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Ingenieurporträt: Mamoru Kawaguchi

Ingenieurporträt
Mamoru Kawaguchi

Mamoru Kawaguchi gehört zu den bedeutendsten Ingenieuren in Japan. Bezeichnend sind vor allem seine herausragenden, weit gespannten Tragwerke, etwa Schalen oder Hängedächer, und sein Umgang mit pneumatischen Konstruktionen und Leichtbauprinzipien.

Mamoru Kawaguchi is one of the most distinguished engineers of our times. His work is characterised by outstanding wide-spanning structures, such as shells or suspension roofs, and his use of pneumatic construction and lightweight structural principles.

Am 24. Oktober 1997 verlieh die Universität Stuttgart die Würde eines Doktor-Ingenieurs ehrenhalber an Professor Dr.-Ing. Mamoru Kawaguchi »in Anerkennung seiner herausragenden Beiträge als Ingenieur, Forscher und akademischer Lehrer zum Entwurf, zur Formfindung und zur Analyse weit spannender Tragwerke, die in Konzeption, Konstruktion und Bauausführung innovativ sind und der Praxis richtungsweisende Impulse gaben«. Seine Verbindungen zur Universität Stuttgart gehen gar auf das Jahr 1966 zurück, als er nach einer Tagung der International Association for Shell & Spatial Structures IASS – einer von Eduardo Torroja in Madrid gegründeten, relativ kleinen aber sehr lebendigen und von persönlichen Freundschaften geprägten internationalen Gruppe – den Architekten und Ingenieur Curt Siegel an der Stuttgarter Universität besuchte, um mit ihm seine Übersetzung dessen Buchs »Strukturformen der modernen Architektur« zu besprechen. Auf dieser Tagung in Leningrad, dem heutigen St. Petersburg, trafen wir uns zum ersten Mal. Mit offenen Augen und Mund erlebte ich, wie er zusammen mit seinem großen Meister Yoshikatsu Tsuboi über die wohl faszinierensten Bauten der Nachkriegszeit berichtete, die Arenen für die Tokio Olympiade 1968 (Bild 2). Wir konnten uns damals unmöglich vorstellen, dass er, unser Stuttgarter kollegialer Freund Ekkehard Ramm und ich unabhängig voneinander einmal den Tsuboi-Preis mit dem Motto »A structure’s beauty can be found near its rationality« bekommen würden. Ich lernte die wahre Bedeutung dieses Spruchs auf dieser Tagung von Tsuboi und Kawaguchi kennen, als sie sehr anschaulich in Wort und Bild erklärten, warum sie eine von der reinen Hängeform abweichende, leicht geknickte Linienführung der Dächer akzeptierten und diese gar mit biegesteifen Elementen »erzwangen«: um dem Architekten und – ganz wichtig – auch sich selbst, aus gestalterischer Sicht einen Gefallen zu tun, denn dieser irrationale Knick belebt die Dachfläche ganz offensichtlich. Ich verstand erstmals, dass der Ingenieur zwar sicher stets versuchen soll und wird, die Form seiner Struktur aus deren Funktion und ihrem Kraftfluss abzuleiten, dass er aber auch nur, »near reality« argumentierend, seinem Gefühl für die gute Gestalt nachgeben darf. »Ich mach es so, weil es mir gefällt.«
Zur Person Mamoru Kawaguchi, am 21. Oktober 1932 geboren, wuchs in der Kleinstadt Fukui City zusammen mit sieben Geschwistern als Sohn streng gläubiger Buddhisten auf. Er heiratete 1961 und ist Vater von vier Kindern, der Älteste, Ken’ichi, ist auch Bauingenieur und bei seinen Reisen immer dabei. Im Zweiten Weltkrieg fiel sein Elternhaus einem Fliegerangriff zum Opfer. Im Juni 1948 wurde es wiederum durch ein schweres Erdbeben zerstört, wobei die Familie glücklicherweise überlebte. Diese prägenden Erlebnisse trugen dazu bei, dass er Bauingenieur wurde und sich später forschend mit dem größten Feind unserer Bauwerke, dem Erdbeben, auseinander setzte. Sein Vater, den er sehr verehrte, überlebte den erneuten Schicksalsschlag nur wenige Jahre. So wurde Mamoru das verantwortliche Familienoberhaupt und konnte nicht in Tokio studieren, sondern, ab 1951, nur zu Hause an der Fukui University. Dort traf er auf Professor Hirohiko Yoshida, der nicht nur ein begabter Forscher und Lehrer der Baustatik war, sondern auch einen ausgeprägten Sinn für Schönheit hatte. Er brachte seinen Studenten das Zeichnen und Formen bei und beeindruckte sie auch durch sein Klavierspiel und seine Begeisterung für japanische Volksmusik. Das prägte Mamoru, der selbst aktiver und begeisterter Sänger ist und sich regelmäßig mit Freunden zum gemeinsamen Gesang trifft. Nach Abschluss seines Studiums 1955 konnte er 1957 doch noch an der Tokyo University den Master erwerben und 1966 dort promovieren. Bereits 1960 wurde er Dozent, 1962 »Associate Professor« und 1972 Professor an der Hosei University in Tokio, wo er bis zu seiner Emeritierung im Jahre 2003 unterrichtete.
Sein großer Lehrmeister An der Graduate School der Tokyo University studierte er bei dem noch keine 50 Jahre alten Professor Yoshikatsu Tsuboi, mit dem er später nicht nur vielfach zusammenarbeitete, sondern den er auch bis zu dessen Lebensende treu und dankbar begleitete. Etwa, als schönes Beispiel für Mamorus Einfühlungsvermögen, bei einem IASS-Symposium in Osaka 1986, als sich Tsuboi als Präsident mit einer auf Englisch zu haltenden Eröffnungsrede altersbedingt schwer tat. Mamoru ließ die Rede deutlich lesbar hinter ihm an die Wand projizieren und stellte sich wie ein Fels neben seinen Meister, um ihm jederzeit zur Seite zu springen. Fünf Jahre später und 25 Jahre nach dem wir uns zum ersten Mal begegneten, lud mich Mamoru als Gastredner zum ersten Tsuboi-Memorial-Seminar ein. Yoshikatsu Tsuboi war der Inbegriff eines kreativ entwerfenden Ingenieurs. Er war einerseits ein anerkannter Mathematiker, der sich an der Eleganz einer sauberen analytischen Lösung berauschen konnte, aber gleichzeitig zum besseren Verständnis regen Gebrauch von der Modellstatik machte. Darüber hinaus war er sehr am Zusammenspiel von »structural rationality and architectural aesthetics« interessiert. Seine besondere Neigung galt den Betonschalen, von denen er mehrere zusammen mit dem Architekten Kenzo Tange baute. Besonders beeindruckt hat Mamoru Tsubois Prinzip der »dual evaluation«: Vor zwei Möglichkeiten gleicher Bedeutung gestellt, soll man sich nicht eilfertig für eine entscheiden, sondern beide weiterhin gleichermaßen verfolgen. Diese Neigung zum Probieren und Experimentieren, diese Neugier und Lust, immer wieder Neues auszuprobieren, gepaart mit Können und Geschicklichkeit, findet sich durchgehend in Mamoru Kawaguchis Arbeiten wieder.
Werke Nach den Olympiabauten für Tokio 1968 plante Mamoru noch im selben Team mit Tsuboi und Tange das große Dach über dem Festplatz für die Expo 1970 als zweilagiges Raumfachwerk mit Stahlgussknoten, eingedeckt mit transparenten Luftkissen. Danach beschäftigte er sich weiter rege mit pneumatischen Konstruktionen, besonders erwähnenswert der Pavillon der Fuji-Gruppe ebenfalls für die Expo 1970 (Bild 3). Dieser bestand aus 16 bogenförmigen Luftschläuchen mit 4 m Durchmesser und 78 m Länge über einem Grundriss von 50 m Durchmesser. Der Innendruck der Schläuche entsprach normal 800 mm Wassersäule und wurde bei Sturm auf 2 500 mm erhöht. Weil die Festigkeit der textilen Membranen den Abmessungen reiner Pneus enge Grenzen setzte, entwickelte Kawaguchi seilnetzverstärkte Tragluftkuppeln, bei denen das Seilnetz im Wesentlichen die Zugkräfte übernimmt, während eine leichte Membran für die Dichtigkeit sorgt. Schöne Beispiele dafür sind die netzverstärkten Tragluftkuppeln auf der Portopia 1981 und die Pavillons für die World Orchid Conference 1987 in Tokio (Bild 4). Im Zusammenhang mit diesen Pneus sei noch erwähnt, dass Mamoru Kawaguchi sich sehr intensiv auf die Suche nach der »shallowest possible pneumatic form«, der am flachsten möglichen, pneumatischen Form, machte, weil beispielsweise bei einer Halbkugelkuppel das innere Volumen unnötig groß ist. Bei der flachsten Kuppel hingegen ist das Verhältnis von Höhe zu Spannweite ein Minimum all derjenigen Kuppeln, die am unteren Rand eine vertikale Tangente haben und deren Oberflächen sich faltenfrei aufblasen lassen. [1]
Wegen seines Interesses an der guten Gestalt seiner Bauten und an der Architektur im Ganzen fand er die Zusammenarbeit mit berühmten Architekten, nach Kenzo Tange auch mit Yukata Murata und insbesondere mit Arata Isozaki. Mit diesem entstand das an Schrägseilen aufgehängte Dach der West-Japan-Ausstellungshalle in Kokura und der Sant Jordi Sportpalast für die Olympischen Spiele in Barcelona 1992 (Bilder 5, 6).
Nachdem er seine Idee des »Pantadomes« zur schnellen und sicheren Montage eines kuppelartigen Daches bereits bei der World Memorial Halle in Kobe erfolgreich erprobt hatte – diese hat sogar das Kobe-Erdbeben schadlos überstanden – kam sie in Barcelona noch spektakulärer zum Einsatz: Eine Stabkuppel oder ein konisches Raumfachwerk wird für einen bestimmten Montagezeitraum kinematisch instabil gemacht, um sich entfalten zu lassen. Dafür werden die entlang einem geeigneten Breitenkreis der Kuppel liegenden Stäbe vorübergehend ausgebaut, damit sich ein Mechanismus einstellt, vergleichbar mit einer 3D-Version eines Pantographen bzw. dem uns bekannten »Storchenschnabel«, mit dem Zeichnungen veränderten Maßstabs übertragen werden. Weil der Pantadome sich während dieser Montage mit nur einem »Freiheitsgrad« bewegt, benötigt man keine Hilfsabspannungen. Eine solche Kuppel wird im zusammengefalteten Ausgangszustand nahe dem Boden montiert. So werden Gerüstkosten gespart und die Sicherheitsmaßnahmen vereinfacht. Selbst die Installationen, Eindeckungen und Verkleidungen können noch am Boden montiert werden. Zum Heben der Kuppel können entweder aufblasbare Luftkissen eingesetzt werden oder hydraulische Pressen am Umfang der oberen Kalotte. Wenn die Kuppel ihre endgültige Lage erreicht hat, werden die am Breitenkreis noch fehlenden Stäbe eingebaut. Der Pantadome fand außer in Kobe und Barcelona vielfältige Anwendungen, bei einem Stadion in Singapur (Bild 8), beim Sun Dome Fukui, bei der Namihaya Sporthalle in Osaka oder der Nara City Hall.
Faszinierend zu beobachten ist, wie solch eine Erfindung wie der Pantadome sich aus der Kombination früherer Erfahrungen entwickelt, hier aus Mamorus intensiver Beschäftigung mit Raumstrukturen und der Kinematik von pneumatischen Konstruktionen, natürlich gepaart mit Fantasie und der Bereitschaft zum Risiko.
Daneben sei noch Kawaguchis »Suspendome« erwähnt, mit dem er das Gewicht der klassischen, meist zweilagigen Raumfachwerkskuppel drastisch reduziert. Er kann sie nämlich einlagig und ganz leicht bauen, weil er sie mit einem »cable dome« kombiniert, also unterspannt. Cable domes, erfunden von David Geiger, sind übrigens – wenn ich es recht beurteile – die einzigen brauchbaren Tensegrity Structures Fuller’scher Art. Kawaguchi & Engineers Co. Ltd. konnten mehrere Suspendomes bauen, weitere sind in seinem Büro in Planung.
Die Vielfalt der Arbeiten und Bauten Kawaguchis ist so überwältigend, dass der Platz unmöglich reicht, die weiteren auch nur aufzuzählen. So seien nur noch wenige kurz gestreift: Als Beispiel dafür, dass es ihm auch ohne besondere gestalterische Ambitionen um die reine Problemlösung gehen kann – wohl ausgelöst durch seine Kindheitserfahrungen mit schweren Erdbeben – seien die von ihm entwickelten, an Pendel hängenden Decken des Keramik Museums MINO genannt. Statt schwerer, konventioneller Dämpfer hängen 900 m² Ausstellungsfläche an 4,50 m langen, also stockwerkhohen Pendeln und liegen so mit einer Eigenschwingungszeit von mehr als 4 Sekunden im erdbebensicheren Bereich. Übrigens habe ich vor Ort erlebt, wie Mamoru solch durchaus komplexen Vorgänge sehr anschaulich erläutern kann (Bild 7).
Seine Inachus Fußgängerbrücke in Beppu City, Kyushu, ist ein Beispiel dafür, dass er sich auch auf »fremde« Gebiete traut – und das in Japan, wo die Ingenieure, die sich mit Brücken beschäftigen, und die, die mit Architekten zusammenarbeiten, ganz unterschiedlichen Fakultäten angehören. Der Gehweg der Brücke ist aus Granitplatten, die in Längsrichtung vorgespannt und nach oben gewölbt mit kettengliedrigen Stahlbändern fischbauchartig unterspannt sind – eine sehr schöne Wirkung, auch dank der Keramikamulette an den Kettenknoten. Sie wurde gerade mit einem weiteren hohen Preis ausgezeichnet.
Überspringen wir hier einige hochinteressante jüngere Bauten, etwa das Tianjin Museum in China und eine als Riesenrad ausgebildete Fußgängerbrücke Ci Hai in Tianjin und freuen wir uns noch mit dem Kind im Mann Mamoru über seinen 100 m langen, im Wind fliegenden Jumbo-Karpfen aus Baumwollstoff (Bild 9). Er entwickelte ihn auf Einladung einer kleinen Stadt für ihr jährliches Fest, nach streng aerodynamischen, analytischen und membran-technologischen Prinzipien, mit wissenschaftlichem Eifer und seiner ganzen Fantasie. Und – frohe Botschaft – er lässt ihn zwischen dem 26. und 28. Mai anlässlich eines Fußballspiels der Japaner in Kaiserslautern fliegen. Hoffentlich bläst da der Wind!
Unbedingt erwähnt werden muss aber noch, dass Mamoru Kawaguchi bis zu seiner Emeritierung an der Hosei University ein äußerst engagierter und wegen seines Praxisbezugs hochgeschätzter Lehrer und Forscher war und noch ist. Daraus resultierten mehrere Bücher, immer wissenschaftlich fundiert, aber anschaulich und praxisbezogen, und natürlich unzählige Einzelveröffentlichungen und Vorträge rund um die Welt. Er stellt sich der Gesellschaft auch in unzähligen Ehrenämtern zur Verfügung, für uns in Europa natürlich am greifbarsten durch seine Präsidentschaft bei der IASS. So wünsche ich Mamoru noch viele schöne Entwürfe, frohe Gesänge, weitere Enkel und hoffe, dass wir uns noch oft zu anregenden Gesprächen irgendwo auf der Welt treffen.
J.S.
Literatur:
[1] Nachzulesen in: arcus 10, Der umgekehrte Weg, Frei Otto zum 65. Geburtstag von M. Kawaguchi, erschienen im Verlag Rudolf Müller, 1990, wunderbar übersetzt von Wolfgang Walochnik. Darin findet sich auch eine anschauliche Beschreibung seiner Kuppeln aus Metallmembranen, ein Thema, das uns auch in Stuttgart lange beschäftigte. Einige Veröffentlichungen von M. Kawaguchi aus den letzten 10 Jahren: – Conceptual Design Suggested by Our Forerunners, IASS Symposium on Conceptual Design of Structures, Stuttgart, 1996 – How Can Engineers Enhance A New Architecture, International Conference on »Engineering A New Architecture«, Arhuss School of Architecture, Dänemark, 1998 – What Ability is Desired for the Structural Engineering of Next Century to Possess?, The 6th Asian Pacific Conference on Shell and Spatial Structures, Soul, 2000 – Seismic Isolation Systems and Traditional Structures, 2nd International Congress on Studies in Ancient Structures, Istanbul, 2001 – On How Concrete Spatial Structures Can Be Beautiful, 1st fib Congress, Osaka, 2002 – What Can Structures Do for Human Joy?, 2nd Specialty Conference on The Conceptual Approach to Structural Design, Mailand, 2003 – Physical Models as Powerful Weapons in Structural Design, IASS Symposium on Shell & Spatial Structures from Models to Realization, Montpellier, 2004 – Esthetics in Seismic Improvement and Retrofit, IASS Symposium, Bukarest, 2005
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