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»Wir wollten keine ideologische Ausstellung machen«

Ein Gespräch mit Kurt W. Forster
»Wir wollten keine ideologische Ausstellung machen«

1935 in Zürich geboren, studierte Kurt W. Forster Kunst- und Architekturgeschichte in Berlin, München, Florenz, London und Zürich. Von 1960 bis 93 lebte er in den USA und lehrte an den Universitäten von Yale, Stanford, Berkeley, Harvard und am Massachusetts Institute of Technology. Er war Direktor des Schweizerischen Institutes in Rom (1975 – 78), des Stanford Study Center in Berlin (1980), Gründungsdirektor des Getty Research Institutes in Los Angeles (1984 – 1993) lehrte von 1993 bis 99 an der ETH Zürich, holte Peter Eisenman, Daniel Libeskind und Greg Lynn als Gastprofessoren an die ETH. Von 1999 bis 2001 war er Direktor des Canadian Centre for Architecture in Montreal. Er ist Träger des Verdienstkreuzes der Bundesrepublik Deutschland und seit 2003 Inhaber der Gropius Professur in Weimar.

Mit dem Direktor der 9. Internationalen Architekturausstellung der Biennale Venedig sprachen Oliver Elser und Axel Simon.
OE/AS: Die von Ihnen kuratierte diesjährige Architekturbiennale in Venedig trägt den Titel »Metamorph«, weist also auf eine Veränderung hin. Was verändert sich da in welche Richtung?
KF: Wir haben diesen etwas eigentümlichen Titel »Metamorph« gewählt, weil man in wohl allen Sprachen versteht, was er bedeutet. Eine Metamorphose ist eine Verwandlung fundamentaler Art, die aber die Stufen vorher und nachher nicht nur voneinander trennt, sondern die eine voraussetzt, um die andere hervorzubringen. Es ist also auch eine tiefe Widersprüchlichkeit in dem Konzept, das ja schon eine lange Wanderung hinter sich hat – von der antiken Mythologie über mittelalterliche Fabeln zu den Beschreibungen naturgeschichtlicher Prozesse im 18. Jahrhundert bis hin zu heutigen Aspekten der Pharmakologie. Das heißt, es ist ein reiches, vielseitiges, viele Widersprüche einschließendes Konzept, das mir angemessen scheint, für eine Situation, die so vielfältig und so durchschossen ist mit Problemen, wie die heutige. Denn die heutige Architektur ist dabei, sich so grundsätzlich zu verändern, dass sie einmal Eigenschaften besitzen wird, die sie früher nicht hatte, oder dass sie bestimmte Fähigkeiten verliert, die ihr einmal sprichwörtlich zugeschrieben wurden.
Welche Fähigkeiten sind das?
Zum Beispiel, dass die Architektur primär die Stabilität und Permanenz in der Welt darstellen soll, bis hin zu verfeinerten und auch ideologisch komplizierten Vorstellungen der Tektonik. Das ist die Architektur heute nicht mehr, nicht nur weil das technologisch mindere Fragen geworden sind. Unsere ganze Vorstellung von dem was dauerhaft oder was beweglich, was stabil ist oder sich in Veränderung befindet, hat sich grundlegend gewandelt. Die Architektur ist heute dabei, uns viel mehr ein Gefühl davon zu vermitteln, wie gewaltig, wie unheimlich, wie mirakulös ihre Fähigkeiten sind – eine Architektur, die sich nicht kümmern braucht über ihre eigene Tektonik und diese auch nicht zur Grundlage ihrer Erscheinung macht, sondern die dabei ist, alle Kategorien zu verbinden, zu verschleifen, ganz neue Gefühle hervorzurufen, die man sonst nur vom Fliegen oder vom Schwimmen her kennt. Wie man normalerweise geneigt war anzunehmen, der Stabilität eines Gebäudes würde seine räumliche Abfolge, seine Volumetrie, vielleicht sogar seine Proportionen entsprechen, so sind wir heute vielmehr daran interessiert, wie man sich bewegt, wie man sich von einem Element ins andere bewegt – wir sprechen heute über riesige Distanzen miteinander und fliegen von einem Tag auf den anderen in eine andere Stadt.
Eine andere mögliche Schlussfolgerung wäre, dass die Architektur, gerade weil es diese Phänomene in der Lebenswelt gibt, Gegenposition bezieht, dass sie sich, anders als in der Moderne, nicht mehr dem fließenden Raum und der Offenheit zuwendet, sondern versucht, feste Ankerpunkte auszuwerfen.
Selbstverständlich ist es einem Architekten genauso wie einem Denker, Soziologen oder einem Künstler möglich, eine Position zu beziehen, die sich dem entgegenstemmt, das sonst alles mitreißt. Aber diese Position muss dann von, man kann beinahe sagen, singulärer Härte sein, denn sich allen diesen Mächten entgegenzustellen, das ist ja eine herkulische Mission. Aber es kann, wenn es mit entsprechender Kapazität und Idee vorgestellt wird, ein außerordentlich eindrückliches Resultat abgeben. Wie zum Beispiel im italienischen Pavillon Massimo Scolari: Er stellt so etwas wie ein apokalyptisches Ende der Architektur in der Zerstörung des Turms zu Babel dar. Direkt hinter ihm unterzieht Peter Eisenman 500 Jahren Architektur einen sachgemäßen Feinschliff, komprimiert sie und schafft am Schluss eine Art Druckkammer der Baugeschichte, in der man dann unerwartet durch ein einzelnes Fenster auf Scolaris Ende der Zeiten blickt. Wir wollten ja keine ideologisch-programmatische Ausstellung machen, sondern eine phänomenologische, innerhalb derer dann diese einzelnen Positionen einen inselartigen Charakter bekommen. Das heißt, wir wollten mit diesen so genannten »Episoden« einzelnen Architekten Gelegenheit geben, sich in dieses Thema auf ihre Weise einzufühlen.
Hat die Architektur überhaupt noch Möglichkeiten, diese Prozesse aktiv zu forcieren, oder ist sie ein bloßes Abbilden der Situation?
Nein, nicht nur ist sie imstande sich selbst und ihre eigenen Probleme voranzutragen und diese zu lösen, sondern in vielerlei Hinsicht gibt sie den Ereignissen erst einen bestimmten Rahmen. Sie schafft sozusagen die physischen Umstände innerhalb derer etwas passiert. Um ein Beispiel zu nennen: Die Veränderung der ehemaligen Unterscheidung von privat und öffentlich, die Andersartigkeit heutiger Wohnungsgrundrisse. Diese Veränderungen, die in der Architektur genauso manifest sind, wie in vielen anderen Bereichen, die finden in der Architektur überhaupt erst ihren Resonanzraum. Im Gegenteil: Ich denke, dass man hier viel Zukunftsmusik hört, wenn man durch das Arsenale geht. Die hat zwar schon angefangen, die Instrumente sind schon gestimmt, aber es gibt nur wenige Orte auf der Welt, wo man bereits in dieser neuen Manier musiziert.
Der Architekturbiennale wird immer wieder vorgeworfen, sie erschlage den Besucher mit der Masse des Materials. Wäre es möglich, sich in den einzelnen Sektionen auf weniger Beispiele zu beschränken?
Das wäre möglich, dann würde aber ein anderes Problem entstehen: Es gäbe dann nur Highlights. Darum kann es nicht gehen, wenn man versucht, die Symptome zu lesen. Wenn man die Symptome liest, muss man auch Dingen Aufmerksamkeit schenken, die zunächst vielleicht beiläufig oder sogar oberflächlich und unwichtig erscheinen. Wir haben mittels weniger Themen versucht herauszufinden: Was geschieht eigentlich? Was verändert sich? Und dazu braucht es eine gewisse Breite. Sonst hat man vermeintliche Sonderfälle vor sich, während wir ja gerade das Gegenteil wollten: die ganze Breite und Tiefe dieser Veränderung, wenn nicht ausloten, so doch mindestens in einigen wichtigen Zusammenhängen andeuten. Und ich glaube, wir haben uns sehr beschränkt, zum Beispiel haben wir gut vierzig Konzertsäle ausgewählt, wir hätten auch 120 ausstellen können, denn so viel werden zur Zeit und in unmittelbarer Zukunft in aller Welt gebaut – mit so vielen haben wir gar nicht gerechnet. Davon vierzig auszuwählen, erlaubt uns, noch immer auf unterschiedliche Tendenzen einzugehen.
Ist der Konzertsaal an die Stelle des Museums getreten?
Die Konzertsäle zogen mich aus zwei Gründen an: Erstens besetzen fast alle Konzertsäle absolut singuläre Orte in der Stadt. Ein Konzertsaal, wie die Philharmonie in Berlin, ist ein Wahrzeichen für eine Stadt. Zweitens wird hier die Architektur gleichzeitig strapaziert und abgeschlossen – schließlich ist der Zweck eines Konzertsaales die Musik. Diese Herausforderung in der heutigen Architektur ist eigentlich die grundsätzlichste, die man sich vorstellen kann: Man ist aufgefordert, die Architektur an ihre eigenen Grenzen zu tragen, um dann aber einen Schritt zurückzutreten, und den Ort einer anderen Sache, nämlich der Musik zu überlassen.
Eine Neuerung ihres Konzepts sind die der Fotografie gewidmeten Ausstellungsbereiche, die etwas sehr Atmosphärisches thematisieren. Sollen sie Dinge vermitteln, die ungebaute Architektur, also Pläne, Modelle, Bilder nicht vermitteln können?
Ja. Die Fotografien haben, wie das meiste hier, mehr als einen Beitrag zu leisten. Es waren wirklich Fotografen, die die Spürnase hatten, dass die Dinge in der Architektur sich verändern. Wenn man 25 Jahre Architekturfotografie überblickt, dann merkt man: Das waren die Trüffelschweine. Die Fotografen waren die ersten, die angefangen haben, alle diejenigen Elemente, die man bisher mit Absicht ausgeblendet hatte, wieder in die Architektur zurückzuholen: Reflektionen, wie das Licht die Architektur komplett verwandelt, von innen wie von außen. Wie sieht so etwas aus im Regen? Im Winter? Die Relation des Alterns eines Gebäudes im Verhältnis zu seinem Kontext, … Dann sind diese Fotografen genau diejenigen Venen gefolgt, die sich auch bei den Architekten als so ergiebig erwiesen haben. Zum Beispiel eine neue Betrachtung der Landschaft, eine neue Betrachtung der Topografie, ein Eingehen auf Materialien, als könnte man sie sozusagen mit den Fingern erspüren. Deshalb sind die Fotografen in jüngster Zeit zu wahren Mitarbeitern der Architekten geworden. Es ist nicht nur so, dass sie dienstfertig abfotografieren, was diese gebaut haben, sondern die Fotos zählen sozusagen zu den Instrumenten, mit denen die Architekten ihre Projekte entwickeln. Es ist kein Zufall, dass ein Studio wie Herzog & de Meuron ganz aktiv mit Fotografen zusammenarbeitet.
Trotzdem steht im Arsenale ein anderes Medium im Zentrum der Präsentation, nämlich das Modell.
Ich wollte möglichst viele Pfeifen blasen lassen. Keine monothematische Ausstellung, keine monomediale, keine die von A bis Z das Gleiche versucht. Wir haben ja auch diese beiden Orte Padiglione Italia und Arsenale in jeder Hinsicht anders angefasst. Und wir wollten hier im italienischen Pavillon so etwas wie Versuchsanordnungen zeigen, die die Leute betreten können und mit kompletter Naivität und Selbstverständlichkeit sehen: Wie fühlt sich das an? Wie könnte man einen solchen Raum möblieren, wie einen anderen? Während wir im Arsenale ja so etwas wie ein Flottengeschwader der gegenwärtigen Projekte haben. In diesem großen historischen Korridor, der sozusagen in die Tiefe der Zeit führt, wollten wir die Türen öffnen, den Wind der Gegenwart blasen lassen, und die Dynamik, diese kontinuierliche Veränderung der neuen Elemente. Wir lassen diese Flotte von Projekten »anschwimmen«, die man dann von hinten, von vorne, diagonal sieht, und miteinander in einen immer wieder anderen Zusammenhang stellen kann. Das heißt, wir geben nicht einen Weg vor, wir geben nicht eine Meinung ab, der man entsprechen muss, sondern wir bieten eine Pluralität von Perspektiven an, eine Vielfalt von Diskursen und Vergleichsmöglichkeiten und wir wollen natürlich auch ein bisschen Theater spielen.
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