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Zementfreie Werkstoffe für die Gebäude der Zukunft

Nachhaltige Baumaterialien
Zementfreie Werkstoffe für die Gebäude der Zukunft

Die Zementindustrie trägt als energie- und emissionsintensive Branche eine besondere Verantwortung beim Klimaschutz. Bis 2050 wollen die Produzenten klimaneutralen Zement und Beton herstellen. Überall auf der Welt arbeiten Wissenschaftler bereits seit einigen Jahren an innovativen Technologien, um CO2-Emissionen einzusparen und natürliche Ressourcen zu schonen.

Text: Diana Drewes

Gebaut wird immer – die Bevölkerung steigt und Wohnraum wird dringend benötigt. Die Zementproduktion soll für rund 7 % des weltweit emittierten CO2 verantwortlich sein. Laut dem Verein Deutscher Zementwerke (vdz) werden bei der Herstellung von einer Tonne Zement in Deutschland ca. 600 kg CO2 in die Atmosphäre ausgestoßen. Dabei entfällt ein Drittel auf den Einsatz von Brennstoffen für die Öfen.

Bei Temperaturen um 1 450 °C wird Kalkstein zu Zementklinker umgewandelt. Die restlichen Zwei Drittel der CO2-Emissionen gehen auf rohstoffbedingte Prozessemissionen zurück. Um das Ziel von klimaneutralem Zement und Beton zu erreichen, bedarf es innovativer Technologien, die die herkömmliche Art des Bauens mit Beton grundlegend und nachhaltig verändern werden.

Zementfreier Beton dank Alkohol

Wissenschaftler vom Institute of Industrial Science der University of Tokyo haben jüngst eine neue Methode zur Bindung von Sandpartikeln präsentiert, die ohne die Zugabe von Zement auskommt. Professor Yuya Sakai und sein Team erklären, dass sie Trialkoxysilane aus Sand durch eine Reaktion mit Alkohol und einem Katalysator herstellen können, indem sie das Wasser, das ein Nebenprodukt der Reaktion ist, entfernen.

Hinter dieser scheinbar simplen chemischen Reaktion steht jahrelange Forschung. Denn um ein Produkt mit ausreichender Festigkeit zur erhalten, braucht es optimale Reaktionsbedingungen. Die richtigen Mengenverhältnisse von Sand, Alkohol, Katalysator und Dehydrierungsmittel sowie Heiztemperatur und Reaktionszeit mussten systematisch ermittelt werden.

Nach Aussagen der Wissenschaftler konnten auch unter Einsatz von Quarzsand, Glasperlen und sogar Wüstensand mechanisch stabile Baustoffverbindungen realisiert werden. Vor allem die Verwendung von Wüstensand ist dabei bemerkenswert. Denn dieser konnte bislang nicht für Baumaterialien genutzt werden, da er aufgrund seiner runden Körnung kaum zu fixieren ist.

Cleancrete – Zementfreier Beton aus Erde und Lehm

Das Team um Dr. Gnanli Landrou, Firmengründer des ETH Spin-off Oxara, verwendet zur Herstellung eines zementfreien Betons mit Namen „Cleancrete“ eine lokal verfügbare Ressource: Erde. Der nachhaltige Beton besteht aus Aushubmaterial oder lehmhaltiger Erde von der Baustelle, Wasser und einer speziell entwickelten chemischen Mischung namens Oxacrete.

Diese Zutat macht weniger als ein Prozent der gesamten Betonmasse aus und dient als Verflüssiger für den Lehm – dem eigentlichen Bindemittel. Da bei einem neuen Bauprojekt immer Erdaushub anfällt und somit lokal verfügbar ist, können bereits hier Kosten und CO2 eingespart werden. Der geringe Arbeitsaufwand zur Aufbereitung der Rohstoffe wirkt sich ebenfalls positiv auf die CO2-Bilanz und den Preis aus. Nach Schätzungen des Oxara-Teams können bis zu 20 % der Baukosten eingespart werden, wenn man z. B. nichttragende Zwischenräume wie Wände mit Cleancrete auffüllt, anstatt wie bisher herkömmlichen Beton zu verwenden.

Chitin als Bindemittel für 3D gedruckte Behausungen auf dem Mars

Chitin ist das am zweithäufigsten vorkommende Biopolymer in der Natur nach Zellulose. Man findet es in den Exoskeletten von Insekten sowie maritimen Krustentieren, in Fischschuppen und in den Zellwänden von Pilzen. Das Entwicklerteam um Javier Fernandez von der Singapore University of Technology and Design, nutzt Chitin bzw. Chitosan, um feinen mineralischen Staub, wie man ihn auf dem Mond oder Mars findet, zu binden.

Geht man davon aus, dass sich Astronauten bei einer möglichen Marsmission von proteinreichen Insekten wie Mehlwürmern, Grillen oder Heuschrecken ernähren, blieben nicht verzehrbare Teile der Insekten zwangsläufig als Abfallprodukt übrig. Daraus könnte wiederum in einem unkomplizierten Verfahren Chitosan extrahiert werden.

Erste Versuche im Labor, ein dem Marsstaub ähnliches Material, wie man es auf der Planetenoberfläche findet, mit Chitosan zu binden, verliefen vielversprechend. Mittels 3D-Drucker konnten kleinere Objekte umgesetzt werden. Nach Angaben von Javier Fernandez erinnert die Haptik der ersten Objekte an herkömmliche Betonoberflächen. Auffällig war jedoch das geringe Gewicht der 3D-Objekte. Auch die von der NASA gewünschten Festigkeiten, die an das neuartige Material gestellt werden, wurden bereits erfüllt.

CarbiCrete – Karbon-negativer Beton

Das kanadische Start-up Carbicrete arbeitet an einem Beton, der mehr CO2 bindet, als bei der Herstellung emittiert wird. Hierfür ersetzen sie den Zement zunächst komplett durch gemahlene Schlacke, ein Nebenprodukt der Stahl produzierenden Industrie. Bei der Herstellung von Roheisen im Hochofen wird Eisenerz geschmolzen, um das darin enthaltene Metall zu isolieren. Übrig bleibt sogenannte Hochofenschlacke, die nicht aus Metall, sondern aus den nichtmetallenen, mineralischen Erzbestandteilen besteht.

Die gemahlene Schlacke wird mit den üblichen Steinmaterialien und Körnungen vermengt und als Frischbeton in spezielle Schalungen gegossen. Kleine Formen wie Hohlblocksteine können in abgeschlossenen Kammern mithilfe von Kohlendioxid binnen 24 Stunden komplett abbinden. Damit verkürzt sich die Abbindezeit von 28 Tagen auf nur 24 Stunden. Die Kohlendioxidatmosphäre sorgt zudem für eine dauerhafte CO2-Bindung im Beton. Es wird mehr CO2 gespeichert, als bei der Herstellung emittiert. Einziges Manko: Leider liegt der Anschaffungspreis für eine solche Spezialkammer bei gut 2 Mio. Euro.

Obwohl es momentan nur wenige zementfreie Betoninnovationen auf dem Markt gibt, stimmen die vielseitigen Ansätze der Forscher positiv. Nun ist es an der Politik die Weichen zu stellen, die technische Machbarkeit entsprechend zu zertifizieren und weitere Entwicklungsarbeit zu fördern.


  • Weitere Informationen:

[1] www.umweltbundesamt.de/gesundheit/innenraumhygiene/innenraumluftkontaminationen.pdf

[2] www.stuttgarter-zeitung.de vom 9. August 2013, »Narkotikum in der Luft: Kita bleibt zu«


Diana Drewes

Produktdesignstudium an der weißensee kunsthochschule berlin. Seit 2017 Biodesignerin bei der Zukunftsagentur Haute Innovation, Berlin. Seit 2015 Vorträge und Publikationen zu materialrelevanten Themen.

 

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