Mit den blühenden Landschaften ist das bekanntlich nicht so einfach. Wo die Sogwirkung der Städte lockt, die Arbeit, Annehmlichkeiten und Abenteuer verheißen, da haben ländliche Regionen keine guten Karten. Dabei handelt es sich um ein globales Phänomen, das nicht erst mit der Moderne entstanden ist, aber mit dem dramatischen Wachstum der Städte in den letzten beiden Jahrhunderten eine rasante Beschleunigung erfahren hat. Was also tun, um ländliche Regionen attraktiver zu machen, der Landflucht vorzubeugen, neue Wirtschaftsquellen zu erschließen und vielleicht den einen oder anderen Stadtmüden zurückzulocken? Die Antworten, die man in der bergigen Landschaft im chinesischen Songyang gefunden hat, lauten: Verbesserte Highspeed-Verkehrsanbindung, schnelles Internet – und gute Architektur. In einer wunderbaren Ausstellung in der Berliner Galerie Aedes wird unter dem Titel »Rural Moves« eine Auswahl der von Xu Tiantian mit ihrem Büro DnA_Design and Architecture/Beijing verwirklichten Interventionen in Songyang vorgestellt. Duftende Holzmodelle der Gebäude, an den Wänden großformatige Fotografien, die die Bauten landschaftlich verorten, sowie Videos mit Nutzern, Bauherrn und Architektin, führen die Besucher in eine »fremdvertraute« Welt. Ja, dem Geiste nach könnte man sich die kleinen Häuser ebenso gut in Vorarlberg oder Südtirol vorstellen, während man sie sich sehnlichst auch in der nord- oder ostdeutschen Provinz wünschen würde. Es ist diese liebevolle Mischung aus Tradition und Moderne, aus Materialsinnlichkeit und räumlicher Poesie, von der ich mich gern überwältigen lasse, die die Menschen vor Ort unmittelbar einbezieht und zugleich neue Wege aufzeigt.
Eine Gruppe luftiger Bambuspavillons, von denen aus die Blicke über sanft gewellte Teeplantagen wandern, diente 2014/15 als Initialzündung für die baukulturellen Interventionen in Songyang, das rund drei Autostunden südlich von Hangzhou liegt. Damit einher geht eine touristische Aufwertung des Tals mit seinen 400 Dörfern. Nicht das Spektakuläre ist dabei die Botschaft des »County Comittees« und der in Peking und Harvard ausgebildeten Architektin Xu Tiantian, sondern die behutsamen Eingriffe, wie das neue Teehaus samt Meditationsraum, in dem man sich sofort niederlassen möchte, um im Dämmerlicht auf See, Baum, Berge und Wolken zu schauen, eine Schale Tee in den Händen. Die Bauaufgaben reichen bis hin zu einer neuen Fabrik für die traditionelle Herstellung von braunem Zucker. Jede der Interventionen erzählt eine Geschichte, holt ein Elemente aus der Vergangenheit und übersetzt es lustvoll in die Gegenwart. Einmal mehr ist es dem China-Experten Eduard Kögel zusammen mit Hans-Jürgen Commerell gelungen, eine Ausstellung zu kuratieren, die den Reiz junger chinesischer Architektur einfängt und zugleich eine Botschaft in die deutsche Gegenwart sendet.
Ob sie hier vernommen wird?
Bis 17. Juni. DnA_Design and Architecture, Rural Moves, The Songyang Story. Aedes Architekturforum, Christinenstraße 18+19, 10119 Berlin,
Di-Fr 11-18.30, So+Mo 13-17 Uhr,
www.aedes-arc.de