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Grosse Welt in der Kleinstadt

Andrea Schmidt, seit 2004 in Olot (Katalonien)
Grosse Welt in der Kleinstadt

Meist sind es die quirligen Metropolen, die junge Absolventen anziehen – Barcelona etwa. Andrea Schmidt jedoch zog es allein der Architektur wegen in eine kleine Provinzstadt bei Girona in Katalonien. Abwechslung durch Bars, Kino, Konzerte gibt es unter der Woche wenig, und das soziale Umfeld bilden fast ausschließlich die Kollegen. Diese bieten ihrer internationalen Herkunft wegen viele interessante Seiten und sorgen für ein weit gespanntes Netzwerk.

Text: Andrea Schmidt Fotos: Andrea Schmidt, Eugeni Pons, RCR Arquitectes

Hannover ist nicht die Welt, und Sprachen zu lernen macht mir Spaß. So entstand nach längeren Aufenthalten in Frankreich und Italien der Wunsch, im Anschluss an das Studium einige Zeit in Spanien zu leben, um Sprache, Arbeits- und Lebensweise kennen zu lernen. Mein Interesse an spanischer Architektur wuchs während eines Studienjahrs am »Politecnico di Milano«, wo auffallend viele Spanier studierten. Veröffentlichungen über die katalanischen Architekten RCR Arquitectes weckten den Wunsch, in diesem Büro zu arbeiten – was ich nun seit Mai 2004 auch tatsächlich tue.
Bevor ich angefangen habe, mich in verschiedenen spanischen Büros zu bewerben, lagen meine größten Bedenken darin, dass ich nicht über ausreichende Sprachkenntnisse verfügen würde, um wirklich dort arbeiten zu können. Deshalb belegte ich mehrere Sprachkurse in Deutschland und einen Intensivkurs in Spanien und habe dann von dort aus meine Bewerbungen losgeschickt.
Die positive Rückmeldung von RCR kam relativ zügig; allerdings entsprachen die Bedingungen, das heißt die Bezahlung, ganz und gar nicht meinen Vorstellungen. Es lag nun an mir, mich zu entscheiden, ob ich mich darauf einlassen wollte. Zum einen mochte ich nicht das Spiel der »Generation Praktikum« mitmachen, zum anderen ging es darum, einen Traum zu verwirklichen. Und dieser Gedanke hat mich am Ende überzeugt, und ich habe zugesagt. Danach ging alles sehr zügig; einige Wochen später bin ich mit zwei Koffern nach Olot umgezogen. ›
Leben in Olot
Olot ist eine Stadt mit 30 000 Einwohnern, im Verwaltungsbezirk Garrotxa gelegen, etwa 120 Kilometer nordwestlich von Barcelona und 40 Kilometer von Girona entfernt. Die Landschaft ist herrlich, eine Vulkangegend. Sie bietet wunderbare Freizeitmöglichkeiten: Wandern und Radfahren in direkter Umgebung, Skigebiete sind in anderthalb Stunden zu erreichen und zur Mittelmeerküste ist es auch nicht weit.
Das Einleben in Olot wurde mir sehr leicht gemacht. Gleichzeitig mit mir fing auch eine Kommilitonin aus Hannover bei RCR an. Sie hatte davor schon ein Praktikum dort absolviert und besaß noch Kontakte zu Kollegen, bei denen wir einquartiert wurden, bis wir selbst eine Wohnung gefunden hatten.
Es ist nicht immer einfach, im Ort eine Wohnung zu finden; Wohngemeinschaften sind unüblich, Mietverträge werden langfristig abgeschlossen. Die meisten RCRler teilen sich Wohnungen, deren Bewohnerkonstellation sich mit den wechselnden Praktikanten und Kollegen verändert. Meine jetzige Wohnung ist traumhaft: Sie ist zwar klein aber verfügt über eine große Dachterrasse mit Blick auf den Vulkan Montsacopa. Die Mieten liegen natürlich niedriger als in Barcelona – ich zahle im Monat 300 Euro plus Nebenkosten. Lebensmittel im Supermarkt sind ungefähr so teuer wie in Deutschland, Obst und Gemüse auf dem Markt wesentlich günstiger, ebenso wie die Preise in Restaurants, Bars und Cafés.
Im Büro
Von Anfang an war ich beeindruckt von der Klarheit der Entwürfe aus dem Büro RCR, besonders bei den kleineren Gebäuden, die sich harmonisch in die Umgebung einfügen. Sie stören nie, sondern unterstreichen eher die Besonderheit des Ortes, machen den Nutzer auf seine Schönheit aufmerksam. Nichts ist übertrieben, alles scheint genau so sein zu müssen, wie es ist.
Diese Werte, die ich schon auf Fotos in Veröffentlichungen gespürt habe, konnte ich dann bei der Arbeit im Büro wiederfinden.
Es wird wieder und wieder die Form, das Material, das Detail diskutiert und notfalls, wenn etwas nicht harmonisch scheint, wird bis zuletzt geändert. Dadurch verlängern sich selbstverständlich die Entwurfsprozesse. Selbst während des Baus werden viele Details geändert oder entwickelt, Materialien überprüft. Lichtplanung wird sehr ernst genommen und mit vielen Lichtproben am Bau optimiert.
Sehr positiv überrascht war ich vom direkten Kontakt und den häufigen Diskussionen, die ich von Anfang an und trotz meiner Sprachschwierigkeiten mit meinen Chefs, Rafael Aranda, Carme Pigem und Ramón Vilalta hatte.
Bürosprache ist Spanisch mit Ausländern, sonst natürlich Katalanisch, Englisch wird nur im Notfall, unter Kollegen gesprochen. Treffen oder auch Telefongespräche sind in Spanien wesentlich informeller als in Deutschland.
Die Atmosphäre im Büro mit etwas über zwanzig Personen ist äußerst angenehm, sehr familiär. Die Kollegen sind sehr jung und stammen aus den verschiedensten Ländern Europas, aus Argentinien und aus Japan.
Es herrscht keine Konkurrenz untereinander, alle sind sehr hilfsbereit, erklären gern alle arbeitsbezogenen Fragen und sind auch sonst sehr behilflich was das Einleben betrifft – von der Anmeldung bis hin zu Fragen der medizinischen Versorgung. Jeder, egal woher, wird sofort von den Kollegen aufgenommen und integriert.
Man arbeitet sehr viel, 47 Stunden in der Woche, oft auch bis in den späten Abend hinein und am Wochenende. Es gibt 23 Urlaubstage im Jahr, allerdings sind diese nicht sehr flexibel, da das Büro im Sommer drei Wochen komplett schließt. Die Arbeitszeiten sind auf 8.30 bis 13 Uhr und 15 bis 20 Uhr festgelegt. In der zweistündigen Mittagspause geht man meistens nach Hause, um sich kurz vor drei wieder mit den Kollegen auf einen gemeinsamen Kaffee zu treffen. ›
› Wir unternehmen auch in der Freizeit sehr viel gemeinsam. Ausflüge und Reisen oder Exkursionen zu Baustellen unseres Büros, die häufig mit einem Picknick am Strand abschließen, intensivieren die kollegiale Atmosphäre.
Ich habe gleich zu Beginn meiner Anstellung ein eigenes kleines Entwurfsprojekt bekommen – den Umbau eines alten Stallgebäudes – das heißt, ich hatte von Anfang an die Möglichkeit, konzeptionell zu arbeiten und zu entwerfen. Leider hängt es bis jetzt immer noch an den Auftraggebern, ob der Umbau verwirklicht werden kann.
Mittlerweile habe ich an einigen Wettbewerben mitgearbeitet und auch für drei die Projektleitung übernommen. Einen großen Wettbewerb für den Hauptsitz eines Pharmakonzerns in der Nähe von Barcelona mit Büros und Laborräumen (18 750 Quadratmeter Nutzfläche) haben wir gewonnen, und ich bearbeite auch die weitere Planung.
Ein weiteres Projekt ist die Kellerei Perelada in der Nähe von Figueres. Das »Baisco« – die erste Phase der Genehmigungsplanung – ist abgeschlossen, nun beginnt die nächste Planungsphase, das »Ejecutivo«.
Kürzlich schlossen wir einen sehr großen Wettbewerbsbeitrag für ein Projekt in Dubai ab, dessen Leitung ich übernommen hatte. Ich fand das Projekt sehr spannend, da es um die Verknüpfung verschiedener Nutzungen ging (Arbeiten, Wohnen, Gastronomie, Handel, Landschaftsplanung). Das Team war bunt gemischt mit Kollegen aus Spanien, Portugal, Frankreich, Ungarn und Dänemark, außerdem arbeiteten wir mit dem befreundeten belgischen Büro Coussée & Goris zusammen. Die Kommunikation mit Belgien per Videokonferenz und E-Mail funktionierte sehr gut, und wir organisierten zwei kurze Workshops in Olot.
Freundschaften
Alles konzentriert sich sehr stark auf die Arbeit. Einen großen Teil der Freizeit verbringe ich mit den Kollegen, wobei das Feiern nicht zu kurz kommt. Es werden auch viele gemeinsame Abendessen organisiert – mit äußerst interessanter internationaler Speisekarte.
Die Entfernung von 120 Kilometern nach Barcelona ist relativ groß, wenn man kein eigenes Auto besitzt. Der Bus braucht mehr als zwei Stunden. Trotzdem bin ich häufig dort, denn einige meiner ehemaligen Kollegen wohnen mittlerweile in der Stadt. Der Kontakt ist weiterhin gut und intensiv. Schnell lernt man so weitere Leute kennen, und auch über andere deutsche Architekten, von denen es sehr viele in Barcelona gibt, wird der Bekanntenkreis schnell größer. An den Wochenenden bin ich viel unterwegs. Im Sommer sind wir natürlich oft an der Costa Brava, aber auch Frankreich ist nah und ein beliebtes Ziel für Wochenendausflüge.
Was mir häufig fehlt ist die Abwechslung an Wochentagen. Es gibt zu wenige verschiedene Bars oder Restaurants, nur ein Kino und ab und zu Programmkino. Das ist von Nachteil, wenn man abends nach der Arbeit einfach abschalten will oder Neues und Anderes sehen möchte. Wieder muss man viel Eigeninitiative zeigen und beispielsweise Basketballspiele oder Filmabende mit den Kollegen organisieren.
Ich schreibe gern Briefe und telefoniere viel und habe deshalb nicht das Gefühl, dass meine alten Freundschaften in Deutschland durch meinen Aufenthalt im Ausland an Qualität verloren haben. Ich verbringe meine Urlaube immer in Deutschland, was viele verwundert. Aber es ist mir wichtig, mit meinen Freunden den Alltag zu leben, an dem ich nicht teilhabe, weil ich in Spanien bin. Natürlich bekomme ich auch viel Besuch aus Deutschland, einige meiner Bekannten waren bereits wiederholt in Olot.
Eine Besonderheit ist mein fester, unbefristeter Arbeitsvertrag, was kaum einer meiner Bekannten in Spanien hat. Das heißt, dass ich in Spanien krankenversichert bin (zusätzlich zur deutschen Privatversicherung), Steuern zahle und auch Arbeitslosengeld bekäme.
Die Bedingungen in Spanien, und vor allem in Barcelona, sind für Architekten wegen der großen Nachfrage nach Jobs und der hohen Zahl ausländischer Interessenten nicht optimal. Ich vermute, dass es für die Architekturbüros in Barcelona, ähnlich wie in Deutschland, einfach günstiger ist, freie Mitarbeiter einzustellen als feste.
Mittelfristig werde ich nach Deutschland zurückgehen. Organisatorisch steht dem nichts im Wege. Für den Eintrag in die Architektenkammer gelten dieselben Bedingungen, egal ob man in einem Büro in Deutschland oder in Spanien gearbeitet hat.
Vorbereitung
Um für sich selbst das Maximum aus dem Auslandsaufenthalt ziehen zu können, sollte man über gute Grundkenntnisse der Fremdsprache verfügen. Mitarbeiter ohne ausreichende Verständigungsmöglichkeiten wurden häufiger mit der Arbeitssituation unzufrieden, weil sie nicht genug anspruchsvolle Aufgaben bekamen. Das hat sich dann immer gelegt, wenn sich der Kollege nach einiger Zeit besser verständigen konnte.
Ich empfehle jedem, sich frühzeitig um ein Auslandsstipendium zu kümmern. Das Leonardo Da Vinci-Stipendium wird von der Europäischen Union finanziert und unterstützt, soweit mir bekannt ist, Arbeitspraktika in einem zeitlichen Rahmen von sechs bis neun Monaten. Die Höhe des Zuschusses hängt von dem Zielland ab. Für das Praktikum – während des Studiums oder innerhalb des ersten Jahres nach dem Abschluss – bewirbt man sich beim Akademischen Auslandsamt der eigenen Universität oder Hochschule. •
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