Über das Symposium »’Gott mit uns!‘ – Das schwierige Erbe des Nationalprotestantismus« zur Garnisonkirche Potsdam ist nun eine Publikation erschienen. Am 24. März folgt eine Veranstaltung in Potsdam.
Trotz der seit drei Jahrzehnten intensiv geführten Debatte um das Für und Wider des Wiederaufbaus der Garnisonkirche Potsdam und dem 50 Mio. € teuren Errichtung ihres Kirchturms herrscht ein bemerkenswertes Unwissen zu weiten Teilen ihrer Geschichte. Als „nationales Tafelsilber“ verklärt (so auf der Website der Stiftung Garnisonkirche), werden Teile Ihrer Geschichte beschönigt, andere Teile verschwiegen. So war es bislang etwa kaum eine Thema, welches Christentum hier gepredigt wurde, was die Verbindung zu den deutschen Kolonialkriegen war oder welche Rolle der Ort für die antidemokratischen Kräfte der Weimarer Republik spielte.
Um diese blinden Flecken zu adressieren, hat der 2019 gegründete Lernort nicht zuletzt zwei Symposien durchgeführt, deren Ergebnisse nur vorliegen. Die Beiträge der Tagung »‘Gott mit uns!‘ – Das schwierige Erbe des Nationalprotestantismus« sind soeben als epd-Dokumentation erschienen, die Beiträge der Tagung »Geist von Potsdam. Preussisches Militär als Tradition und Erbe« als Videodokumentation online veröffentlicht. Zum 90 Jahrestag des Tag von Potsdam führt der Lernort zudem die Veranstaltung »Eine Stunde Missbrauch? Widerreden gegen Mythen zum Tag von Potsdam« am 24. März in Potsdam durch.
Publikation
Die Publikationen zeichnen sich nicht nur durch eine Erstveröffentlichung zahlreicher neuer Forschungen aus, zu der etwa Barbara Stollberg-Rilingers demystifizierende Beschäftigung mit Friedrich Wilhelm I gehört, sondern es kommen auch wichtige gesellschaftliche Akteure zu Wort. Hierzu gehören Beiträge vom Altbischof Wolfgang Huber, vom Leiter des brandenburgischen Verfassungsschutzes Jörg Müller und vom Kommandeur des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) und Mitglied des Kuratorium Stiftung Garnisonkirche, Oberst Sven Lange.
Videodokumentation der Tagung
»Geist von Potsdam. Preussisches Militär als Tradition und Erbe«
20 Vorträge u.a. von Detlef Bald, Jochen Böhler, Rüdiger Hachtmann, Linda von Keyserlingk-Rehbein, Thomas Kühne, Sven Lange, Sandra Maß, Barbara Stollberg-Rilinger, John Zimmermann und 5 Diskussionen befassen sich mit den Themenfeldern Kulturen des Militärischen, Gewaltakte, (Un-)Geist von Potsdam, Innergesellschaftliche Militärkonflikte, Traditionsstolz oder Lange Schatten. Eine Buchpublikation ist in Vorbereitung, die im Frühjahr 2024 erscheinen wird.
Programm und Videos abrufbar auf der Website des Lernorts unter dem Link: http://lernort-garnisonkirche.de/symposion-geist-von-potsdam/
Veranstaltung
Eine Stunde Missbrauch?
Widerreden gegen Mythen zum Tag von Potsdam – Vorträge und Diskussionen
Freitag, den 24. März 2023, 18.00 – 20.00
In der Stadt- und Landesbibliothek/ Veranstaltungssaal
mit:
- Dr. Matthias Grünzig: Die Garnisonkirche als Ort von Deutschnationalen und Rechtsradikalen 1919-1933
- Prof. Dr. Manfred Gailus: Die Kirche als Ermöglicher: Otto Dibelius
- Dr. Annette Leo: Nicht nur Potsdam: Reichsweite Feiern
- Prof. Dr. Philipp Oswalt: Zwölf Jahre Präsenz: Der Tag in der NS-Propaganda
- Moderation: Dr. Achim Saupe (ZZF)
Die Potsdamer Garnisonkirche ist im kollektiven Bewusstsein eng verbunden mit dem Tag von Potsdam, der symbolischen Geburtsstunde des Dritten Reichs. Selbstredend lässt sich die Geschichte der Kirche nicht auf diesen Tag reduzieren, aber die Kirche auch nicht ohne diesen Tag mehr denken. Seit 1990 führte die Rückbesinnung an diesen Bau zu einer lebhaften, bis heute andauernden Kontroverse, die sich nicht auf das Für und Wider eines Wiederaufbau beschränkt. Gestritten wird auch über die Geschichtsschreibung und die Geschichtsdeutung, nicht zuletzt zum Tag von Potsdam. Stellte dieser nur eine »Dreiviertelstunde des Missbrauchs« (Andreas Kitschke) des Baus da, der eigentlich christliche Werte und preussische Tugenden im besten Sinne verkörpert? Hat die Kirche das Ereignis zu verhindern gesucht? War der Tag von Potsdam aus Sicht des NS-Regimes »symbolpolitisch in vieler Hinsicht so missraten« (Martin Sabrow). Und hat das Bild vom Handschlag von Hindenburg und Hitler erst nach 1945 Karriere gemacht? Halten diese entlastenden Thesen einer Prüfung der historischen Fakten stand? Vier Gegenreden und eine Diskussion.