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Wohnquartier Meckenheim-Süd von Joachim Schürmann

... in die Jahre gekommen
Meckenheim-Merl Süd

Zum db-Jubiläum

Im Jubiläumsjahr 2016 haben wir die langjährige und db-typische Rubrik »… in die Jahre gekommen« leicht modifiziert und erweitert: An dieser Stelle werden wir stets ein Gebäude auswählen und betrachten, das bereits zu seiner Entstehungszeit in der db gewürdigt wurde. Dem neuerlichen Abdruck des damaligen Artikels folgt die Wiederbetrachtung in Wort und Bild. So haben wir nicht nur die Möglichkeit, zu fragen, wie hat sich der Bau über die Zeit bewährt und was standen ggf. für Sanierungen oder Anpassungen an, sondern nutzen gleichzeitig die Gelegenheit, mit Ihnen durch die Hefte der letzten Jahrzehnte zu stöbern. Auf diese Art lassen wir Monat für Monat ein Stück db- und Zeitschriftengeschichte Revue passieren.

In dieser Ausgabe, mit dem Schwerpunktthema »Wohnen – gut und günstig«, richten wir den Blick auf das Wohnquartier Meckenheim-Süd nahe der ehemaligen Bundeshauptstadt Bonn, das im Juni 1971 in der db veröffentlicht wurde. Der Kölner Architekt Joachim Schürmann hat dort die Idee der weißen Moderne mit zeittypischen Formen kombiniert und eine auffällig durchgängige Anmutung erzielt, die allerdings von späteren Planänderungen und dem Willen nach unauffälliger Farbgebung konterkariert wurde. Eine kritische Berichterstattung erlaubte man sich damals noch nicht: Der Bericht in der db beschränkt sich auf die Darlegung der planerischen Ziele – die damals durchaus als zukunftsweisend gelten durften, in der Folge allerdings auch so manchen schmerzhaften Lerneffekt mit sich brachten. Die Wiederbetrachtung und -bewertung des Quartiers hat der Publizist und Kritiker Reinhart Wustlich für uns vorgenommen. Wir wünschen Ihnen eine spannende, vergleichende Lektüre! ~ge

Meckenheim-Merl Süd – wiederbetrachtet 2016

Architekt: Joachim Schürmann
Kritik, Fotos: Reinhart Wustlich
Nähert man sich von Süden, taucht über Obstbaumplantagen und Gehölzkulissen die Kontur einer »Weißen Stadt« auf. Das Weiß, die im Bildergedächtnis der historischen Schwarz-Weiß-Aufnahmen der Moderne präsente Folie, beherrschte ehedem die grafische Gliederung der Architektur des Kölner Architekten Joachim Schürmann. Er schärfte damit die Schattenzonen der wie Loggien gegliederten Balkone, die Geometrie der schwarz imprägnierten Holzteile und Fenster. Das Weiß war die ursprüngliche Essenz des Entwurfs. Zwar wirkte die Differenzierung der Fassaden aus der Ferne auch Jahre später noch grafisch-eleganter als die vergleichbarer Quartiere. Aber das Bildergedächtnis hielt dagegen: 70er Jahre, Boomjahre des Wohnungsbaus, Großstadt-Outlet der alten Bundesrepublik.
Die ehemals »Weiße Stadt«
Zwischenzeitlich hat sich eine der Idee fremde Anmutung von Farbigkeit über die Erinnerung geschoben. Die »Weiße Stadt« hat sich nach Besitzerwechseln einer banalisierenden Beige-Palette, dem Fluch des Beige, ergeben müssen. Weiße Moderne ist unbeliebt. Auch die Fensterordnungen erscheinen nicht mehr als schwarz umrandete, streng geometrische Muster. Bräunliche Lasuren herrschen vor. Hin und wieder ist eine Loggia zum umbauten Wintergarten mutiert.
Das städtebauliche Konzept erscheint als Unvollendetes, durfte nach Norden hin nicht an die Meckenheimer Altstadt anschließen. Die »Stadt« reduziert sich auf ein in Teilen höhergeschossiges Quartier, errichtet in einem ehemaligen Feuchtgebiet im Winkel zweier Bachläufe. Denn dem Flurnamen nach heißt das Quartier »Im Ruhrfeld« (ausgehend von Rohr = Reet). Im Jargon der selbsternannten Ghetto-Kids von heute heißt der Ort »Mecktown«.
Die Entstehungsjahre von Meckenheim-Süd, das 1971 fertig wurde, zeigten sich in bester Gesellschaft: In der Wohnungsbaustatistik der Bundesrepublik wurde 1972 der Peak der Fertigstellungen mit 726 000 Wohnungen in nur einem Jahr gefeiert. Es ging um Massenwohnungsbau. Es herrschte Siedlungsdruck. Die von der zwischenzeitlich als Bundeshauptstadt anerkannten Stadt Bonn ausgehende Entwicklung strahlte in den Großraum aus. Sie sollte in »geordnete Bahnen«, sprich: auf Standorte in sinnvoller Entfernung gelenkt werden, die in der Nachkriegszeit bereits als Schlafstädte auffällig geworden waren.
So verfolgte die Entwicklungsgesellschaft Meckenheim-Merl das Ziel, die kleine Landgemeinde Meckenheim (4 500 Einwohner), die im Rahmen der kommunalen Neugliederung mit dem noch kleineren Merl zusammengespannt worden war, zu einer infrastrukturell gut ausgestatteten, lebensfähigen Mittelstadt von 25 000 Einwohnern auszubauen. Das Programm sah zu Beginn den Schwerpunkt der Bauvorhaben im 70-%-Anteil des mehrgeschossigen Wohnungsbaus, dem 30 % Einfamilienhäuser nachgeordnet wurden. Ein Teil der Hochhauskonzepte, darunter solche im geförderten Wohnungsbau für Bundesbedienstete, wurde in einem ersten Bauabschnitt realisiert. Nicht viel später erfolgte die Kehrtwende, der tatsächlichen Nachfrage entsprechend: nur noch 30 % sollten im mehrgeschossigen Wohnungsbau errichtet werden, dagegen 70 % in Einfamilienhausgebieten.
Strukturverlust
Meckenheim-Süd wurde nicht in eine ablesbare Beziehung zur Altstadt gesetzt. Heute rätselt der Ortsfremde über die stadträumlichen Zusammenhänge mit der dichteren Schürmann-Bebauung am südlichen Rand und einer unklaren Zwischenzone mit sowohl mehrgeschossigen Wohnbauten als auch Reihen- und Einfamilienhäusern. Einzelne der Hochhaus-Scheiben dort sind heute kritisch zu sehen: Ehemals öffentlich geförderter Wohnungsbau wurde nach dem Auslaufen der Bindung privatisiert, war phasenweise durch Leerstände belastet und abgestiegen: »das Umfeld rutschte ab« (so der an den Planungen in Meckenheim beteiligte Architekt Jürgen Gerlach im Bonner General Anzeiger). Die Jugend-Bande »Kölnkreuzmafia« machte den gesamten Bereich eine ganze Zeit lang unsicher.
Im gestalterisch unbestimmten Bereich vor der Schürmann-Siedlung liegt ein eingeschossiges, U-förmig um einen Hof herum organisiertes Gebäude, der städtische Verwaltungsbereich für Kinder, Jugendliche und Familien, mit Sitzungs- und Konferenzsälen, dessen westlicher Flügel zurzeit in eine KITA umgebaut wird. Erst dahinter beginnt die »Weiße Stadt«: Eine Ringstraße erschließt eine städtebauliche Gruppierung, die, für die 70er Jahre zeitgemäß, unregelhafte »Großformen« so zueinander ordnete, dass einem Großteil der Wohnungen offene Blickbeziehungen über Freiräume und unverbaute Landschaften gewährt wurde. Dabei bilden jeweils zwei, am Süd- wie am Nordrand platzierte, bis zu acht Geschosse hohe Gebäude-Cluster die optische Akzentuierung der 450 Mietwohnungen und gliedern als Rahmen die Einfamilienhausfelder mit 85 ein- und zweigeschossigen Einheiten. Die Achse des Gebiets selbst wurde, der Trennung von Fuß- und Fahrverkehr folgend, zu einem internen Hauptfußwegenetz mit begrünten Binnenräumen orientiert.
Das ursprüngliche Planungskonzept war für 2 000 Einwohner ausgelegt worden. Verteilt auf drei Standorte, sollten drei Tiefgaragen für insgesamt nur 135 Pkw das Quartier versorgen. Wie bei vergleichbaren Siedlungen folgte über die Jahre einer stetigen Zunahme der individuellen Motorisierung ein generelles Stellplatzproblem. Tagsüber fällt es »Im Ruhrfeld« weniger ins Gewicht. Am Abend tritt es als Überfüllung der wenigen Parkplätze zwischen den Einfamilienhäusern und der Straßenflächen in Erscheinung.
Zwar versuchte das Entwurfskonzept, die Spielräume des Sozialen Wohnungsbaus offensiv zu lesen und eine Vielfalt an Wohnungstypen zu erreichen, konstatierte aber bereits für die Entstehungszeit »eine schmale soziologische Struktur des Wohngebiets«. Zu den Extras der Wohnungstypologie gehörten Maisonette-Wohnungen mit kleinen, ummauerten Gartenhöfen, die jedoch, v. a. in den Nordlagen, eher zu eng geschnitten wirken. Laubengang-Häuser fallen als Ausnahmen auf, Wohnungen mit Dachterrassen setzen sich in Teilen durch neue Aufbauten mit Wintergärten ab. Das prägende Gestaltelement bildeten die den Wohnungen zugeordneten Balkone mit geschlossenen Betonbrüstungen, die jedoch seitlich so weit hochgezogen waren, dass zum Darüber nur schmale Schlitze blieben. Das grafisch starke Element verlieh der Siedlung ein serielles Thema, wirkte zugleich aber ein Stück weit hermetisch, abgrenzend, betonte das geschlossen gestaltete Volumen der Baukörper.
Insgesamt wirkt der Erhaltungszustand des Quartiers heute – auch eine Folge der Privatisierung und Aufteilung in vier Wohnungseigentümergemeinschaften – überraschend gut. Wenngleich anzumerken ist, dass eine energetische Sanierung noch nicht stattgefunden hat. Dass die baulichen Ergänzungen und Ausbauten, etwa mit zusätzlichen Wintergärten, sich der Gestaltung der Siedlung sinnfällig einordnen, spricht für die Konzeption der Architekten. Selbst für eine Nachverdichtung wären verträgliche Ansätze denkbar. Die Beziehung zum benachbarten Landschaftsschutzgebiet und zu den nahen Ausläufern der Voreifel ist unverbaut erhalten geblieben. Die Herausforderung durch die Jugend- und Gewaltproblematik einiger zurückliegender Jahre scheint produktiv beantwortet worden zu sein. Integrations- und Begegnungskonzepte zwischen den verschiedenen Kulturen werden angenommen. Bildungsangebote zur Förderung von Migrantenkindern scheinen ausgleichend, zur Beratung und Vermittlung orientierend zu wirken – womöglich als Labor im Kleinen, als Beispiel für die Aufgaben, die der Gesellschaft im Großen durch die aktuellen Migrationsbewegungen bevorstehen.

{ Standort: Im Ruhrfeld, 53340 Meckenheim


Unser Kritiker Reinhart Wustlich hatte es nicht weit: Er lebt seit 2001 in einem verdichteten Wohnquartier von Peter Böhm in Hennef auf der gegenüberliegenden Rheinseite. Beim Vorort-Besuch fotografierte er lieber die Architektur als sich selbst – bei dem schönen Februarlicht mag man ihm das nicht verdenken.

~Reinhart Wustlich
Studium der Architektur und Stadtplanung in Aachen und Hannover, Promotion über Planungstheorie im Städtebau. Viele Buchpublikationen, 2013 ‧»Nordische Passagen/Am Saum Europas«. Bis 2007 Mitherausgeber von »Centrum. Jahrbuch Architektur und Stadt«.

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