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Gotthard Raststätte in Erstfeld (CH), alp architektur lischer partner

Alles unter vier Dächern
Gotthard Raststätte in Erstfeld (CH)

Die Typologie landwirtschaftlicher Nutzbauten stand Pate für den Neubau der Raststätte Gotthard. Die unterschiedlichen Nutzungen sind auf vier präzise geschnittene Baukörper in leichter Holzkonstruktion auf einem mineralischen Sockel verteilt. Die durchlässigen Fassaden bieten Ausblicke auf die imposante Berglandschaft ringsum – Grund genug, dieses filigrane Gebäude bewusst und nicht nur notgedrungen anzusteuern.

Architekten: alp architektur lischer partner
Tragwerksplanung: Schubiger Bauingenieure

Kritik: Hubertus Adam
Fotos: Roger Frei

Der Gotthard, benannt nach dem Heiligen Godehard von Hildesheim, ist für die Schweiz ein nahezu mythischer Ort. Das Bergmassiv trennt die Innerschweiz vom Tessin, also den deutsch- vom italienischsprachigen Teil des Landes und gewissermaßen Nord- von Südeuropa. Heute ist die Gotthardachse einer der wichtigsten Transitkorridore im internationalen Fernverkehr, da die verhältnismäßig gerade verlaufende Strecke nur den Alpenhauptkamm überwinden oder unterfahren muss.

Erst im Mittelalter wurde der Gotthard überhaupt passierbar, als durch den Bau der ersten Teufelsbrücke die Schöllenenschlucht – ein bis dahin nahezu unüberwindbares Hindernis – begehbar wurde. Und erst in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts entfiel mit dem Bau der Axenstraße die Notwendigkeit, die von Norden her kommenden Güter und Passagiere auf Schiffe zu verladen und über den südlichen Teil des Vierwaldstättersees zu transportieren. 1882 wurde der Gotthard-Eisenbahntunnel eröffnet, 1980 der Straßentunnel.

Mit der Einweihung des Gotthard-Basistunnels im Zuge der Neuen Eisenbahn-Alpentransversale (NEAT) begann 2016 schließlich ein neues Zeitalter: 57 km lang – Weltrekord – verkürzt der Tunnel die (Bahn-)Reisezeit zwischen Zürich und dem Tessin um nahezu eine Stunde.

Am Ufer der Reuss

Wer aber trotzdem noch mit dem Auto unterwegs ist, nutzt die A2 und den speziell zu Ferienzeiten stauanfälligen Straßentunnel mit nur einer Röhre und nur einer Spur pro Fahrtrichtung. Über die Passstraße auszuweichen, ist nur in den schneefreien Sommermonaten möglich.

An der Raststätte Gotthard Fahrtrichtung Süd stoppen alle diejenigen, die den Stau abwarten wollen oder vor dem Tunnel noch einmal innerschweizer Luft schnuppern möchten. Ein wenig Etikettenschwindel ist schon dabei, denn die Raststätte im Urnerboden, also im hier relativ ebenen Tal der Reuss, liegt auf gerade einmal 450 Höhenmetern 25 km nördlich vom Tunnelportal.

Eröffnet wurde die Raststätte zusammen mit der Einweihung von Autobahn und Tunnel 1980. Das Hauptgebäude befand sich auf der Ostseite, auf der nördlichen Richtungsfahrbahn, das Gebäude auf der Westseite war als Satellit konzipiert und durch einen noch bestehenden Tunnel zu erreichen. Seither hat sich allerhand verändert. Der zunehmende Verkehr führte dazu, dass das Angebot an Sitzplätzen kontinuierlich erweitert werden musste. 1998 entstand am Rande der Raststätte Richtung Süden der »Ort der Besinnung« nach Plänen der Architekten Guignard & Saner. Der Betonkubus, interkonfessionell konzipiert und von einer Stiftung getragen, ist ein Unikum, denn Autobahnkirchen gibt es in der Schweiz ansonsten nicht. 2007 wurde die Hauptraststätte auf der Ostseite neu errichtet, gut zehn Jahre später erfolgte nun der Neubau auf der gegenüberliegenden Seite. Den Studienauftrag des Jahres 2015 hatte das Architekturbüro alp architektur lischer partner aus Luzern gewonnen.

Mit mehr als 150 Angestellten ist die Autobahnraststätte ein wichtiger Arbeitgeber in einer Region, die ansonsten unter dem Transitverkehr eher leidet, von dem nur wenig für sie abfällt.

»Die beste Raststätte zwischen Hamburg und Palermo« sei das Ziel, verkündeten die Auftraggeber nicht ohne Ambition. Was sonst eher großsprecherisch anmutet, hier könnte es eingelöst sein. Raststätten ansteuern will man üblicherweise nur, wenn Magen, Blase oder Verkehrslage es erfordern und die Fahrt in ein Dorf abseits der Autobahn zu viel Zeitverlust bedeutet – ganz abgesehen davon, dass die letzte Gaststätte dort vielleicht schon vor ein paar Jahren dichtgemacht hat. Die neue Raststätte an der Gotthardroute aber besitzt das umgekehrte Potenzial: Dass man Lust bekommt, extra hierher zu fahren und einen Stopp einzulegen, ist v. a. das Verdienst von alp, die ihr siegreiches Projekt des Studienauftrags 2015 weitgehend unverändert umsetzen konnten. Ende Mai 2018, nach nur neun Monaten Bauzeit, öffnete der Neubau seine Tore.

Integration in die Landschaft

Das Gesamtvolumen gliedert sich in vier Bauteile, die vor- und zurückspringen und sich auch hinsichtlich ihrer zwischen 10 und 24 ° variierenden Dachneigung unterscheiden. Referenz für die Architekten bildeten die landwirtschaftlichen Nutzbauten auf den Wiesen und Weiden des Urnerbodens, mit Satteldächern versehene Ställe und Scheunen, die aufgrund von Topografie oder Nutzung aus Zusammenstellungen kleinerer Baukörper bestehen.

Der Typus Scheune mit Satteldach ist derzeit ein beliebtes Thema in der Schweizer Architektur. Aber an diesem Ort ist er tatsächlich angemessen – angemessener als auf dem Berliner Kulturforum.

Das Foyer mit einer lichten Raumhöhe unter dem First von 10 m ist einer der vier Bauteile. Blickfang ist hier eine Statue von Wilhelm Tell und seinem Sohn Walter, die der Holzbildhauer Markus Flück aus dem Berner Oberland geschaffen hat. Auch wenn erst Friedrich Schiller die heterogenen Elemente der Sage in zitierfähige Form gebracht hat, ist Tell der Schweizer Nationalmythos par excellence, und die mit ihm verbundenen Orte – Telldenkmal Altdorf, Tellskapelle, Rütliwiese – liegen in unmittelbarer Nähe. Tell war als Thema für die Raststätte gewünscht, Tell und Gotthard: Schweizerischer geht es nicht. Doch dass hier kein dräuendes Spektakel nationaler Selbstvergewisserung inszeniert und kein folkloristischer Touristenkitsch Raum greift, auch das ist das Verdienst der Architekten. Denn die Raststätte zeigt sich als ein leichter, filigraner und zur Umgebung sich öffnender Holzbau – oder als Glasbau mit Umhüllung aus Holzlamellen, je nachdem, wie man das sehen mag.

Dreigelenk-Rahmenbinder aus Fichten- und Tannen-Brettschichtholz bilden zusammen mit einer Holzständer-Konstruktion die Tragstruktur des Gebäudes. Die Fassaden und Dachpartien werden durch die repetitive Struktur von Holzlamellen gegliedert. Diese, wie auch die geschlossenen Fassadenflächen, bestehen aus Weißtannenholz aus dem westlich der Magistrale gelegenen Napf-Gebiet. Die Hölzer für die stärker beanspruchten Dachlamellen wurden acetyliert; allen wird eine Lebensdauer von 20-25 Jahren prognostiziert.

Großzügige Verglasungen bieten opulente Ausblicke, insbesondere auf die autobahnabgewandte Westseite mit der imposant 250 m hoch aufragenden Felswand der Tschingelflue jenseits des direkt hinter der Raststätte vorbeifließenden Flusses Reuss. Die visuelle Permeabiliät zur Umgebung – abends leuchtet das Gebäude wie eine Laterne – ist hier zentrales Entwurfsmotiv: vom Foyer aus gelangt man nach rechts in den Shop mit 200 m² Verkaufsfläche, während man nach links den Freeflow-Bereich der Selbstbedienungstheke mit Caféteria (50 Plätze) passiert und den großzügigen Gastraum mit 170 Plätzen erreicht, dem, wiederum hinter Holzlamellen, eine Loggia mit zusätzlichen 48 Plätzen vorgelagert ist. Alle Räume haben eine angenehme und trotz ihrer Dimensionen – dank Akustikplatten zwischen den Holzbindern – keineswegs hallige Atmosphäre.

Ungewöhnlich ist die Lage der Toiletten über Küche und Freeflow im OG, aber die Ausblicke auf die Tschingelflue (für die Damen) und ins Schächental (für die Herren) zeigen die Überlegenheit gegenüber einer Katakombenlösung im UG. Auch bei den Toiletten dominiert Holz, und das Arrangement der Kabinen wirkt ein wenig so, als seien hölzerne Plumpsklos zu einer dichten Konfiguration zusammengepresst worden.

Die Versorgung der Heizkörper im Restaurant und der Fußbodenheizung läuft über die gegenüberliegende Raststätte, die an das Fernwärmenetz angeschlossen ist.

Wandern und Tanken

Weitere 170 Außensitzplätze für die Gastronomie finden sich unmittelbar westlich der Raststätte. Die Terrasse grenzt an den Reussuferweg, und während andere Raststätten durch Zäune hermetisch von ihrer Umgebung entkoppelt sind, ist hier das Gegenteil der Fall: Wer ein wenig Zeit hat, kann einen Spaziergang am Flussufer unternehmen, und für die Radfahrer und Fußgänger fungiert die Raststätte als Ausflugsgaststätte. Die mit Holzlatten bekleidete gläserne Lärmschutzwand trennt den Reussraum akustisch von der Autobahn, sodass man sich hier tatsächlich in Ruhe aufhalten kann.

Bleibt eigentlich nur ein Element, das sich als unbefriedigend erweist: die Tankstelle des aserbeidschanischen Konzerns Socar mit ihrer ungeschlachten Standard-Überdachung, die sich direkt an den Baukörper der Raststätte heranschiebt. Eine integrierende Lösung war schlicht nicht durchsetzbar.

Axonometrie: alp architektur lischer partner
Grundriss EG: alp architektur lischer partner, Luzern
Grundriss OG: alp architektur lischer partner, Luzern
Lageplan: alp architektur lischer partner, Luzern
Längsschnitt: alp architektur lischer partner, Luzern

  • Standort: Raststätte West, A2, CH-6467 Schattdorf, Schweiz

    Bauherr: Gotthard Raststätte A2 Uri, Schattdorf,
    vertreten durch Nüesch Development, St. Gallen
    Architekten: alp architektur lischer partner, Luzern
    Mitarbeiter: Ursula Barmettler, Heidi Gunesch, Dominik Bieri, Manuel Jakobs, Daniel Lischer
    Tragwerksplanung: Schubiger Bauingenieure, Luzern
    Holzbau/Brandschutzplanung: Pirmin Jung Ingenieure für Holzbau, Rain
    Kostenplanung /Bauleitung: bhp Baumanagement, Emmenbrücke
    HLS-Planung: Zurfluh Lottenbach, Luzern
    Elektroplanung: Elektro-Planung R. Mettler, Altdorf
    Bauphysik/Akustik: Kopitsis Bauphysik, Wohlen
    Lichtplanung: Lichtbau, Bern
    Szenografie: Pengland, Luzern
    Corporate Identity/Signaletik: visu`l, Bern
    Landschaftsarchitektur: Müller Illien Landschaftsarchitekten, Zürich
    Verkehrsplanung: Tratus Verkehrsingenieure, Altdorf
    Gastronomieplanung: Axet, Embrach
    BGF: 2 391 m²
    BRI: 11 870 m³
    Baukosten: 13 Mio. CHF (rund 11,5 Mio. Euro)
    Bauzeit: Juni 2017 bis Mai 2018 (Eröffnung)

Am winterlichen Nachmittag liegt die Raststätte leider im Schatten; auf der Terrasse neben der Reuss wird es dann frostig. Unser Kritiker Hubertus Adam bereute aber trotzdem nicht, den Weg auf sich genommen zu haben, und genoss Architektur und Ausblicke.

 

Hubertus Adam
Studium der Kunstgeschichte, Archäologie und Philosophie in Heidelberg. Freier Architekturkritiker. 1996-98 Redakteur der Bauwelt, 1998-2012 der archithese. 2010-15 Künstlerischer Leiter des S AM in Basel.

alp architektur lischer partner


Leitbild: »Architektur ist ein kollektiver Prozess.
Unsere Projekte entstehen im Team.«

Daniel Lischer,
Dipl.-Ing. Arch ETH/SIA, Partner und Mitglied der Geschäftsleitung

 
 

 


Nicole Renggli-Frey,
Dipl.-Ing. ETH/UFAI, Partnerin und Mitglied der Geschäftsleitung

 

 

 


Weitere Teammitglieder:
Lea Ott, Projektleiterin
Manuel Jakobs, Dipl.-Ing. FH/MSc Arch ETH
Oliver von Kaenel, BSc Arch FHZ
Simon von Niederhäusern, MSC Arch ETH
Alejandra Hinder, Praktikantin
Lou Lischer, Administration
Reto Portmann, Dipl.-Hochbauzeichner


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