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Die Masse macht’s

Die Bauteilaktivierung als Flächenheizung oder -Kühlung
Die Masse macht’s

Einsparverordnungen, hohe Betriebskosten, knapper werdende Ressourcen und umweltpolitische Gesichtspunkte bewegen Planer und Bauherren immer häufiger zum Überdenken von Energiekonzepten und -speichersystemen. Kein Wunder also, dass die Bauteilaktivierung, bei der die Gebäudemasse über innenliegende Heiz-/Kühlrohre aktiviert und so zur Temperaturregulierung des Raums genutzt wird, weiter auf dem Vormarsch ist. Dabei wird sie längst nicht mehr nur überwiegend bei Bürobauten eingesetzt.

Text: Hartmut Möller, Fotos: Burckhardt + Partner, Michael Nast, Thomas Ott, Rainer Retzlaff

Tatsächlich haben bereits die Römer ca. 100 v. Chr. Flächentemperierungssysteme zur Beheizung ihrer Wohnhäuser und Thermen verwendet. Bei der Hypokaustenheizung wurden Rauchgase eines Feuers in den Doppelboden geleitet und als Wärme über die Fußbodenplatte an den darüber liegenden Raum abgegeben. Erst Anfang des 20. Jahrhunderts wurde dieses Prinzip durch in Betondecken integrierte Stahlrohrregister, das gleichmäßige Wärmeverteilung ohne Rauchbelästigung versprach, wieder aufgegriffen. Obwohl man schon bald neben der Heiz- auch die Kühlwirkung der nach der ausführenden Firma benannten »Crittall-Decke« erkannte, stieß sie aufgrund schlechter bauphysikalischer Gegebenheiten an ihre Grenzen und verschwand insbesondere wegen ihrer Korrosionsanfälligkeit wieder in der Versenkung. Die Ölkrise, neue Dämmstandards und Kupferverrohrungen verhalfen der Heiz- bzw. Kühldecke in den 70er Jahren aber zur Renaissance. Unangenehme Erfahrungen mit konventionellen Klimaanlagen wie Zugerscheinungen, Geräuschbelästigungen oder Staubverwirbelungen und hohe Investitions- und Betriebskosten führten Mitte der 90er schließlich zum Durchbruch der thermischen Bauteilaktivierung.
Luft oder Wasser im Beton
Obwohl sie auch in kleineren Häusern ausgeführt wird, eignet sich die Bauteilaktivierung besonders für größere Gebäudetypen wie Krankenhäuser, Schulen, Verwaltungsbauten, Museen oder Gewerbeanlagen. Zu Beginn des Jahrtausends soll sie bei Büroneubauten bereits bei einem Drittel Anwendung gefunden haben – mit steigender Tendenz. Das erstaunt kaum: Die häufig als Glaspaläste ausgeführten Gebäude müssen den erhöhten solaren Wärmegewinn ausgleichen, außerdem sorgen Großrechner oft für zusätzliche Energieabgabe. Eine Bauteilaktivierung, deren Wirkungsweise durch die Geschossdecken etagenübergreifend ist, kann innere Wärmelasten gut kompensieren. Sie basiert auf dem Wärmewellenaustausch zwischen einer kalten und warmen Fläche: Die kühlere Fläche nimmt die Wärmestrahlung auf und erwärmt sich folglich. In Kombination mit Erdwärme oder Solaranlagen und Wärmepumpen gehört die Bauteilaktivierung zum Prinzip der »sanften Klimatechnik«.
Grundsätzlich ist dabei eine Aktivierung von Baustoffen mit unterschiedlichen Energiespeicherfähigkeiten möglich. Geschlossene Ziegelschalen mit eingebettetem Heizrohr oder von Lehm umschlossene Rohre kommen vereinzelt zur Anwendung. Beton jedoch, ohnehin bei den meisten Großbauten verwendet, hat sich nicht zuletzt aufgrund seiner guten Speichereigenschaft mit einer volumetrischen Wärmekapazität von 2400 kJ/(m³K) als optimales Material durchgesetzt, weshalb im allgemeinen Sprachgebrauch auch der Begriff »Betonkernaktivierung« etabliert ist. In den meisten Fällen wird das Rohregister in der »neutralen Zone« zwischen oberer und unterer Bewehrung der Geschossdecke installiert, seltener kommt das Einbetonieren in Wänden vor. Die Leitungen bestehen aus einem vernetzten PE-Kunststoff (PE-X-Rohre) oder als Mehrschichtverbundrohr aus PE und Aluminium. Handelsübliche ›
› Verlegeabstände sind 10, 15 und 20 cm bei einem Rohrdurchmesser von 17 und 20 mm.
Für den Betrieb eignen sich zwei Medien. Eher sporadisch kommt Luft durch innenberippte Aluminium-Lüftungsrohre zum Einsatz. Als Kühlmedium kann hierbei Außenluft verwendet werden, die nach der Deckendurchströmung bei Bedarf den Räumen gefiltert, vortemperiert und entfeuchtet zugeführt werden kann. Dennoch ist das wassergeführte System stärker verbreitet. Die Wassertemperaturen liegen im Heizfall lediglich zwischen 27 ° und 29 ° C und im Kühlfall zwischen 18 ° und 20 °C, denn durch die großen Übertragungsflächen werden bereits mit geringen Über- oder Untertemperaturen hohe Leistungen erzielt.
Charakteristika und Kombinationsmöglichkeiten
Nachteilig ist jedoch, dass zur Entfaltung des Systems die Übertragungsflächen freigehalten werden müssen. Hierdurch erklärt sich auch, warum (etwa als Stellfläche genutzte) Wände weniger in Betracht kommen. Ferner ist dem Schallschutz durch schwere Massivdecken zwar Genüge getan, eine Trittschalldämmung behindert aber den Wärmetransport. Zudem sind raumakustische Maßnahmen an der Decke nicht möglich; Deckensegel als Schallabsorber können nur vereinzelt oder kleinflächig angebracht werden.
Eine weitere Charakteristik ist die Trägheit des Systems. Die Bauteilaktivierung vollzieht sich in den drei Phasen Laden, Speichern und Entladen. Die Abgabe eingelagerter Energie an den Raum oder die Entnahme von Wärme aus ihm heraus geschieht in einer Phasenverschiebung über mehrere Stunden. Weil die Raumtemperatur also nicht individuell oder schnell angepasst werden kann, ist zum zügigen Ausgleich von Temperaturspitzen eine Kombination mit konventionellen Anlagen (z. B. Heizkörpern, natürlicher und mechanischer Lüftung) sinnvoll, auch wenn die Vorhaltung eines doppelten Heizsystems mit unterschiedlichen Systemtemperaturen im Preis erheblich zu Buche schlägt. Zusätzlich können in Fassadennähe Randstreifen mit Fußbodenheizungen oder unter die Decke geputzte Kapillarrohrmatten installiert werden, wie sie u. a. auch als Nachrüstsystem zur Bauteiltemperierung in Bestandsbauten Verwendung finden. Durch die oberflächennahe Anordnung der Module werden im Vergleich zu in der Decke mittig verlaufenden Rohren deutlich schneller höhere Leistungen erzielt: Rohrregister in der »neutralen Zone« erreichen Leistungen von ca. 35 W/m², die in den meisten Fällen nur die Grundlast abdecken; bei Rohrregistern, die sich jedoch unmittelbar an der Oberfläche eines Bauteils befinden, sind höhere Leistungen bei kleinen Reaktionszeiten von bis zu 90 W/m² realisierbar.
Ferner lassen sich als verstärkende Maßnahmen PCMs (Phase Change Materials), also Phasenwechselmaterialien, im Putz, in Gipsbauplatten oder in Paneelen anbringen. Diese Latentwärmespeicher sollen bereits bei einem Auftrag von wenigen Zentimetern thermische Eigenschaften einer 20 cm dicken Betondecke erzielen.
Einige Anbieter haben als Zusatzmodul ihrer Rohrsysteme auch »thermische Steckdosen« im Programm, mithilfe derer Räumen im Falle erhöhter Wärmelasten weitere Temperiersysteme (z. B. Deckensegel) als Spitzenlastelement hinzugefügt werden können.
Für unterschiedliche Bereiche lässt sich die Bauteilaktivierung außerdem in verschiedene Zonen unterteilen und später auch unterschiedlich betreiben. Spätestens dann kommen thermische Gebäude- und Anlagensimulationssoftware wie etwa das bereits 1974 entwickelte TRNSYS zur Anwendung.
Fehlervermeidung und Forschungsdrang
Bei der Planung und Ausführung empfiehlt es sich, neben dem reinen Produkterwerb den Anbieter und dessen Know-how miteinzubeziehen. Auch die Vorfertigung, z. B. von Filigrandeckenelementen mit eingebauten Rohrschlangen im Werk, gewinnt zur Fehlervermeidung an Popularität. Denn typische Gründe für den nicht korrekten Betrieb der Anlage liegen nicht nur im Bereich der unpassenden Oberflächengestaltung, Zoneneinteilung oder mangelnden Kommunikation und Information aller Gewerke und des Gebäudenutzers, sondern oft auch schon in der Bewehrungsanordnung, Auslegung und Dimensionierung. Das gewünschte Ergebnis verlangt allen Beteiligten erhöhte Aufmerksamkeit und Mühen ab, lohnt sich aber aus heutiger Sicht als langfristige Investition, zumal die Anlagen stetig verbessert werden.
Aktuelle Forschungen und Untersuchungen konzentrieren sich dabei u. a. auf die in der Statik auftretenden Probleme der Verrohrung von Flachdecken im Bereich von Innenstützen und z. B. auf das Einbringen und die Optimierung von Absorbermaterialien. Bei einem Schweizer Hochhaus (s. S. 58) wurden beispielsweise Schallabsorberstreifen in Form eines U-Profils aus Faserbeton, das offenporiges Blähglasgranulat umschließt, in die Betondecke eingelassen. Der häufige Wechsel zwischen schallhartem Beton und Absorberstreifen führt zu bemerkenswerten Ergebnissen: Im Vergleich zu herkömmlichen Deckensystemen erzielen laut Herstellerinformation 20 % Deckenbelegung mit 5 cm breiten Streifen bis zu 70 % Schallabsorption im Raum.
Träge aber behaglich
Unter optimalen Bedingungen funktioniert die Gebäudeklimatik mittels Betonkernaktivierung durch den selbstständigen Energieaustausch zwischen temperiertem Bauteil und Raumluft selbstregelnd und die Raumtemperatur pendelt sich zwischen 20 ° und 23 °C ein. Das mitteleuropäische Klima, in dem z. B. auch während sommerlicher Hitzeperioden die Nachttemperatur fast immer unter 20 °C fällt, ist für die Gebäudekühlung ideal: Mittels Nachtabkühlung wird dem Bauteil Wärmeenergie entzogen und auch die Mediumstemperatur gesenkt. Am Tag, wenn sich Decken und Wände wieder aufheizen, kann dann der Wärme- bzw. Kältefluss zurück in die abgekühlte Decke erfolgen, und die Räume können so gekühlt werden. Der geringe Unterschied zwischen Raum- und Bauteiloberflächentemperatur führt so zu einer wirkungsvollen Nivellierung. Da sich das Temperaturempfinden des Menschen ungefähr aus dem arithmetischen Mittel aus Raumluft- und Oberflächentemperatur bildet, stellt sich für den Nutzer also eine angenehme Behaglichkeit ein. Daraus ergibt sich der positive Effekt, dass man bei gleichem Behaglichkeitsempfinden im Vergleich zu konventionellen Radiatoren für den Heizfall die tatsächliche Raumtemperatur um 1 bis 2 °C absenken kann, was eine Energieersparnis von 6 bis 12 % zur Folge hat. Im übertragenen Sinne gilt dies auch für den Kühlfall. •
Weitere Informationen:
Bundesverband Flächenheizung und Flächenkühlung: www.flaechenheizung.de
Fachverband Gebäude-Klima: www.fgk.de
Weitere Veröffentlichungen zur thermischen Bauteilaktivierung und Verweise auf Forschungsberichte z. B. unter www.berndglueck.de oder unter www.berndglueck.de Thermische-Bauteilaktivierung
Anbieter (Auswahl):
Bauteilaktivierung (Ziegel): www.leipfinger-bader.de
Betonkernaktivierung mit Zuluft: www.kieferklima.de
Rohrleitungssysteme: www.aquatherm.de
Thermische Steckdosen: www.zent-frenger.de
Mögliche Nachrüstung: www.aquinnotec.de, www.aquinnotec.de
Akustisch wirksame Abstandshalter mit »Sorp 10«-Absorberstreifen: www.maxfrank.de
Vorgefertigte Betonelemente mit »Reapor«-Schallabsorberstreifen (»Audiotherm-Decke«): www.rudolph-baustoffwerk.de

Energie (S. 72)
Hartmut Möller
1975 geboren. Architekturstudium in Oldenburg und Praxissemester bei SITE/James Wines in New York. 2002 Mitorganisation der Ausstellung »Die Moderne als Modell« im Horst-Janssen-Museum, Oldenburg. 2003 Redaktionspraktikum bei der db. Diverse Zeitschriften- und Buchpublikationen. Lebt und arbeitet seit 2005 in Hannover.
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