Hohe Bauzäune aus Schaltafeln versperren den Eingang zur Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig, darauf kleben fröhlich-farbige Plakate: Image zerstören – Leere abreißen – Stillstand beschleunigen – Ostdeutschland halbieren – Rückschritt kultivieren. Ist die erst vor einem Jahr erweiterte Galerie erneut zur Baustelle geworden? Wird auch hier abgewickelt und Rückbau betrieben? Nein, hinter vernagelten Fenstern betrachten Besucher die neue Ausstellung zu schrumpfenden Städten. »Das wenig sexy erscheinende Thema wird aus dem Abseits geholt«, so Friederike Tappe-Hornbostel von der Kulturstiftung des Bundes, und soll durch das Initiativprojekt im Unterschied zum pragmatischen Stadtumbau-Ost-Programm einen kulturellen Umgang fördern und neue Impulse geben.
Während in Leipzig unter dem Titel »Interventionen« Handlungskonzepte angekündigt sind, ist parallel in Halle die bereits 2004 in Berlin präsentierte »Internationale Untersuchung« zu sehen. Bemerkenswert ist der Ausstellungsort, der leer stehende Bahnhof in Halle-Neustadt, das selbst Gegenstand im internationalen Vergleich mit schrumpfenden Städten wie Detroit, Manchester und Ivanovo ist. Dabei zeigt sich, auf welch hohem Niveau in Ostdeutschland Schrumpfung stattfindet. Die Galerie für Zeitgenössische Kunst verweist als programmatischer Ort auf die Beteiligung von bildenden Künstlern bei den »Interventionen«. Weiterhin widmeten sich Architekten, Biologen, Soziologen und Stadtplaner der Schrumpfung in Ostdeutschland, so dass »ein Zwitter zwischen Kunst- und Fachausstellung« entstanden sei, erklärt die GfZK-Direktorin Barbara Steiner, denn nur mit interdisziplinärer Strategie könne der komplexen Thematik begegnet werden. Einen einheitlichen Ansatz oder ein großes Lösungsmodell gibt es bei den rund 60 Ausstellungsbeiträgen nicht, und die Ankündigung von Handlungskonzepten kann nicht Erwartungen von einfach umsetzbaren Rezepten erfüllen, da vornehmlich neue Denk- und Wahrnehmungsmodelle vorgestellt werden. Mit der Vision von »MetroSachs« beschreiben Friedrich von Borries und Walter Prigge die gedankliche Umkehr von Schrumpfung zu Wachstum einer neuen Metropole im Bereich des Sachsendreiecks. Isa Rosenberger schafft mit ihrem Kunstkonzept ein Denkmal für das Frauenzentrum der arbeitslosen Chemiearbeiterinnen in Wolfen. Den Rückzug organisieren Peter Arlt und Letzelfreivogel Architekten mit »Einmauern. Und Luftholen« und fordern Reflexion anstelle von Aktionismus. Handlungsstrategien von Leipziger Hausbesetzern und Stadt-Landwirten zeigt die Filmdokumentation »Das Geheimnis von LE« von Anke Haarmann und Irene Bude. In einzelnen Bereichen ist die Ausstellung stark audiovisuell ausgerichtet, wobei sich die Filmclips in Aufmerksamkeit heischender Lautigkeit gegenseitig übertönen. Eher bizarr wirkt der Kontrast zwischen dem eleganten Kunst-Ort in Leipzig und seiner Inszenierung mit vernagelten Fenstern und rauen Innenräumen, während der hallenser Bahnhof sich als authentischer Ort des Geschehens entfalten kann.
Begleitend zu den Ausstellungen hat Philipp Oswalt eine sehr empfehlenswerte Anthologie zu schrumpfenden Städten in zwei telefonbuchstarken Bänden herausgegeben. Der erste Band »Internationale Untersuchung« erschien bereits 2004. Im frisch gedruckten zweiten Band »Handlungskonzepte« werden die Ausstellungsbeiträge in blauer Schrift erläutert, darüber hinaus erfolgt die Einbindung in den erweiterten Diskurs Schwarz auf Weiß mit interessanten Recherchen und Interviews, um Rückschritt nachhaltig zu kultivieren. Annette Menting
Bis 29. Januar. Bahnhof Halle-Neustadt, Albert-Einstein-Str. 41, Mo – Sa 10 – 20, So 10 – 17 Uhr. Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig, Karl-Tauchnitz-Straße 11, Di – Sa 14 – 19, So 12–19 Uhr. Begleitpublikation, 2 Bände, je 39,80 Euro. www.shrinkingcities.de
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