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Tierkrematorium in Žižice

Hundehimmel hinterm Spiegel
Tierkrematorium in Žižice

Gestern Bunker und Panzergarage im Kalten Krieg, heute ein Tierkrematorium. Architekt Petr Hájek hat mit dieser ungewöhnlichen Bauaufgabe in der Nähe von Prag bewiesen, dass man auch mit wenig Geld ästhetisch anspruchsvolle, respektvolle Räume schaffen kann.

Architektur: Petr Hájek Architekti

Kritik: Wojciech Czaja
Fotos: Martin Chum, Petr Hájek Architekti

Seit einer halben Stunde liegt Nero in den Flammen, ausgerechnet Nero. Der 33 kg schwere Labrador – 15 Jahre alt ist er geworden – wird gerade kremiert. Insgesamt wird der Einäscherungsvorgang ziemlich genau eine Stunde dauern, denn der B & L Brennofen, Modell BLP 200/75, 3 700 W Power, made in Florida, hat eine Brennleistung von 34 kg pro Stunde. Morgen, das verrät der Blick auf den händisch ausgefüllten Bestellschein, wird ihn seine Besitzerin abholen. In einer Edelstahlurne, unisize für alle Tiere, eingepackt in eine schlichte Box aus Naturkarton, darüber eine Masche aus weißem Garn.

»Als wir mit unserem Business begonnen haben«, sagt Martin Chum, Betreiber der brennheißen Location und zugleich Architekturfotograf im Hauptberuf, »gab es in ganz Tschechien ein einziges Tierkrematorium, und zwar in  der Nähe von Brno. Die Hündin eines lieben Freundes war gestorben, er wollte sie einäschern, wir haben recherchiert, waren über das eine dürftige Suchergebnis ziemlich erstaunt und haben in einem Moment des Wahnsinns beschlossen, selbst ein Krematorium für Haustiere zu eröffnen.« Das war 2011. Neun lange Projektjahre später konnte das ungewöhnliche Unterfangen schließlich realisiert werden. 2020 nahm das Tierkrematorium in Žižice, rund 25 km nordwestlich von Prag, seinen Betrieb auf.

»Die Standortsuche war alles andere als einfach, denn Bürgermeister wünschen sich vieles in ihrer Gemeinde, Ansiedlungen, Betriebsgründungen, gewerbliche Niederlassungen aller Art, aber das Letzte, was sie haben wollen, ist ein Krematorium«, erzählt Chum. Hier in Žižice, mitten im Grünen, habe man die besten Rahmenbedingungen vorgefunden, um das Projekt in die Realität umzusetzen. Einst war das Areal eine militärische Einrichtung, ein Truppenübungsplatz mit Panzergarage, errichtet zu Beginn des Kalten Kriegs. Nach 1989 wurde das Land mit all seinen Bunkern und unterirdischen Betongaragen privatisiert, seit damals siedeln sich hier – in großer Entfernung zu bestehenden Wohnsiedlungen – allerhand exotische Nutzungen und Start-up-Unternehmungen an. Eine davon trägt nun den poetischen Titel »Věčná loviště«, ewige Jagdgründe.

Tausendfach gepixelt

Schon die Anfahrt hat etwas Ewiges, Kontemplatives: Bundesstraße 16, dann weiter auf der Nebenstraße 10142, dann die Abzweigung nach rechts, einen Kilometer auf einer Schotterstraße durch ehemaliges Sperrgebiet, es knirscht unter der Bodenplatte, bis man schließlich vor einem halb eingegrabenen Bunker steht, links und rechts zwei massiv betonierte Flügelmauern, dazwischen eine knapp 70 m² große Spiegelwand aus 6 000 einzeln verklebten, hexagonal zugeschnittenen Spiegelplatten. Hier ist der Weg zu Ende, und doch setzt sich der Blick fort, in ein ungewisses, verschwommenes, tausendfach gepixeltes Land nach dem Tod. Noch nie zuvor hatten die ewigen Jagdgründe – ob nun in tierischer Hinsicht oder in der Interpretation menschlicher Paradiese – eine so schöne, berührende architektonische Entsprechung wie hier. Man muss kurz schlucken.

Im linken Teil der Spiegelwand befindet sich ein großes Tor, einst Garagentor für einen Panzer, geschickt kaschiert durch die hexagonalen Fugen, fast unsichtbar für die unwissenden Augen. Durch eine kleine Tür geht es rechts ins Innere des einfachen, mit billigsten Mitteln und doch mit hoher ästhetischer Gabe gestalteten Zweckbaus. Das planende Büro hinter der nicht ganz alltäglichen Bauaufgabe ist Petr Hájek, eine Art Außenseiter, ein Architekturkünstler, ein Spezialist für das Extreme, der zuletzt in der historischen Kurstadt Karlsbad inmitten eines ehemaligen, denkmalgeschützten Kurhauses eine knallrote metallische Bühne für die Tschechische Philharmonie installiert hat. Seine Projekte sind radikal, seine Lehre an der Technischen Universität Prag (ČVUT) prägend, seine Forschung am selbst gegründeten LEA Laboratory of Experimental Architecture bedingungslos leidenschaftlich.

»Wir wurden gefragt, ob wir dieses Low-Budget-Projekt planen und künstlerisch begleiten können«, sagt Martin Stoss, Projektleiter bei Petr Hájek Architekti, »und ja, die Anfrage hat uns wirklich gereizt. So ein Projekt wird kein zweites Mal auf uns zukommen!« In sehr enger Zusammenarbeit mit Martin Chum, der die Věčná loviště gemeinsam mit seinem Partner Michal Šeba betreibt, wurde der Bestand analysiert und auf wirklich notdürftigste, minimale, aber zugleich stilsichere Weise umgebaut. Das knappe Projektbudget – mitsamt Brennofen und Haustechnik, die in diesem Projekt den Löwenanteil ausmacht – war das Maß aller Dinge.

Einfach und würdevoll

Gleich neben dem Eingang gibt es ein kleines Büro, nackte Betonwände, weiße Dispersionsfarbe an der Wand, schlichte, zweckdienliche Möbel, aber schon hier offenbart sich eine kleine Besonderheit: Die Türklinke, ein einfacher Drücker aus schwarzem Stahl, hat ein benachbarter Handwerker in seiner Garage zusammengeschweißt und lackiert. Ein paar Schritte weiter findet man sich in einem kleinen Wartesaal wieder, ein nackter, weißer Raum, Oberlichter mit Blick in den Himmel, das kleine Tischchen aus Birkenholz ein Entwurf aus dem Archiv von Petr Hájek, eigenwillig in der Form, robust und stapelbar, auf der Kredenz eine weiße Kerze, flackernde Flamme.

Mit großem Radius öffnet sich die doppelflügelige Tür in den Andachtsraum. Alles weiß, eine gespannte Lichtdecke mit ruhigem, leicht gedimmtem Licht, am Boden gegossenes Epoxidharz, mittendrin eine 20 cm breite Fuge, hier stand mal eine Betonwand, nun ausgefüllt mit einer unbehandelten Eichenbohle, ein Holzstuhl, eine Kredenz für den Tierkadaver, der zur Aufbahrung und Verabschiedung in ein Tuch gehüllt wird, kein unnötiges Ornament weit und breit, hinten in der Ecke eine Tür, sie kann nur von außen geöffnet werden, wenn Chum kurz aus dem Brennraum eintritt, um das tote Tier aufzuheben und mitzunehmen.

»Dieser Raum wird nicht wirklich oft genutzt, denn in den meisten Fällen verabschieden sich die Tierbesitzer von ihrem vierbeinigen Freund schon beim Tierarzt oder in ihrem eigenen Zuhause«, meint Chum, der es aber dennoch nicht bereut, die Möglichkeit geschaffen zu haben. Insbesondere ältere, alleinstehende Menschen möchten mit ihrem Wegbegleiter gerne noch mal ein paar ruhige Minuten verbringen, ob das nun ein Hund ist, wie in rund 90 % der Fälle, oder eine Katze, ein Hase, ein Hamster, ein Meerschweinchen, ein Papagei.

»Nero ist gleich fertig.«

Hinter all diesen einfachen, aber respektvoll gestalteten Kulissen schließlich befindet sich der alltägliche Arbeitsbereich des Betreibers. Im Normalfall haben die Besucher hier keinen Zutritt, es sei denn, sie möchten die Einrichtung und den Brennofen explizit sehen. Im Regal stehen Urnen mit bereits kremierten Tieren, mit Caesar, einem Rottweiler, und Irving, einer französischen Bulldogge. Schräg gegenüber befindet sich der Kühlraum mit einer konstanten Temperatur von vier 4 °C, wo – eingepackt in weiße Kunststofftaschen, eine Vorschrift der Behörde zur Hygiene – die Kadaver bis zur Kremierung gekühlt werden; es riecht wie beim Fleischer.

»Ich denke, Nero ist gleich fertig«, sagt Chum, das Feuer hat 800 °C. Er öffnet zum Check kurz die Klappe, vom Hund ist fast nichts mehr übrig, in wenigen Minuten wird er das Brennprogramm beenden. »Mich hat der Tod immer schon fasziniert, ich finde das Thema so spannend wie das Leben. Aber dennoch hätte ich nie gedacht, in diesem Geschäft eines Tages operativ tätig zu sein. Manche Dinge passieren eben. Es ist ein schöner, wichtiger Job, aber er macht mich auch traurig und nachdenklich. Mein Herz schlägt nach wie vor für die Architekturfotografie.«

Kein Wunder also, dass Chum seine Arbeitsstätte auch selbst fotografiert und die Fotos der db zur Verfügung gestellt hat. Er muss zurück zum Brennofen, die Aus-Taste drücken. »Die Planung des Projekts, obwohl es sich dabei eigentlich um einen sehr einfachen Umbau handelt, hat sich dennoch über viele, viele Monate erstreckt«, sagt Projektleiter Martin Stoss. »Die Behörden haben wenig Erfahrung mit solchen Bauaufgaben, und gerade im Bereich der Haustechnik braucht es viele Abgasgutachten und Naturschutz-Genehmigungen, die bei einem anderen Projekt üblicherweise kein Thema sind. Gerade hier draußen auf dem Land wartet man Monate auf die nötigen Bescheide.«

Hinter dem Haus, die steile Böschung bergauf, einmal quer durchs Gestrüpp, befinden sich auf der Hügelkuppe, versteckt hinter Büschen und Bäumen, drei Propangas-Tanks, die alle paar Monate mittels Lkw und ausgerollten Schlauchs wieder aufgefüllt werden müssen. »Es war ein sehr schönes Projekt, das uns als Architekten darin geübt hat, mit wenig finanziellem und gestalterischem Spielraum dennoch ein Maximum an Ethik und respektvollen Raum zu schaffen«, sagt Stoss. Ein stählernes Abgasrohr ragt aus dem intensiv begrünten Dach, der Rauch ist verschwunden, Nero ist jetzt drüben hinter dem Spiegel, in den ewigen Jagdgründen.


Unser Kritiker Wojciech Czaja hatte zwar nur einmal ein Haustier, einen Goldhamster nämlich, und auch das ist schon 35 Jahre her, aber das Projekt in Žižice hat es ihm angetan. Nicht nur wegen der instagramtauglichen Pixel, sondern auch wegen der simplen, aber berührenden Ästhetik an diesem Ort.


  • Standort: Drnov 61, CZ-Žižice 27401

    Bauherr: Věčná loviště, Žižice
    Architektur: Petr Hájek Architekti, Prag
    Projektteam: Petr Hájek, Martin Stoss, Cornelia Klien
    BGF : 250 m²
    BRI: 1 250 m³
    Baukosten: keine Angaben
    Bauzeit: Juni 2018 bis Februar 2021

Petr Hajek Architekti


Petr Hajek

1995 Architekturstudium an der Czech Technical University, Prag. 1998 Architekturstudium an der Academy of Fine Arts, Prag. 1998-2016 eigenes Büro. Seit 2009 eigenes Büro. Professur an der Czech Technical University und der Academy of Fine Arts, Prag.


Wojciech Czaja

Architekturstudium an der TU Wien. Freischaffender Architekturjournalist für Tagespresse und Fachmagazine. Zahlreiche Bücher. Seit 2005 Tätigkeit für die österreichische Tageszeitung Der Standard.

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