Es ist faszinierend zu sehen, wie der Bauboom hier eingeschlagen hat: Kleine Dörfer, die noch vor ein paar Jahren verschlafen und unwichtig im 75 km-Radius von Kapstadt abgelegen schienen, bekommen nun eine ganz neue Bedeutung. Es findet eine Fluktuation statt, die sich in reger Bautätigkeit äußert. Aus Städten wie Pretoria, Johannesburg und Durban kommen vermehrt Menschen in die Western Cape Region. Einige suchen sich ein Ferienhaus für die Weihnachtsferien, andere wollen der noch massiveren Kriminalität in den oben genannten Städten entfliehen. Wieder andere suchen sich einen Ort für ihren Ruhestand. Dann gibt es natürlich zahlreiche Touristen, die es mehr und mehr nach Kapstadt und dessen Umgebung zieht, um ihren Urlaub zu verbringen, sowie immer mehr Europäer, die sich hier ein zweites Zuhause aufbauen oder auf lange Zeit ihr Glück in der Ferne versuchen.
Da Kapstadt in seiner Entstehungsgeschichte noch sehr jung ist, bilden ein paar wenige Hochhäuser, ansonsten aber kleine einstöckige Privathäuser das Stadtbild. Platz war immer genügend vorhanden, und wegen der langen und heißen Sommer wird Wert auf großzügige Lebensbereiche in Außen-, Innen- und vor allem überlagernden Bereichen gelegt, die die Hauptkosten eines Projekts ausmachen, aber am ehesten gewünscht werden.
Auf meine Anfragen hin erhielt ich eine positive Resonanz und so bewarb ich mich bei mehreren Architekturbüros. Drei davon meldeten sich und luden mich zu einem Treffen ein. Mein erstes Bewerbungsgespräch hatte ich allerdings zur gleichen Zeit in meinem jetzigen Büro »Fluid Architecture«, denn parallel zu meinen Bewerbungen informierte mich ein in Wellington ansässiger Bauunternehmer, dass diese gerade Mitarbeiter suchen würden. Das Gespräch mit den drei Bürochefs Simon Mountford, Vaughan Russel und Eloise Collocot lief gut und eine Woche später trafen wir uns, um alle Formalitäten zu klären. Ein Arbeitsvisum musste beantragt werden, von Südafrika aus oder auch von der Südafrikanischen Botschaft in München. Ich beschloss, ein Immigrationsamt in Kapstadt zu wählen, da mir die Kommunikation zwischen Arbeitgeber und Immigrationsamt einfacher und direkter erschien als durch eine im Ausland vermittelnde Stelle. Unter anderem waren übersetzte Beglaubigungen, Beweis einer vergüteten Tätigkeit und Valuierung meines Architekturdiploms zu hiesigem Standard notwendig. Meine Arbeitserlaubnis erhielt ich dann etwa drei Monate nach meiner Beantragung, das war natürlich ein bedeutungsvoller Tag für mich: Legal in Kapstadt arbeiten zu dürfen, in meinem ersten Vollzeit-Job.
Soweit ich erfahren habe, ist es grundsätzlich kein Problem, eine feste Anstellung zu bekommen, gut ausgebildete Architekten werden immer gebraucht und gesucht. Es ist aber bestimmt nicht der Fall, dass lieber Architekten aus dem Ausland angestellt werden, denn die Ausbildung hier an der Universität in Kapstadt ist sehr gut und kann sich durchaus mit anderen Ländern messen. Sicher ist auch hier wichtiger, was der Lebenslauf aufzeigt und ob bestimmte Qualitäten daraus hervorgehen, die ein Büro sucht.
Ich bekomme ein akzeptables Gehalt, mit dem ich gut auskomme und mir mein Leben finanzieren kann. Das Gehalt ist mit dem für Architekten in Deutschland vergleichbar, vielleicht sogar ein wenig besser. Auch die Lebenshaltungskosten sind ähnlich. Als große »Muss-Investition« ist auf jeden Fall das Auto anzuführen, wobei hier nicht das Benzin ein Auto so teuer macht, sondern eher die Anschaffung und daraus folgende Instandhaltungskosten: Ein Auto verliert hier nicht so drastisch seinen Wert, das heißt man zahlt für ein sechs oder sieben Jahre altes Auto immer noch einen hohen Preis. Öffentliche Verkehrsmittel stehen nur bedingt zur Verfügung, zumal es leider auch nicht ratsam ist, den Alltag zu Fuß zu bestreiten – vor allem nicht bei Einbruch der Dunkelheit und schon gar nicht als Frau. Mein Fahrrad vermisse ich zwar, aber es würde ständig geklaut und im Straßenverkehr sind Autofahrer ohnehin nicht an Radfahrer gewöhnt. ›
› Seit Dezember 2005 arbeite ich nun für »Fluid Architecture« mitten in Kapstadt. Das Büro wurde etwa vor zehn Jahren gegründet, als zwei meiner heutigen drei Chefs noch zusammen studiert haben, und zählt inzwischen sechs Architekten. Wir planen vor allem großzügig geschnittene Privathäuser sowohl für Einheimische als auch Europäer und bauen bereits bestehende, meist denkmalgeschützte Bauten um. Unter Denkmalschutz stehen in Kapstadt Gebäude, die sechzig Jahre und älter sind; sie müssen bei Umbau oder Erweiterung dem alten Stadt- und Straßenbild mit Fassade, Form und Höhe entsprechen. Viele unserer Aufträge erhalten wir über ehemalige Bauherren, die für weitere und neue Projekte auf uns zurückkommen, oder aus verschiedenen gewonnenen Wettbewerben. Derzeit planen wir zwei aneinandergrenzende Wohnviertel mit jeweils sechzig Wohneinheiten, die außerhalb Kapstadts liegen. So breit gefächert die Themen unserer Projekte sind, so variieren auch die täglichen Arbeitsfelder. Meistens bin ich an drei oder vier verschiedenen Projekten gleichzeitig beschäftigt, die sich in unterschiedlichen Phasen befinden. Da wir ein relativ kleines Büro sind, arbeitet jeder für jeden und miteinander an den Projekten, die gerade am meisten Zuwendung brauchen. Auf diese Weise bin ich in fast alle Aufgaben, die ein Architekturbüro zu leisten hat, involviert: Bestandsaufnahmen existierender Gebäude, Skizzen für Präsentationen, Pläne für das Bauamt mit Informationen über Regen- und Schmutzwasserableitung, neuer Planung und altem Bestand, Werkpläne mit Details und Abstimmung mit der Tragwerksplanung und -berechnung des Statikers. Im vergangenen Jahr arbeitete ich fast ausschließlich an einer Luxus-Ferienanlage in der Nähe von Hermanus (Bilder 7 und 8) und war dabei vor allem für Detailzeichnungen, Werk- und Elektropläne zuständig, habe aber auch beim Zeichnen und Entwerfen der gesamten Inneneinrichtung mitgewirkt. Ein weiteres Projekt, an dem ich intensiv beteiligt war, ist ein großzügiges, helles Privathaus (Bild 9) mit grandiosem Blick in die weite hügelige Landschaft.
Die Atmosphäre in unserem Büro ist sehr angenehm, respektvoll, freundlich und produktiv. Jedem stellen sich ab und zu Herausforderungen, die durchaus auch gemeinsam besprochen werden. Aber natürlich geht es nicht immer nur ums Arbeiten, hier genieße ich den südafrikanischen Lebensstil. Wenn sich die Gelegenheit ergibt, wird das Wochenende am Freitag mit einem Glas guten Weines im Büro oder in einer benachbarten Bar eingeläutet. Die Arbeitszeiten sind zu vergleichen mit denen in Deutschland, vertraglich sind 45 Stunden pro Woche vereinbart, aber bei Bedarf hilft man natürlich aus und bleibt auch mal länger. Bürosprache ist hauptsächlich Englisch, hin und wieder hört man aber schon mal am Nachbartisch einen Kollegen, der mit dem Partnerbüro oder Klienten Afrikaans spricht. In der Stadt ist Englisch üblicher als Afrikaans, verstehen und reden kann es fast trotzdem jeder. Es ist vergleichbar wie das Verhältnis Hochdeutsch zu Bayrisch.
Die meisten Bauvorschriften sind ähnlich wie in Deutschland, jedoch mit dem Unterschied, dass Gebäude nur gegen Regen- und Grundwasser zu schützen sind und beispielsweise nicht isoliert werden müssen. Die Winter sind zu kurz und mild, als dass großen Wert auf eine Dämmung gelegt werden würde. Überwiegend werden Einfachverglasungen eingebaut, der Wunsch nach Doppelverglasungen kommt eher mit den Touristen. Themen wie Umweltschutz, energieeffizientes oder nachhaltiges Bauen werden bisher noch verschwindend gering behandelt. In den heißen Sommermonaten kommen Klimaanlagen oder Ventilatoren zum Einsatz; nur vereinzelt gibt es Fußbodenheizungen.
Auch auf der Baustelle wird vieles anders gehandhabt als in Deutschland: Eine gewisse Freiheit im Bauen und der Improvisation ist sehr wichtig, um Verspätungen bei Materiallieferungen entgegenzuwirken oder auch um Bauleiter, die ungern nach Planzeichnungen arbeiten, zu unterstützen. Oftmals kann man die unregelmäßige Anwesenheit von Arbeitskräften wegen Alkoholmissbrauch und nicht zuletzt den ständigen Diebstahl von Material oder Werkzeugen auf den Baustellen anführen, die mir als unfassbar erschienen und zudem den Bauprozess unnötig in die Länge ziehen und allen Beteiligten finanziell Schaden bringen. Diese Arbeitsweise konnte ich vor allem während meiner Bauaufsicht in Wellington beobachten.
Trotz des großen dunklen Schattens der Kriminalität in diesem Land kann man nicht anders als diesen Fleck der Erde in allen anderen Facetten zu bewundern und in sich aufzunehmen. Die Landschaft ist atemberaubend, das Wetter fast täglich fantastisch und die Menschen leisten Außergewöhnliches unter manchmal nicht ganz einfachen Bedingungen. Ich bin froh über die Chance, die ich hier habe, und bin gespannt, was die Zukunft bringt. •
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