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Konturen und Konjunkturen der Denkmalpflege

Bücher
Konturen und Konjunkturen der Denkmalpflege

Konturen und Konjunkturen der Denkmalpflege
Zum Umgang mit baulichen Relikten der Vergangenheit. Hrsg. von Ingrid Scheurmann, 504 Seiten, gebunden, 200 s/w und farb. Abb., 60 Euro, Böhlau Verlag, Wien 2018

~Jürgen Tietz

Im »Europäischen Jahr des kulturellen Erbes 2018« mangelt es bisher an einer Auseinandersetzung mit Geschichte und Theorie der Denkmalpflege. Da fügt es sich trefflich, dass Ingrid Scheurmann mit ihrem neuen Buch dieses Defizit auffüllt und dabei zugleich zentrale Fragen zur Zukunft des Fachs stellt. Das Europäische Denkmalschutzjahr 1975 bot mit seinem Katalog »Eine Zukunft für unsere Vergangenheit« zwar ebenfalls keine Theorie der Denkmalpflege. Aber zumindest wurden damals einige Reibungspunkte umrissen, die das fachliche Selbstverständnis betrafen.
(s. dazu auch db-Kommentar »Etwas mit Europa – das Europäische Kulturerbejahr vergibt Chancen« aus db 5/2018)
Seitdem ist viel Zeit vergangen. Neue Denkmalgruppen kamen in den Blickwinkel bis hin zu den Bauten jener Moderne, die 1975 noch das eigentliche Feindbild der Denkmalschützer bildete. Heute balanciert die amtliche Denkmalpflege am Abgrund zur Bagatellisierung, vielfach unwillig die eigene Rolle im Bau- wie im Geschichtsdiskurs oder gar den Denkmalbegriff zu hinterfragen.
In ihrem materialreichen und ansprechend gestalteten Buch benennt Scheurmann präzise die Ursachen, die zu dieser Situation führen konnten: »So sehr die Denkmalpflege auch neue Gegenstände für sich entdeckt und diese bereitwillig in den großen Korpus eines imaginären Denkmalarchivs integriert hatte, so immun präsentiert sie sich in der Regel gegenüber der Relativität ihrer eigenen Wissenssysteme.« So hat etwa die in den 1980er Jahren von Pierre Nora angestoßene Auseinandersetzung mit den »Lieux de Mémoire«, die nicht nur für die Geschichtswissenschaft von zentraler Bedeutung ist, kaum Niederschlag in der Denkmalpraxis gefunden. »Während Noras Erinnerungsorte prinzipiell auf Erweiterung, Ergänzung und Revision angelegt waren, folgten die jüngeren Denkmalpflegegeschichten […] einer Metaerzählung des Aufstiegs und der Durchsetzung moderner fachlicher Prämissen […], zu deren Untermauerung üblicherweise ausgewählte Restaurierungsprojekte und Protagonisten zitiert wurden«, konstatiert Scheurmann. Dem steht ein »Verlust der Gedächtnisgemeinschaft« in der Gesellschaft insgesamt gegenüber. Die große Erzählung – wenn es sie denn je wirklich gab – ist auch der Denkmalpflege abhandengekommen. An ihre Stelle tritt eine zunehmende Diversifizierung und Individualisierung von Geschichtsnarrativen. Dafür aber reichen die bisher verwendeten Kriterien der Denkmalpflege nicht mehr aus, die nahezu ausschließlich an die Substanz des Denkmals und dessen »Originalität« bzw. »Authentizität« gebundenen sind. Selbst jene »Zeitschichten«, denen sich Scheurmann in früheren Veröffentlichungen intensiv gewidmet hat, sind in der denkmalpflegerischen Alltagspraxis bis heute keineswegs überall angekommen. Ja, sogar eine vollständige Inventarisierung des Denkmalbestands ist immer noch nicht abgeschlossen und das betrifft nicht nur die jüngsten Baudenkmale, etwa der Postmoderne. Gleichermaßen aufgeklärte wie zukunftsorientierte Erinnerungsbildung bedarf […] des Bezugs auf die Komplexität, die Widersprüchlichkeit und damit die auch materiell nicht vollständig fassbare Geschichtlichkeit der Dinge, resümiert Scheurmann und erteilt der Denkmalpflege damit einen Arbeitsauftrag, der Theorie wie Praxis des Fachs betrifft. Die Diskussion darüber, was wir erinnern wollen und wie, ist im »Europäischen Jahr des kulturellen Erbes« bisher nicht hinreichend geführt worden. Sie wäre aber ebenso notwendig, wie eine neue praktische Positionsbestimmung von Denkmalen innerhalb der baulichen Entwicklung von Stadt und Land.
Die Schlussfolgerung von Scheurmanns wichtigem Buch wird für manche Denkmalenthusiasten schmerzlich sein: Dass nämlich Georg Dehios um 1900 formuliertes Motto »konservieren, nicht restaurieren« endgültig historisch geworden und der Anerkenntnis gewichen ist, dass materielle Veränderungsprozesse nicht aufgehalten und allenfalls gesteuert werden können (»change management«). Je schneller die Denkmalpflege darauf reagiert, desto eher hat sie die Chance, eine Rolle als Impulsgeber im baukulturellen Diskurs wahrzunehmen.

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