Architekten: KSP ENGEL
Kritik: Ulrike Kunkel
Fotos: Adrian Schulz
debis, die Dienstleistungstocher von Daimler-Benz, ist längst Geschichte, und der 1998 eröffnete Gebäudekomplex, den Renzo Piano und Christoph Kohlbecker zwischen Potsdamer Platz und Landwehrkanal errichtet haben, hat mittlerweile andere Eigentümer. Zum Gesamtkomplex gehörte seinerzeit auch ein langgestrecktes Parkhaus entlang der auf einer Brückentrasse geführten U2. Es entstand auf einer Bahnbrache südlich des Kanals und wurde wie auch die Bürobauten auf dem Potsdamer Platz mit den für Piano ikonischen ockerfarbenen Keramikplatten bekleidet. Doch die Anzahl von 1 500 Stellplätzen stammte offenkundig noch aus Prognosen einer Ära der hemmungslosen Individualmobilität: Die Hochgarage stand stets zu weiten Teilen leer, war also am Bedarf vorbeigeplant.
Diese Situation war auf Dauer weder ökologisch noch ökonomisch vertretbar, zumal die einstigen Brachflächen der Umgebung sich inzwischen in den überaus beliebten Park am Gleisdreieck verwandelt hatten. Dessen auf dem Gelände des früheren Potsdamer Güterbahnhofs entstandener und als Westpark titulierter Teil, der mit seinem nördlichen Zipfel bis ans Schöneberger Ufer vorstößt und auf der Ostseite vom Parkhaus flankiert wird, wurde 2014 fertiggestellt. Zeit also, für das unternutzte Parkhaus eine sinnvolle, zukunftsfähige und nicht zuletzt natürlich auch renditestärkere Lösung zu finden. Man entschied sich, das Gebäude längs zu kappen und damit die Stellplatzanzahl zu halbieren. Erhalten blieben die markanten Spindelrotunden im Norden und Süden sowie der zur U2 hin gelegene Strang mit den Stellplätzen, während die zum Park hin orientierte Seite rückgebaut und durch einen sechsgeschossigen Wohnbau von 185 m Länge ersetzt wurde. Unter acht Büros, die am eingeladenen Wettbewerb teilnahmen, konnte sich KSP Engel durchsetzen, 2020 war das Projekt fertiggestellt.
Gegliederter Baukörper
Der Neubau, der von den Rampenspindeln und vom verbliebenen Teil des Parkhauses dreiseitig umgriffen wird, öffnet sich mit durchgehenden Balkonen zum Park. Die unterschiedliche Bautiefe der Wohnungen führt zu einer geschwungenen Silhouette: Das Gesamtvolumen gliedert sich in vier Bauten mit je eigenem Eingang und eigener Adresse, sodass die Monotonie eines bandförmigen Megablocks vermieden wird; die Einschnitte brechen die Länge des durchgängigen Baukörpers auf angenehme Weise auf, ohne dass das Gesamtvolumen in einzelne Baublöcke zerfällt. Die stählernen Balkongeländer mit eingeschnittener Flosse wirken je nach Blickwinkel mal geschlossen und mal offen. So ergibt sich für die Bewohnerinnen und Bewohner ein Sichtschutz, ohne dass die Brüstungen massiv ausfallen. Schwarze Stahlprofile mit leichtem Braunstich, weiße Fassadenbänder und der Champagnerton der rhythmisierenden Trennwände unterstützen die attraktive parkseitige Gestalt des Neubaus, die für die Passantinnen und Passanten fast chamäleonartig stets sich wandelnd in Erscheinung tritt.
Erschließung durch Laubengänge
Ein zurückhaltender grüner Wall, eher eine Bodenwelle, grenzt die Wohnbebauung vom Park ab. Zwischen den Vorgärten des parkseitigen EG führen Durchgänge in die Sequenz rückseitiger Erschließungshöfe, die im Osten von der Außenwand der Restparkgarage begrenzt werden, die zugleich als Brandwand fungiert. Ein mittiger, vertikaler Erschließungskern pro Haus gliedert die Hofschicht in eine Sequenz von acht offenen Räumen; Laubengänge gewährleisten die Erschließung der Wohneinheiten in der Horizontale. Das ist aufgrund der gegebenen Situation – im Osten Parkhaus und Bahn (zukünftig sogar noch eine weitere Trasse), im Westen der Park – die einzig plausible Lösung. Und sie besitzt aufgrund des Umgangs mit Restriktionen und Potenzialen auch einigen Charme: Vielleicht funktioniert so etwas nur in Berlin, wo nicht alles im landläufigen Sinne schön zu sein hat. Aber die schmalen Höfe, die im Sommer angenehm kühl sind, wirken großzügig, die Laubengänge besitzen angenehme Proportionen. Eigentlich sollte hier alles grüner aussehen, aus Kostengründen schrumpften die begrünten Wände zur Teilbegrünung, ganz abgesehen von den Schwierigkeiten der Entwässerung. Auch die schöne Idee, die Keramikelemente des rückgebauten Garagenteils hier wiederzuverwenden, gewissermaßen als Reminiszenz an die vormalige Nutzung, wurde leider nicht umgesetzt. Die Liebe zum Detail zeigt sich aber überall, so z. B. am auf dem WDVS aufgetragenen Kammputz der Fassaden auf der Laubengangseite.
Alle Wohnungen werden über die Laubengänge erschlossen und orientieren sich zum Park hin. Die durchlaufende Homogenität der Fassaden lässt dabei nicht erkennen, dass sich dahinter durchaus unterschiedliche Wohnungstypen befinden. Haus 1, also das nördlichste, ist möblierten Mini-Apartments vorbehalten. Die Häuser 2 bis 4 umfassen jeweils 34 Wohnungen mit unterschiedlichen Größen und Grundrissen; die Wohnungen im 5. OG besitzen einen Zugang zu einer individuellen Dachterrasse mit grandiosem Ausblick über den Park.
Die Eigentümer haben auf einen Mix gesetzt: einige Wohnungen werden kurzfristig vermietet, bei anderen setzt man auf langfristige Mietverträge, die dritte Kategorie sind gehobene Eigentumswohnungen.
Ökonomie und Ökologie
Gewiss: Der »Gleis Park«, so der Marketing-Name, zählt nicht zu den in Berlin so dringend notwendigen Projekten, um kostengünstigen Wohnraum zu schaffen, gleichwohl überzeugt das Konzept, weil es zeigt, wie sich ökonomische und ökologische Ideen vereinen lassen: Autos raus, Leute rein. Auf diese Weise ist es ein Baustein für eine postautomobile Gesellschaft, selbst wenn diese für die Bewohnerinnen und Bewohner, die nicht nur die benachbarte Hochgarage, sondern auch eine Tiefgarage nutzen können, noch gar nicht angebrochen sein muss. Aber der Rückbau zumindest des Teils eines Parkhauses und sein Ersatz durch einen attraktiven Wohnbau ist schon einmal ein Schritt in die richtige Richtung. Ganz abgesehen davon, dass das Projekt auch auf architektonischer Ebene zu überzeugen vermag.
- Standort: Schöneberger Ufer 5, 10785 Berlin
Bauherr: BAUWENS Development GmbH, Köln
Architekten: KSP ENGEL GmbH, Berlin
Mitarbeiter: Jan Rehders, Jacqueline Ekteshafi, Anna Szczurek, Andre Burmann, Vera Kiegeland, Alexander Hörr
Tragwerksplanung: A.R.T. GmbH
Generalunternehmer: Bauwens Construction GmbH & Co. KG
HLS-Planung: F&P Consult
Bauphysik: Tohr Bauphysik GmbH&Co.KG
Brandschutzgutachter: BFT Cognos GmbH
Landschaftsarchitektur: Lill+Sparla Landschaftsarchitekten Partnerschaft
BGF: 16 811 m²
BRI: 57 900 m³
Fertigstellung: 2020
- Beteiligte Firmen:
Aufzüge: Schindler Aufzüge und Fahrtreppen GmbH
Isokorb: HALFEN Vertriebsgesellschaft mbH
Trockenbau: Knauf Gips KG, www.knauf.de
Fassade: CAPAROL Farbe Lacke Bautenschutz GmbH, Döpfner Betriebs-GmbH + Co. KG
Fenster: Saint-Gobain Glass, Hans Timm Fensterbau
Dämmung: Sto SE & Co. KGaA
KSP ENGEL
Jürgen Engel
Architekturstudium an der TU Braunschweig, ETH Zürich, RWTH Aachen und dem MIT Cambridge, USA. 1982-89 Mitarbeit bei Schneider-Wessling Architekten, Köln. 1986-89 O. M. Ungers, Frankfurt. 1990 eigenes Büro. Seit 2009 KSP ENGEL.
Hannes Meisehen
Architekturstudium an der TU Braunschweig. Mitarbeit in Berliner Architekturbüro. Seit 2017 Büroleitung bei KSP ENGEL, Berlin.
Ulrike Kunkel (~uk)
Studierte Germanistik, Architektur, Städtebau, Stadt- und Regionalplanung, Kunstgeschichte an der TU Berlin und am IUAV, Venedig, 1998 Diplom. 1999-2004 Kuratorin am Vitra Design Museum. 2002-04 Assistentin an der Hochschule für Gestaltung und Kunst Basel. Freie Autorin für Architektur- und Designthemen. Seit 2005 Redakteurin der db, seit 2009 Chefredakteurin.