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Zurück in die Zukunft

Zur 13. Architekturbiennale in Venedig
Zurück in die Zukunft

David Chipperfield wurde für sein Motto »Common Ground« und dessen Umsetzung viel kritisiert, denn er ließ seinen Teilnehmern bei der Gestaltung ihrer Beiträge und dabei, wen sie auf der Suche nach den gemeinsamen Werten mit ins Boot holten, weitgehend freie Hand. Knapp die Hälfte der Beiträge bestreiten die Architekten in Gruppen und schmoren damit im eigenen Saft. Entstanden ist eine umfassende Architekturausstellung mit stetem Blick zurück. Dieser entfaltet seine Wirkung erst dort, wo es um das Ausloten der Potenziale des Bestands und die Frage nach der Rolle des Architekten geht.

~Julia von Mende

Eins der erklärten Ziele von Chipperfields »Common Ground« ist, die Biennale in Richtung »Kontinuität, Kontext und Gedächtnis« zu lenken. Doch überrascht dabei, mit welcher Konsequenz sich der Blick in die Vergangenheit als roter Faden durch die ganze Ausstellung zieht. Man fragt sich schließlich, ob Chipperfields Aufforderung deshalb so begierig aufgenommen wurde, weil es an einer aktuellen Botschaft fehlt.
Zu sehen ist eine breite Dokumentation des Schaffens vorwiegend der älteren Architektengeneration, ihrer Inspirationsquellen und der Reflexion über ihr Werk. Im Gegensatz zur letzten Architekturbiennale wird wieder mehr konkrete Architektur gezeigt. Sogar das technische Detail erfährt seine Würdigung (Herreros Arquitectos). Und Kühn Malvezzi steuern mit ihrem Klinker-Podest vor dem zentralen Pavillon den »Common Ground« im Maßstab 1:1 bei. Es ist die lang ersehnte Sitzgelegenheit in der 10 000 m2 umfassenden Hauptausstellung (zentraler Pavillon und Arsenale). Diese Fläche muss man komplett abgehen, denn relevante Beiträge, die Zukunftsweisendes beinhalten, sind darauf rar gesät und müssen gefunden werden. Man vermisst die herausragenden Highlights.
Das erste Exponat im Arsenale ist Bernard Tschumis Aktualisierung seiner manifestartigen »Advertisements for Architecture« aus den 70er Jahren. Heute hinterfragt er darauf den »Common Ground«, indem er z. B. das Guggenheim Museum in New York neben ein Parkhaus mit gewendelter Rampe stellt, untertitelt mit der Aussage, dass es nicht nur darum gehe, wie Architektur aussieht, sondern was sie bewirke. Die Auftaktfragen zum »Common Ground« muss der Besucher in der Ausstellung weitgehend für sich selbst beantworten. Hinzu kommt, dass zum Verständnis der Beiträge die aufmerksame Lektüre der Begleittexte unbedingt nötig ist.
Eine Ausnahme bildet die raumgreifende Inszenierung von Zaha Hadid und Patrik Schumacher: amorphe Hängeskulpturen und ein riesiger Blechpilz – da gibt es nichts zu verstehen, nur zu sehen. Auch sie beziehen sich auf die Vergangenheit und stellen ihre Studien u. a. neben Heinz Islers Schalenkonstruktionen. Das Werk des Schweizer Bauingenieurs ist durch Naturbeobachtung und die Überprüfung im Experiment geprägt, nicht durch mathematische Berechnungen (s. db 4/2003, S. 90-95). Isler ging es um Materialminimierung, doch darum geht es Zaha Hadid – zumindest in den ausgestellten Skulpturen – offenkundig nicht. Heinz Isler ist 2009 verstorben und kann sich persönlich nicht mehr dagegen wehren, hier als Referenz benutzt zu werden.
Selbstdarstellung auf Umwegen
Augenscheinlich hat das »Common Ground«-Korsett das Gros der anderen Teilnehmer dazu veranlasst, sich höflich zurückzuhalten. Das treibt in mehreren Sammlungen von Inspirationsquellen unterhaltsame Blüten: Valerio Olgiati lässt z. B. seine geladenen Gäste visuelle Referenzen auf einem Tisch ausbreiten, die einen voyeuristischen Blick ins Hirn des Architekten eröffnen. Andere lassen ihre Studenten für sich sprechen oder überlassen ihr eigenes Werk der Reflexion Dritter. So richtet auch Luigi Snozzi den Blick zurück auf sein Lebenswerk, das Wirken am Ort Monte Carasso, das der Regisseur Alberto Momo im Film beleuchtet; zu den Bildern eines ergrauten Sichtbetonwohnhauses, dessen minimalistische Eleganz von einem folkloristischen Fastnachtsumzug konterkariert wird, kommen Bewohner, Architekten und Politiker zu Wort.
Potenzial des Bestands
Vorausschauend wird der didaktische Rückblick dieser Biennale ausgerechnet dort, wo sie das Potenzial des Bestands auslotet. Dazu gehört neben dem deutschen Beitrag »Reduce Reuse Recycle« auch Estland mit »How long is the life of a building« oder dem erneuten niederländischen Appell, Leerstand zu nutzen – dieses Mal mit einer räumlichen Reanimation des niederländischen Pavillons durch eine mechanisch wandernde Vorhanginstallation von Petra Blaise. Bis auf die informative Bestandsaufnahme zu den historischen Länderpavillons im Beitrag von Diener & Diener stehen v. a. Bauten der Nachkriegsmoderne bis in die 70er Jahre im Fokus. OMA bringt das Thema im zentralen Pavillon auf den Punkt: »Public Works – Architecture by Civil Servants« zeigt öffentliche Bauten der 60er und 70er Jahre damals und in ihrem Zustand heute. Sie waren von der einst starken öffentlichen Hand links-regierter Städte und Kommunen in hoher Qualität errichtet worden. Neben der Frage nach der Kraft dieser Bauten heute fragt die Ausstellung auch nach dem »Common Ground« politischer Ideale und in diesem Zusammenhang nach der Rolle des Architekten. Denn im Gegensatz zum heutigen Starkult haben damals innerhalb großer städtischer Bauabteilungen gute Architekten als »civil servants«, wie sie in der Ausstellung bezeichnet werden, zugunsten eines Bauens für das Allgemeinwohl auf eine Karriere als freischaffender Architekt verzichtet.
Die Rolle des Architekten
Die Rolle des Architekten wird auf dieser Biennale mehrfach thematisiert. Der Designer Jasper Morrison führt Fotografien von Alltagsdesign ohne Gestalter vor und der dänische Pavillon kommt – zumindest in der Rolle des Kurators – ohne Architekt aus. Das Ergebnis ist eine herausragende Darstellung von Potenzialen, die durch schmelzendes Eis und im Zuge weltweiten Bevölkerungswachstums und damit einhergehender Migration in Grönland zutage treten.
Aber bedeutend wird die Frage danach, was Architekten beitragen können, erst im Zusammenhang mit existenzieller Not. Urban Think Tank (Alfredo Brillembourg, Hubert Klumpner), Justin McGuirk und der Fotograf Iwan Baan dokumentieren z. B., wie 3 000 Slum-Bewohner einen nie fertiggebauten Büroturm in Caracas als vertikale Stadt ohne Architekten für sich erschlossen haben und bewohnen. Urban Think Tank sehen darin ein zukunftsweisendes Modell der vertikalen Stadt. Hier geht es um Selbstorganisation und Anpassungsleistung der Menschen. Aber ist das eine taugliche Strategie zur Überwindung der Kluft zwischen informellen und formellen Städten in den Metropolen der Schwellenländer? Ihre Präsentation inklusive einer Bar im Arsenale als »Common Ground« des Austauschs wurde jedenfalls mit dem goldenen Löwen für den besten Beitrag zur Hauptausstellung ausgezeichnet.
Von einer ähnlichen Form der Selbstermächtigung – jedoch im Bezug auf die temporäre Nutzung von öffentlichem Raum – handelt auch der Film von Marisa González. Er wird in Norman Fosters Rückblick auf seine HSBC Bank in Hongkong gezeigt. Mit »This is our territory« bekräftigt eine Filipina darin ihren Anspruch auf öffentlichen Raum und ihr Zughörigkeitsgefühl zu den anderen Hausangestellten. Sie alle treffen sich sonntags, wenn sie frei haben und das Gebäude weitgehend leer steht, in der EG-Zone unter der HSBC Bank und besetzen diese in kleinen Raumeinheiten. Dabei entsteht eine ganze Stadt aus Pappkartons.
Im Gedächtnis bleiben auch unter den Länderpavillons v. a. jene Beiträge, die existenzielle Fragen des (Zusammen-)Lebens erörtern. Dazu gehört das von Toyo Ito initiierte Projekt »Home-for-All«. Im japanischen Pavillon dokumentiert er den Entwurfsprozess dreier junger Architekten, die zusammen mit den vom Tsunami 2011 betroffenen Einwohnern der Stadt Rikuzentakata ein Gemeinschaftshaus entwerfen und bauen. Es soll einen Ausgangspunkt für die Regeneration der zerstörten Kommune bilden. Der Beitrag macht das gemeinschaftliche Arbeiten in einer tagebuchähnlichen Form anhand von Arbeitsmodellen, Notizen und Videointerviews über den Zeitraum von Oktober 2011 bis Juli 2012 sichtbar. Im Prozess werden die Beteiligten mit der grundsätzlichen Frage konfrontiert, was Architektur überhaupt für Menschen, die alles verloren haben, zu leisten vermag. Ito, der bereits auf der Biennale 2002 für sein ›
› Lebenswerk ausgezeichnet wurde, erhielt in diesem Jahr einen weiteren goldenen Löwen für den besten Länderpavillon.
Copyright
»Common Ground« bietet in seiner thematischen Offenheit zu guter Letzt dann doch noch ein Plätzchen für neue Themen. Dazu gehört die aktuelle Debatte über geistiges Eigentum in der (Netz-)Politik. Wie geht man im Zeitalter der medialen Kommunikation, der unendlichen Vervielfältigungsmöglichkeiten und globaler Weiterentwicklung von Ideen damit um? In einem konkreten Fallbeispiel klingt das Thema in der Installation »Repeat Yourself: Loos, Law and the Culture of the Copy« an. Ines Weizman schlug 2008 anlässlich des 75. Todestags von Adolf Loos vor, dessen Entwurf eines Wohnhauses für Josephine Baker in China zu realisieren. Im Rahmen des von FAT kuratierten Beitrags »Museum of Copying« geht sie der Frage nach der Bedeutung und dem Stellenwert von Copyright in der Architektur nach. Bei ihrer Recherche nach den Rechten an Loos’ Entwurf stieß sie auf unterschiedlichste Anwärter. Weizman präsentiert die Arbeit als Zeitstrahl, der alle Menschen, die mit Loos und seinem (auch geschriebenen) Werk in Verbindung stehen, berücksichtigt, und mit zahlreichen Details über die Verflechtungen derjenigen, die sein geistiges Erbe beanspruchen, informiert. In der Auseinandersetzung mit den juristischen Fragen zum Copyright öffnet sich ein neuer Blickwinkel auf die Architekturgeschichte.
Vielfalt, wenig Brisanz
Insgesamt darf man in dem didaktischen Architekturparcours nichts radikal Neues erwarten. Der Ausstellung fehlt es an dem Biss, den Tschumis Manifeste Ende der 70er noch hatten. Sie bietet aber ein vielfältiges Angebot, aus dem man viel über Vergangenes lernen kann. Und auch wenn sich dank digitaler Medien und dem Ausmaß an Berichterstattung das meiste von zu Hause aus konsumieren lässt, lohnt doch eine Fahrt nach Venedig, schon allein der Atmosphäre wegen. Der Gedanke kommt einem spätestens nach einer Tour de Force durch das lange Gebäude des Arsenale bei der Ankunft im erholsamen Giardino delle Vergini zwischen Álvaro Siza Vieiras und Eduardo Souto de Mouras schlichten und ergreifenden Rauminstallationen. Hier geht es schließlich um Venedig. Aber zur Atmosphäre gehören nicht nur die Stadt, sondern v. a. die Menschen und der unmittelbare Austausch über die Architektur. Deshalb muss man auch ganz ehrlich sagen, dass die ersten drei Tage vor der offiziellen Eröffnung der Biennale die interessantesten sind. Dann sind die Ausstellenden selbst vor Ort.
So gesehen könnte die Biennale nach ein paar Tagen auch gut wieder schließen. •
Die Autorin arbeitet als freie Architekturjournalistin. Sie lebt in Berlin.
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