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Marcello Piacentini

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Marcello Piacentini

Marcello Piacentini
Moderner Städtebau in Italien. Von Christine Beese. 624 S., mit zahlr. Abb., Hardcover, 77 Euro, Reimer Verlag, Berlin 2015

                                                     ~Bernhard Schulz

Was Speer für Hitler war, war Piacentini für Mussolini. So denkt man – und das ist falsch, meint die Architekturhistorikerin Christine Beese, die jetzt ihre Dissertation über Marcello Piacentini in Gestalt eines 600-Seiten-Buchs vorgelegt hat. Über den Städtebauer wohlgemerkt, nicht über den Architekten; obgleich diese Unterscheidung, so richtig sie dem Prinzip nach ist, gerade auf Piacentini nicht wirklich passt, war er doch in beiden Bereichen gleichermaßen tätig und erfolgreich. Und zwar lange vor Mussolini und im Übrigen auch nach dem Ende des faschistischen Regimes bis zu seinem Tod 1960. Bereits 1921 wurde der 1881 als Sohn eines bedeutenden römischen Architekten geborene Marcello Piacentini als Dozent an die neu gegründete Architekturfakultät der Universität Rom berufen, also vor Mussolinis kläglichem »Marsch« auf die italienische Hauptstadt; eine Position, die Piacentini zur Schaltstelle der Baupolitik des heraufziehenden Regimes auszubauen verstand. Was Beese erstmals herausarbeitet, sind die Anregungen, die Piacentini zum einen durch die städtebaulichen Gedanken eines Camillo Sitte sowie bei seinen Reisen empfing. Piacentini ging früh ins Ausland, so konnte er den italienischen Beitrag zur »Panama-Pacific International Exposition« in San Francisco 1915 gestalten. Schon damals bewies er sein Verständnis für die evolutionäre Weiterentwicklung der italienischen Stadt. Spätere Anregungen erhielt er bei seinen Deutschland-Reisen 1930 und 1931, die durch Eintragungen und Zeichnungen in seinen Tagebüchern bestens dokumentiert sind. Ihm gefielen besonders die Hochhausbauten der gemäßigten Moderne, in Köln, Düsseldorf oder Stuttgart, und Spuren davon fand Beese etwa bei der Piazza Vittoria im norditalienischen Brescia, seiner wohl berühmtesten städtebaulichen Lösung. Der Turm der staatlichen Sozialversicherungsanstalt INA lehnt sich in Details an Wilhelm Kreis’ Hochhaus in Düsseldorf an, der Palazzo delle Poste an die mächtigen Arkaden des Stuttgarter Hauptbahnhofs von Paul Bonatz.
In und für Rom plant er viel, und Vieles scheitert an der Konkurrenz anderer Städteplaner und an den Behörden. Die Autorin verfolgt die langjährigen, ergebnislosen Debatten um die Umgestaltung Roms anhand der minuziös ausgewerteten Akten. Erst mit den Planungen für E42, das Quartier für die geplante und bereits zugesagte, aber durch den Krieg entfallene Weltausstellung 1942, südöstlich von Rom auf dem Weg nach Ostia, findet die Grundidee der Verlagerung des Verwaltungszentrums eine konkrete Formulierung. Bezeichnend für die ungebrochene Wertschätzung Piacentinis durch die verschiedenen politischen Epochen hindurch ist es, dass er den Sportpalast des heute als »Città E.U.R.« firmierenden Bezirks unverändert nach 1945 fertigstellt, und zwar zu den Olympischen Spielen 1960. In Rom selbst gelingt ihm der Durchbruch zweier wichtiger Straßenverbindungen, die den zunächst etwas abseits gelegenen Hauptbahnhof Termini besser an das Stadtzentrum anbinden. An der so geschaffenen Via Barberini entwickelt sich mit Bauten Piacentinis aus den 50er Jahren ein urbanes Leben, wie es sich der Architekt, der die historische Stadt stets verteidigte, immer erträumt hatte. Keine Wertschätzung brachte Piacentini dem »Borgo« genannten, dicht bebauten Stadtviertel zwischen Petersdom und Engelsburg entgegen – er verfolgte von Anfang an dessen weitgehenden Abriss und die Realisierung einer monumentalen Straße. Die Via della Conciliazione, Ende der 30er Jahre begonnen, wurde allerdings erst 1950 zum Anno Santo fertiggestellt, gestaltet in exakt den neoklassizistischen Formen, die unter Mussolinis Spätzeit des »Impero« gängig waren.
Christine Beese hat alle einschlägigen italienischen Archive durchforstet und zitiert hundertfach aus unveröffentlichten Korrespondenzen, wodurch die damaligen Debatten erneut lebendig werden. Leider sind die Abbildungen im Buch sehr klein ausgefallen, was sie nur sehr schwer lesbar macht. Insgesamt kommt Beese zu dem Schluss, dass Piacentini sehr viel internationaler dachte, sehr viel mehr Anregungen aufnahm, als dem bislang als Mussolini-Adepten geltenden Multifunktionär zugestanden worden war. Zudem macht die Autorin die feine Unterscheidung, dass Piacentini wohl Staatsaufträge annahm, aber dennoch nicht, wie Speer, als »Staatsarchitekt« anzusehen sei. Das leuchtet durchaus ein, zumal vor dem Hintergrund der unter Mussolini ausgetragenen Fehden zwischen Traditionalisten und Vertretern der rationalistischen Avantgarde. Gleichwohl stieg Piacentini aufgrund der Konzentration strategisch wichtiger Posten in seiner Hand zum einflussreichsten Planer und Architekten Italiens auf. Und wenn es ihm möglich war, Konkurrenten elegant auszuschalten und, wie in Brescia, vom Jurymitglied zum beauftragten Planer zu werden, dann hat er nicht gezögert. Dienstbar war er dem Regime allemal.
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