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Hauchdünn

Beton im Besonderen: Pavillon aus Textilbeton an der RWTH Aachen
Hauchdünn

Ein schöner, schlichter Pavillon bietet Studenten des Fachbereichs Bauingenieurwesen an der RWTH Aachen seit April Platz zum Lernen und Arbeiten. Zunächst war er »nur« als Demonstrationsobjekt für Schalentragwerke aus Textilbeton geplant, in einer Inkarnation als Ausstellungsraum, doch ist die jetzige Funktion viel nachhaltiger: Er wird permanent genutzt und kann den Nachwuchsingenieuren als unmittelbare Anschauung und Inspiration dienen.

    • Planung: RWTH Aachen, IP Arch

  • Text: Dagmar Ruhnau Fotos: Robert Mehl
Noch schlanker, noch filigraner, noch effizienter – Textilbeton erfüllt den alten Traum von Architekten und Ingenieuren von hauchdünnen Betonbauteilen, weit jenseits der Alltäglichkeit korrodierender Bewehrung und dick auftragender Wärmedämmung. Das »Textile« daran sind Hochleistungsgelege aus Carbon oder Glasfaser, die bei extrem dünner, korrosionsfreier Materialität hohe Zugspannungen aufnehmen können. Seit vielen Jahren wird an dieser Technologie und ihren verschiedenen Anwendungsmöglichkeiten geforscht (s. auch db 8/2009, S. 66). Im Juni 2014 erfolgte dann eine erste allgemeine bauaufsichtliche Zulassung, die dieses Jahr um ein weiteres Jahr verlängert wurde. Auch wenn sich die Zulassung auf die nachträgliche Verstärkung von Stahlbetonplatten in Innenräumen beschränkt, so bedeutet sie dennoch einen entscheidenden Schritt für die behördliche Akzeptanz und damit für eine möglicherweise baldige allgemeine Verfügbarkeit im Bausektor. Zwei Hochschulen in Deutschland befassen sich verstärkt mit der Forschung an der Technologie: die TU Dresden, die die Zulassung betreut hat, und die RWTH Aachen. Der Pavillon bildet den Abschluss der 12-jährigen Forschungsreihe im Aachener »Sonderforschungsbereich 532«, in dem zehn Institute interdisziplinär forschten, darunter federführend das Institut für Massivbau, der Lehrstuhl Baukonstruktion und das Institut für Stahl- und Leichtmetallbau. Der Bau lotet die Leistungsfähigkeit und praktische Anwendung des neuen Materials aus und bildete den Ausgangspunkt für weitere Anwendungen.
Entwurf
Der Pavillon besteht aus vier miteinander gekoppelten, 4 m hohen »Schirmen«. Auf je eine Stütze aufgesetzt sind 7 x 7 m große, doppelt gekrümmte Textilbetonschalen mit nur 6 cm Dicke, die hier weltweit erstmals ausgeführt wurden und in der Tradition der Hyparschalen von Félix Candela stehen (s. auch db 5/2014, S. 78). Es ging den Forschern darum, eine effiziente, wirtschaftliche und dabei auch ästhetische Form zu entwickeln. Durch die Vorfertigung der Bauteile entfielen aufwendige Schalungsarbeiten, dieselbe Holzschalung konnte mehrfach verwendet werden und die Herstellung unabhängig von der Witterung erfolgen. Detaillierte Analysen führten zur Entwicklung eines effizienten Tragwerks und der richtigen Kombination aus textiler Bewehrung und Feinbeton, wobei bereits das Versetzen der Fertigteile und deren Montage untereinander sowie an Stütze und Fundament berücksichtigt wurde. Beispielsweise verläuft die Entwässerung der Schirme durch die Mitte der Stützen, und die Schirme wurden so miteinander verschraubt, dass sie sich nicht gegeneinander verschieben, sondern Wind-, Schnee- und Eigenlasten direkt vertikal abgeleitet werden können. Da dadurch auch der Stützenfuß entlastet wird, konnten sie sogar von oben nach unten schlanker werden – ganz im Sinne eines leichten Erscheinungsbilds des Pavillons.
Herstellung und Montage
Beton ist eine grobmotorische Angelegenheit? Von wegen! Bei der Herstellung der Schalen musste absolute Genauigkeit eingehalten werden – immerhin waren in den 6 cm Dicke 12 Lagen Carbontextil mit einem Abstand von 4,6 mm zueinander unterzubringen. Toleranz: 1-max. 3 mm. Deshalb beauftragten die Wissenschaftler ein mit dieser Herstellungsweise vertrautes Unternehmen, das die vier Bauteile in einem eigens aufgebauten Zelt in je einem Arbeitstag vorfertigte. Auf die Schalung wurden jeweils 5 mm Spritzbeton aufgebracht, eine Lage Textil verlegt und anschließend die nächste Schicht auflaminiert. Dabei wurde von außen nach innen gearbeitet. Ein exakter Verlegeplan sorgte dafür, dass in der gesamten Dicke des Bauteils max. zwei Stöße übereinander liegen, d. h. jeder Stoß von min. zehn anderen Lagen überspannt wird.
Nach diversen Versuchen hatte man sich auf einen Feinbeton mit Größtkorn 0,8 mm sowie ein Kettengewirk aus nicht imprägnierten Carbonfasern festgelegt, die das Institut für Bauforschung bzw. das Institut für Textiltechnik entwickelt hatten. Oft werden die Gewebe mit Epoxidharz oder Styrol-Butadien getränkt, um ihre Festigkeit zu erhöhen. Dadurch werden sie allerdings steifer, und hier war ein flexibles Gewebe aus feinem Garn gefragt, das der Schalenkrümmung einfach folgen konnte. Das Gewirk mit knapp 1 cm großen Maschen legte sich sehr flach und offen auf den Beton, sodass eine besonders gute Durchdringung und Anbindung erreicht werden konnte. Um einen sauberen Kraftfluss zu gewährleisten, war es wichtig, dass es an den Stößen keinen Versatz durch Überlappungen gab. Dafür wurden die Gewebebahnen mit einer Elektroschere bündig zueinander abgelängt und die benachbarten Bahnen miteinander verzahnt. Durch Verwendung von Portlandzement CEM I 52,5 N und ergänzende Zugabe von 6 mm kurzen, alkaliresistenten Glasfasern entstand ein Beton entsprechend C55/67, der aufgrund seiner Festigkeit bereits nach zehn Tagen ausgeschalt werden konnte. Alle zwei Wochen konnte also ein Fertigteil versetzt werden. Zur Montage wurde das Fertigungszelt oben geöffnet, jede Schale mit einem Kran herausgehoben und auf ihre Stütze gesetzt. Anker- und Befestigungspunkt war das Zentrum der Schale. Daher wurde das Bauteil hier auf 31 cm verdickt.
Noch dünner
Der Rohbau war 2011 innerhalb eines halben Jahres fertiggestellt. Ursprünglich war geplant gewesen, ihn für Ausstellungen zu nutzen, doch entschloss man sich recht bald, ihn, deutlich nachhaltiger, primär als Arbeitsplatz für Studenten zu nutzen. Hierfür mussten die Pläne überarbeitet werden, etwa hinsichtlich Wärmeschutz und einer dauerhaften Nutzung. Das Aachener Architekturbüro ip arch wurde damit beauftragt, die Fassade, das Dach und den Innenausbau zu planen. Im April konnte das Gebäude bezogen werden und wird seitdem fleißig genutzt.
Während der Bearbeitung des Pavillons konnten die Wissenschaftler die entwickelte Produktionsmethodik erproben und viel Erfahrung mit dem neuen Werkstoff sammeln. Das Wissen konnte bereits in einen weiterer Experimentalbau einfließen, der 2014 an der RWTH entstand: ein Fahrradunterstand, dessen selbsttragende Überdachung von 10 m² Größe sogar nur noch 20 mm dick ist. Sägeschnitte offenbarten die beeindruckende Lagengenauigkeit von Gelege und Beton. Ginge es noch dünner? Ja – hier hätten laut Alexander Scholzen vom Institut für Massivbau aufgrund der exakten Lagenverteilung und der hohen Zugfestigkeit der Carbontextilien auch 15 mm ausgereicht.
Ausblick
Nicht nur Scholzen sieht den Textilbeton schon längst reif für den allgemeinen Einsatz in der Baubranche. Da jedoch nach wie vor für Textilbeton-Bauten Zustimmungen im Einzelfall notwendig sind, seien die Hürden für Architekten und Ingenieure noch zu hoch, ebenso für die Industrie. Immerhin beschäftigen sich – auch im Zuge der Forschungen an der RWTH – bereits mehrere Firmen intensiv mit dem Thema. Scholzen ist optimistisch, dass es künftig noch mehr werden, insbesondere, wenn weitere Zulassungen für das neue Material erteilt werden.
Überzeugend sind die Vorteile allemal: Durch die auf ihre statische Funktion reduzierte Deckung werden rund 80 % weniger Beton benötigt, damit spart man – auch im Sinne der Nachhaltigkeit – Herstellungs- und Transportenergie, das Transportieren und Verlegen von Fertigteilen wird einfacher und energiesparender, weil die Bauteile leichter sind, und nicht zuletzt gewinnt man durch dünnere Bauteile, etwa Sandwichwände, mehr Fläche zum Arbeiten, Wohnen und Leben. •
    • Standort: Mies-van-der-Rohe-Straße 1, 52074 Aachen Bauherr: RWTH Aachen Entwicklung und Planung der Schirmkonstruktion (1. Bauphase): Entwurfs- und Ausführungsplanung, Ausschreibung: Lehrstuhl Baukonstruktion, RWTH Aachen, Prof. Hartwig Schneider Mitarbeiter: Christian Schätzke, Till Joachim Tragwerkplanung, Produktionsplanung und Zustimmung im Einzelfall: Institut für Massivbau, RWTH Aachen, Prof. Josef Hegger Mitarbeiter: Alexander Scholzen, Rostislav Chudoba Tragwerkplanung: Institut für Stahl- und Leichtmetallbau, RWTH Aachen, Prof. Markus Feldmann Mitarbeiter: Matthias Wieschollek Weitere projektbeteiligte Institute: ibac Institut für Bauforschung, ITA Institut für Textiltechnik, RWTH Aachen Innenausbau, Dach und Fassade (2. Bauphase): Entwurf und Ausführungsplanung, Ausschreibung, Objektüberwachung: IP Arch, Aachen Mitarbeiter: Hendrik Daniel, Ralf von Ameln BGF: ca. 210 m² BRI: ca. 900 m³ Baukosten: ca. 800 000 Euro Bauzeit: Rohbau Schirmkonstruktion: Oktober 2011 bis Mai 2012 Innenausbau, Dach und Fassade: Oktober 2014 bis April 2015
    • Beteiligte Firmen: Ausführung Textilbetonschalen: GQ Quadflieg Bau, Würselen
    • Weitere Informationen:
      Scholzen, A., Chudoba, R., Hegger, J.: Thin-walled shell structure made of textile reinforced concrete. Part I: structural design and construction, aus: Structural Concrete, 1/2015, Ernst & Sohn Verlag, Berlin
      Schätzke, C., Joachim, T., Schneider, H. N.: Leichte Schalentragwerke aus Textilbeton. Pavillon an der RWTH Aachen, aus: BetonBauteile 2013, Bau‧verlag, Gütersloh, 2012

Beton im Besonderen (S. 74)
Dagmar Ruhnau (~dr), s. db 9/2015, S. 112
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