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Biozide wirken. Nur wo?

WDVS-Beschichtungen ohne Biozide
Biozide wirken. Nur wo?

Gerade in Anbetracht der Entwicklung zu nachhaltigerem Bauen gibt es inzwischen auch die Möglichkeit, Wärmedämmverbundsysteme mit Beschichtungen zu wählen, die wenig bis gar keine Biozide enthalten. Nachdem superhydrophobe Beschichtungen trotz der Verwendung von Bioziden stark verschmutzten, geht der Trend zu benetzbaren Oberflächen mit saugfähigen Putzsystemen. Sie erschweren den Befall durch unansehnliche Mikro-organismen.

Text: Achim Pilz Fotos: Hans Ege, Michael Burkhardt

So imposant das von Jean Nouvel erbaute Kultur- und Kongresszentrum in Luzern ist, so problematisch sein großes Kupferdach. Aus ihm löst Regenwasser Kupferionen und schwemmt sie ungehindert in den angrenzenden See. Man müsste das Dachabwasser vor der Einleitung in den See behandeln, forderte im Vorfeld der Erbauung die Eawag (Eidgenössische Anstalt für Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz), ein Schweizer Wasserforschungsinstitut. Das aber war den Investoren zu teuer. Heute sieht man im See die Folgen des vor allem für Algen und andere Pflanzen giftigen Kupfers: Das Seesediment ist entlang seines Eintrags stark belastet. Doch während bei Kupfer das Material als solches Metallionen an die Umwelt abgibt, stellt sich bei anderen Baustoffen die Frage, ob denn überhaupt zusätzlich Wirkstoffe in Materialien eingebracht werden müssen, die durch ihr Auswaschen die Umwelt belasten können. So also die Frage nach der Notwendigkeit von Bioziden in Architekturoberflächen – chemischen Wirkstoffen, die das Wachstum von Mikroorganismen behindern oder sie sogar töten.
Biozide wirken – nur wie lange und wo?
Biozide werden für eine Konservierung des Gebindes – als sogenannte Topfkonservierung – und der Beschichtung auf der Fassade – als sogenannte Filmkonservierung – eingesetzt. Im Außenbereich problematisch ist vor allem die Filmkonservierung. Damit sie wirken kann, muss sie wasserlöslich sein: Über das Wasser gelangen die Wirkstoffe in den Mikroorganismus. Das bedeutet allerdings, dass die Biozide früher oder später durch Regen ausgewaschen werden. Nicht nur, dass dann irgendwann kein Wirkstoff mehr an der Fassade ist, also Mikroorganismen wachsen können – die Biozide belasten auch die Umwelt [1].
Michael Burkhardt vom Eawag warnt wiederholt auf Fachtagungen vor diesem Auswaschen. Zwar seien noch keine der Wirkstoffe im Grundwasser zu finden, wohl aber im Oberflächenwasser: Die Wissenschaftler haben in kleinen Flüssen verschiedene Biozide gefunden, die eindeutig aus Fassaden stammen. In welcher Dosis und Kombination diese Biozide auf Lebewesen wirken, ist aber noch nicht ausreichend erforscht. Bei einzelnen Wirkstoffen wie etwa dem Biozid Irgarol sei der Kenntnisstand allerdings gut und die schädliche Wirkung – bereits in einer extrem starken Verdünnung – belegt. Hier erschreckt ein eindrücklicher Wert: Die Größe von zwei Würfelzucker würde für den Zürichsee genügen, um einen negativen Effekt auf Algen zu haben, erklärte der Wissenschaftler auf einer Fachtagung. Zudem seien die heutigen Kläranlagen nicht auf das Unschädlich-Machen solcher ökotoxischen Stoffe beziehungsweise deren Elimination ausgelegt. Deshalb mahnt er zum Vorsorgeprinzip an der Quelle, also an der Fassade. Hier solle eine bauphysikalische Lösung ohne Biozide realisiert werden.
Historischer Feuchtepuffer kontra neue, kalte Oberflächen
Nicht immer hat man Biozide gebraucht. Vielen historischen Putzen macht Feuchtigkeit wenig aus. Sie sind mineralisch, kapillaraktiv und dick genug aufgebracht, um Mauerwerk samt Oberfläche trocken und damit bewuchsfrei zu halten. Sie puffern selbst das Wasser eines längeren Schlagregens und geben es bei trockenem Wetter wieder ab, ohne dass es zu Schäden kommt.
Im Zuge der Rationalisierung am Bau werden Putze seit gut fünfzig Jahren allerdings immer dünner ausgeführt, so dass auch ihre Wasseraufnahmefähigkeit gedämpft werden musste.
Dies geschah und geschieht bis heute mit benetzungsvermindernden Mitteln, auch Hydrophobierungen genannt. Sie reduzieren die Kapillarität und damit die Wasseraufnahme, aber auch die Rücktrocknungsgeschwindigkeit. Eine weitere, den Wasserhaushalt an der Fassade betreffende Entwicklung geht von der außen liegenden Wärmedämmung aus. Zum einen reduziert der Dämmstoff den Wärmedurchgang, zum anderen ist die thermische Masse auf dem Dämmstoff gering: Bewehrungsmasse, Putz und Anstrich wiegen in der Regel unter acht Kilogramm je Quadratmeter. Das bedeutet weniger Volumen, das die Feuchte puffern kann.
Damit wird nicht nur Regenwasser zu einem Problem. Auf der durch gute Außendämmung kühlen Oberfläche bildet sich nachts aus Luftfeuchtigkeit Kondenswasser. Beschlagende Autoscheiben haben die gleiche Ursache: Betauung durch eine Unterschreitung der Taupunkttemperatur. Untersuchungen des Fraunhofer-Instituts für Bauphysik in Holzkirchen (IBP) zeigen, dass die Feuchtebelastung von Fassadenoberflächen durch Betauung wesentlich stärker ist als durch Schlagregen [2].
Dünne Sicherheit
Die überwiegende Anzahl der am Markt angebotenen WDVS haben dünnschichtige Putze. Damit die Wärmedämmung nicht durchfeuchtet, sind sowohl organische als auch anorganische Oberflächenbeschichtungen hydrophob eingestellt. Doch die Hydrophobierung hält nicht nur den Untergrund trocken, sondern bewirkt auch, dass die Oberfläche bei Betauung länger feucht bleibt. Das fördert das Wachstum von Mikroorganismen. Auch ultrahydrophobe Oberflächen brachten keine Lösung. Sie werden sogar noch stärker betaut. Nach Untersuchungen von Martin Krus am IBP ist die Menge an Feuchtigkeit auf einem ultrahydrophoben Farbputz im Herbst, der Hauptwachstumsperiode von Mikroorganismen, etwa doppelt so groß wie auf einem Dispersionssilikatanstrich [2]. Zudem reduzieren ultrahydrophobe Farben die Verfügbarkeit der wasserlöslichen Biozide auf der Oberfläche, da sie den Kontakt zwischen Oberfläche und Wasser minimieren. ›
Zurück zu den Mineralien
Mit rein mineralischen Aufbauten hatte man kaum Probleme. Sie sind sogar selbstreinigend, temperaturstabil, laden sich nicht elektrostatisch auf und sind hydrophil, also wasserliebend. Deshalb kommt man heute gerade bei WDVS wieder auf sie zurück. Und was für WDVS gilt, gilt natürlich auch für Wärmedämmputze und für massive Wandaufbauten.
Für WDVS werden als Alternative zu Kunstharzsystemen sowohl voll- als auch teilweise mineralische Systeme entwickelt, die durch eine hydrophile, gut benetzbare, mineralische Oberfläche die Betauung reduzieren. Ihre bessere Benetzbarkeit ist jedoch nicht das einzige Argument, welches die Befürworter dieser wiederentdeckten Technik ins Feld führen. Kunstharzbeschichtungen sind in der Regel thermoplastisch. Das heißt, sie werden bei intensiver Sonnenbestrahlung weich und kleben Schmutz regelrecht auf die Fassade. Noch lässt sich nicht abschließend klären, ob sie sich zudem elektrostatisch aufladen und organische Schmutzpartikel wie Russ oder Reifenabrieb anziehen. Daher einige Beispiele für Alternativsysteme mit hydrophiler Oberfläche:
Mineralisch-hydroaktiv
»AquapuraVision«, ein neues, »hydroaktives« WDVS, besitzt mineralische Komponenten: eine dickschichtige Bewährung, einen mineralischen Oberputz und eine Reinsilikatfarbe, die besonders hydrophil ist. Sie schafft eine trockenere Oberfläche und ermöglicht eine beschleunigte Rücktrocknung von gespeicherter Feuchtigkeit; die größere Masse reduziert die Dauer der Taupunktunterschreitung, da sie mehr Umgebungswärme speichert. Das gesamte System ist so eingestellt, dass es auch bei starker Beregnung nicht durchfeuchtet. Für die Oberflächengestaltung gibt es Glattputze sowie Putze mit 2 und 3 mm Körnung (in der Schweiz auch 5 mm). Als Dämmung sind Mineralwolle und EPS möglich (in der Schweiz zusätzlich Holzfaser, die in Deutschland keine Systemzulassung hat und an größeren Gebäuden auch brandschutztechnisch nicht zugelassen ist). Wegen der einfacheren bautechnischen Zulassungen wurde das System in der Schweiz erprobt. Von 2005 bis Anfang 2008 wurden dort dreißig Projekte mit fast 16 000 m2 ausgeführt und von einer unabhängig durchgeführten Langzeitstudie [3] begleitet. Bis heute sind die Oberflächen trotz teilweise sehr nahe stehender Bäume optisch einwandfrei.
Ein weiteres Produkt mit hydrophiler Oberfläche ohne auswaschbare, biozide Wirkstoffe ist der silikatische Putz »Maxit sil top«. Er kann gestrichen oder durchgefärbt werden.
Nano-mineralisiert
Die augenscheinlichen Vorteile mineralischer Oberflächen wissen auch Hersteller zu schätzen, die Kunstharzbindemittel in Putzen oder Farben einsetzen. Für sie wurde ein Hybridbindemittel entwickelt, das die einfachere Verarbeitung von organischen Bindemitteln mit den Vorteilen einer mineralischen Oberfläche kombiniert. Diese wird von Kieselsolen, nanometergroßen Teilchen aus Silikat gebildet. Dem Kunstharzbindemittel beigemischt, erzeugen sie bei der Trocknung eine Oberfläche, die durch die nanoskalinen Silikatpartikel »mineralischer« wird. Diese »Oberflächen-Remineralisierung« führt zu einer besseren Benetzung. Engin Bagda vom Dr.-Robert-Murjahn-Instituts, einem Forschungsinstitut für Beschichtungsstoffe, Fassadensysteme und gesundes Wohnen, betonte auf einer Fachtagung, dass Silikatoberflächen unübertroffen benetzbar seien. Sie sollen die Betauungsfeuchtigkeit an der Oberfläche merklich reduzieren. Das neue silikatisch-organische Bindemittel soll auch die Kreidungsneigung – den Abbau der Beschichtung durch UV-Strahlung und Witterung – sowie die Thermoplastizität herabsetzen und damit die Affinität zur Schmutzanlagerung.
Verschiedene Hersteller verwenden das neue Hybridbindemittel in ihren Produkten. Da es eine hydrophilere Oberfläche erzeugt, können sie je nach Beanspruchung der Fassade auf eine Filmkonservierung verzichten, in der Regel jedoch nicht auf eine Topfkonservierung, da organische Bindemittel topfkonserviert werden müssen. »NanoporPutz« und »NanoporFarbe« beispielsweise sind Produkte, die eine mineralisierte und damit hydrophilere Oberfläche erzeugen. Dadurch können sie biozidreduziert angeboten werden. Auf Nachfrage kann auch eine Sondermarge ohne Filmbiozide hergestellt werden.
Umstritten beziehungsweise unklar ist heute aber noch, ob Nanoteilchen langfristig Nebenwirkungen haben können, ob sie zum Beispiel über die Haut oder die Lunge in den Körper gelangen und Krankheiten auslösen können. Deshalb wird auch zu Nanomaterialien in Beschichtungen, beispielsweise ihrer Auswaschung, intensiv geforscht.
»Reduzierte« Biozide
Die Umweltorganisation »natureplus« zertifiziert Systeme, die Biozide und organische Bestandteile wie Kunstharze reduziert einsetzen. Ein Zertifikat erhält nur, wer Biozide auf maximal 0,5 Masse-% des Putzmörtels beschränkt – selbst das ist immer noch relativ viel und kaum als Qualitätsmerkmal zu werten. Ökologischer sind die Grenzwerte für Kunstharze: Der Oberputz darf maximal 7 %, Unterputz und Klebemörtel dürfen maximal 5 % organische Bestandteile enthalten. Als Dämmungen können nachhaltige Materialien wie Kork, Holzfaser, Hanf, Schilf oder Mineralschaum verwendet werden. Damit gibt es genug nachhaltige Alternativen für das »Problemkind WDVS«. Die Architekten sind nun an der Reihe, das zu ihrem Objekt, seiner Lage und seiner Exposition passende, nachhaltige Produkt auszuwählen. Über kurz oder lang werden so auch weitere Hersteller Biozide reduzieren. •
  • Literaturhinweise: [1] Christian Balsiger, Gewässerbelastung durch Pestizide. In: Gas, Wasser, Abwasser, GWA 3/2007; sowie: Oliver Jäggi, Gewässerbelastung durch Biozide, Vortrag auf der Fachtagung Biozide und Nanopartikel in Fassaden, Oktober 2008 [2] Martin Krus, Oberflächenfeuchte als Voraussetzung für mikrobiellen Befall, in: Tagungsband zur ISK 2008, internationale Baufach- und Sachverständigen-Tagung Ausbau + Fassade, S. 122 sowie S. 126 [3] Michael Nay, Goldach (CH)
  • Produktauswahl: Hersteller hydroaktiver WDVS ohne Biozide:
www.keimfarben.de: PURAVision
www.greutol.ch: PURAVision
Hersteller hydrophiler Beschichtungen ohne Biozide:
Hersteller hydrophiler Beschichtungen ohne Filmkonservierung für WDVS:
  • www.maxit.de: silco top, spectra top oder Silikonharzfarbe top
  • www.baumit.com: NanoporPutz, NanoporFarbe – ohne Filmkonservierung nur auf Nachfrage!
  • www.sto.de: StoTherm Mineral biozidfrei
WDVS mit natureplus-Zertifikat:
Hersteller von Produkten mit hydrophileren Oberflächen (mit Bioziden):
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