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Wohnungsnot und Pandemie

(Qualitätvoller) Wohnungsbau fehlt in Deutschland
Wohnungsnot in Deutschland

Wohnungsnot in Deutschland
Sie ist nicht neu. Sie kam nicht unbemerkt. Im Gegenteil: Seit Jahren spricht die Öffentlichkeit, spricht die Politik über Wohnungsnot. Mit der Pandemie …

~Bernhard Schulz

… ist sie nur noch deutlicher ins Bewusstsein getreten, da Millionen Beschäftigte zum Homeoffice gezwungen wurden, Millionen von Minderjährigen zum Zu-Hause-bleiben. Und nun nicht nur die absolute Not derer, die eine Wohnung gar nicht erst finden können, zum Thema wurde, sondern auch die relative Not der Mehrheit, der die vorhandenen vier Wände zu eng geworden sind.

Die Zahlen – unlängst vorgelegt etwa vom Institut der Deutschen Wirtschaft – sprechen für den allgemeinen und höchst beunruhigenden Befund, dass unsere Gesellschaft langsam, aber sicher auseinanderdriftet. Wenige haben viel, und viele haben wenig – das gilt für den Wohnungsmarkt, wie es für Vermögen, Einkommen und weitere Indikatoren ebenfalls gilt. Zur sozialen Spaltung kommt in Sachen Wohnung eine geografische: In den Städten herrscht Not, auf dem Land ist die Situation entspannter.

Das ließe sich weiter differenzieren, und es muss auch getan werden, um der Politik halbwegs verlässliche Zahlen an die Hand zu geben. Der generelle Befund aber bleibt: Deutschland hat zu wenige Wohnungen. Es hat nicht zuletzt zu wenige für die, deren Bedeutung für den Zusammenhalt der Gesellschaft während der Pandemie so sichtbar geworden ist wie jahrzehntelang nicht mehr, Menschen in Gesundheits- und Dienstleistungsberufen, die sich buchstäblich an den Rand gedrängt sehen, an den Rand der Städte und Gemeinden, weil sie mit dem Preisniveau von Mieten oder gar Eigentumserwerb nicht mithalten können.

Aus den statistischen Trends lässt sich die Notlage nicht eindeutig herleiten. Weder drängen geburtenstarke Jahrgänge auf den Markt noch Wellen von Zuwanderern, und auch die Bautätigkeit schwankt nicht über die Maße. Es ist eher ein stetig anwachsendes Defizit an Wohnraum, ablesbar am unaufhörlich steigenden Miet- und Kaufpreisniveau. Hat die Politik, haben Stadtplaner und Architekten die richtigen Antworten? Als es galt, den wachsenden Familien der Nachkriegszeit Wohnungen zu geben und zugleich den ungenügenden Altbestand zu ersetzen, wurden Trabantensiedlungen auf die sprichwörtlich grüne Wiese gestellt, ermöglichten Bausparverträge das flächendeckende Häuslebauen im Umland. Vom einen kam man wieder ab, das andere hält sich weit oben auf der Wunschliste der Bundesbürger. Neuerdings brechen Konflikte in einzelnen Kommunen auf, die mit Baugenehmigungen für das ersehnte Eigenheim geizen – Wetterleuchten anstehender Konflikte um die Ökologie des Bauens? Die allerdings werden kommen, schneller und v. a. härter, als es derzeit noch wahrgenommen wird; denn beim Erreichen von Umweltzielen spielen zum einen das Bauen selbst, zum anderen die Nutzung herausragende Rollen. Im Raum steht die bange Frage, ob wir uns umweltverträgliches Bauen und Wohnen überhaupt noch werden leisten können?

Stellen wir den ökonomischen Aspekt einen Augenblick zurück, dann lässt sich ein Hoffnungsschimmer ausmachen: Die Architekten sind dabei, das Problem nicht nur zu erkennen, sondern Lösungen anzubieten. Die Qualität des Baugeschehens in Deutschland, misst man sie beispielsweise an den Auswahlen zum bundesweiten DAM Preis für Architektur, ist bemerkenswert hoch. Und das meint keine selbstverliebte Fassadenkunst, sondern insbesondere auch die grundlegende Beschäftigung mit Material und Technik; als Stichworte genügen Holz- und Holzhybridbau. Vielfach sind Bauherrengemeinschaften, wie immer sie gestaltet sein mögen, die treibende Kraft des Wandels. Was in Form von Lückenschließungen, Bebauung von Brachflächen, Mischlösungen aus Gewerbe und Wohnen entsteht und sich in Wettbewerben wie dem DAM Preis misst, zeigt in der Erfüllung von Wohnwünschen zugleich Verantwortung für Ökologie als auch für Ästhetik. Daran ist unbedingt festzuhalten; auch, wenn die Diskussion unweigerlich auf die Standards des Bauens und v. a. der Ausstattung zu sprechen kommen wird. Können wir uns das alles leisten? Und wenn nicht – wo kann, wo muss gespart werden?

»Sparen« ist ein blödes Wort, niemand hört es gerne. »Beschränkung« klingt besser; aber Beschränkung wobei? An der Wohnfläche pro Kopf, die hierzulande – wie in allen Wohlstandsgesellschaften – immer weiter gestiegen ist, auf mittlerweile 41 m2, oder an der Ausstattung, die doch eher qualitätvoller, auch technisch noch anspruchsvoller werden muss, sollen künftige Grenzwerte der Umweltverträglichkeit eingehalten werden? Da ist es kontraproduktiv, wenn der Ausweg aus dem Dilemma gestiegener Wünsche bei zugleich steigenden Anforderungen im Hochpreissegment gesucht wird, wenn renommierte Architekturbüros sich auf international vermarktbares Wohneigentum kaprizieren, wie in angesagten Städten und Quartieren zu beobachten ist. Wenn einem aus der Lektüre, sagen wir, einer Weltzeitung, das Angebot einer Zweit- oder Drittwohnung in Toplage der eigenen Stadt entgegenblickt, spätestens dann müssen die Alarmglocken schrillen.

Darüber gerät die akute Wohnungsnot leicht aus dem Blick. Der Markt alleine wird es nicht richten, so viel steht fest. Es gilt, die Augen zu öffnen für die Anforderungen, die die Gesellschaft als Ganzes stellt. Dass sie alle ihre Mitglieder mit anständigem Wohnraum versorgt, ist eine der wichtigsten. Wie wichtig, hat nicht zuletzt die Pandemie deutlich gemacht.

Der Autor ist freier Kunst- und Architekturkritiker. Er lebt in Berlin.

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