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Willkürliches und wahres Erbe

Zwei Initiativen zum Erhalt von Schinkel-Bauten
Willkürliches und wahres Erbe

Ob es sich um eine Ausstellungseröffnung oder Podiumsdiskussion handelt, kaum ein architektonischer Anlass des offiziellen Berlins scheint seit den neunziger Jahren ohne einen Verweis auf Karl Friedrich Schinkel auszukommen. Gern beruft man sich heute auf ihn, der vermeintlich das Alpha und Omega des Berliner Alphabets an architektonischen wie städtebaulichen Möglichkeiten schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts vorweggenommen habe, der Maßstab und Richtschnur für fast alle Epochen Berlins gewesen sei und wieder sein müsse. Auf ein sehr einsames Podest wird Schinkel von vielen Akteuren gehoben, von Architekten und Architekturhistorikern, von Kulturinstitutionen wie der Stiftung Preußischer Kulturbesitz oder den Berliner Senatsverwaltungen wie auch von allen jenen Bürgergruppen, die sich dem Rückbau des Berliner Zentrums in den Zustand Mitte des 19. Jahrhunderts verschrieben.

Im Windschatten der Diskussionen um das Berliner Schloss ist seit Anfang der neunziger Jahre ein halbes Dutzend verschiedener Schinkel-Vereine in Berlin und Brandenburg entstanden wie auch die internationale Gesellschaft »Friends of Schinkel« mit Sitz in Minneapolis, der neben vielen renommierten Institutionen, Architekturhistorikern und Architekten auch das neotraditionalistische »Prince of Wales Institute« angehört. Sie alle verfolgen das gleiche Ziel, Schinkel in seiner romantisierenden Wirkungsweise zu idealisieren, statt ihn als einen (radikalen) Neuerer der Architektur zu sehen.
Wie unangemessen modern Schinkels Architekturen noch heute dem provinziellen Konservativismus erscheinen können, zeigt die Geschichte eines borussisch gewandelten Hamburger Geschäftsmannes, der im heutigen Brandenburg auszog, um recht stilsichere neoklassizistische Wohnhäuser à la Schinkel an einen gehobenen Kundenkreis zu bringen. Mit der Berufung auf das Ortsbild, auf das ortsüblich geneigte Dach wurden seine Häuser von den lokalen Autoritäten verhindert, die Schinkels extrem flach geneigten Dächer hinter einer Attika nicht zulassen wollten.
Sehr selektiv und retardierend beruft man sich heute auf den Architekten Schinkel als einen zahnlosen Gesellen, auf den sich zur eigenen Legitimation ehrwürdig und kaum gefährlich berufen werden kann, ohne dass jemand nachfragt, ob die behauptete Linie an Kontinuität wirklich stimmig ist. Dazu passt der derzeit verengte Blick der Berliner Öffentlichkeit und vieler Architekten allein auf Schinkels Klassizismus und die Bauakademie. Finanziert von der deutschen Großindustrie, von Daimler-Chrysler wird mit ungeheurem Aufwand eine plakative Attrappe der Bauakademie in die Stadt gestellt, die für einen möglichst konservatorischen Wiederaufbau dieses Juwels in Schinkels Werk wirbt. Was technisch durchaus machbar ist, da hier Schinkel schon mit halbindustriell vorgefertigten Elementen arbeitete.
Andere Formen des Umgangs mit Schinkels Erbe genießen weit weniger Beachtung. Während sich alle Aufmerksamkeit auf den Wiederaufbau einer längst verlorenen Bauakademie richten, entbehren heute nicht wenige von Schinkels noch erhaltenen Bauten einen vergleichbaren Einsatz. Das neu-alte Lied von den schwindenden Mitteln des Denkmalschutzes in Deutschland und der Berlin-Brandenburgischen Haushaltsmiseren sind dafür verantwortlich, aber auch die Fokussierung auf das Berliner Zentrum allein.
Nicht nur sein italianisierendes Kasino-Gebäude in Klein-Glienicke benötigt so wieder neue Mittel zur Erhaltung, sondern auch zwei recht einsame Initiativen Berliner Architekten, die sich sehr unterschiedlichen Gebäuden Schinkels produktiv angenommen haben. Mit viel Unterstützung des Berliner Denkmalschutzes und der Stiftung Deutscher Denkmalschutz hat Klaus Block in vielen Einzeletappen aus der im Krieg ausgebrannten Ruine der Elisabeth-Kirche an der Invalidenstraße wieder ein fast nutzbares Haus gemacht. Weit entfernt davon ist noch das erste Werk Schinkels, eine frühere Molkerei in Form einer frühchristlichen Basilika im brandenburgischen Bärwinkel nahe des mittlerweile von der großen Politik so viel besuchten Gutes Neuhardenberg, zu dem es ehemals gehörte. Um das arg mitgenommene Gebäude erhalten und revitalisieren zu können, erwarb Anfang der Neunziger Jahre eine Hälfte der Berliner Architekt Frank Augustin, der sich seitdem mit dem eigens dazu gegründeten »Förderverein Bärwinkel« um Geldspenden und Sachmittel bemüht.
Ein seltsames, aber faszinierendes Gebäude ist diese Molkerei, die 1802 – 03, kurz vor Schinkels erster Italienreise und weit vor der Englandreise entstand. Als Teil eines Vorwerks unter dem Vorgänger der Hardenbergs, dem Landwirtschaftsreformer Quitzow, entstand sie als ein recht multifunktionales Gebäude. Sein südliches Seitenschiff diente so zur Käseherstellung, das restliche Erdgeschoss als Verwalterwohnung, während sich von Zeit zu Zeit im Obergeschoss des Mittelschiffes die Herrschaft zu einem gesunden Bioumtrunk mit weitem Ausblick auf die Landschaft des Oderbruchs einfand.
Bei diesem Gebäude handelt es sich scheinbar nicht nur um den ersten neoromanischen Bau auf dem Kontinent, sondern auch um eine sehr frühe Adaption der »dairy«, der englischen Landschaftsparkphantasie romantisch verklärten Landlebens, das eine nützliche Molkerei mit einschloss. Rustikal ist der Charakter des Baus, der aus Raseneisenstein und Vollziegeln entstand, dessen repräsentativer östlicher Vorbau an die Kirchen Oberitaliens erinnert.
Als eine Art von Hybrid kann man das Gebäude wohl bezeichnen, das aber später brachiale Veränderungen erfuhr. Für zwei Verwalterwohnungen wurde das Haus im 19. Jahrhundert umgebaut und erweitert. Recht obskur, nämlich quer zur Ausrichtung des Schiffes mit zahlreichen Vorsprüngen wurde damals das Haus geteilt. Eine der beiden Hälften, bis zur Unkenntlichkeit verbaut, wird heute noch bewohnt. Die historische Bausubstanz blieb jedoch bis auf die westliche Stirnseite erhalten, wo in Absprache mit dem Denkmalschutz eine neue moderne Front entstehen kann.
Mit ABM-Maßnahmen und Spenden hat Frank Augustin mühsam seine Hälfte wieder hergestellt und eine provisorische Westfront errichtet. Hier soll am 13. März nächsten Jahres, zum 225. Geburtstag Schinkels, ein kleines temporäres Museum seine Pforten zu dessen Frühwerk öffnen. Für die andere Hälfte des Baus hat er schon die Einwilligung der Bewohner erhalten. Auf 500 000 Euro beziffert der Architekt den Aufwand, um das Haus wiederherzustellen und dauerhaft benutzbar zu machen. Dies wäre in etwa die Summe, die angeblich für den Kulissenbau der Bauakademie ausgegeben wurde. Vielleicht finden sich ja noch Spender, die diesem ungewöhnlichen Bauwerk Schinkels ihre Beachtung schenken.
Die Finanzierung des vorerst letzten Bauabschnitts der Elisabeth-Kirche in Berlin ist bereits gesichert. Von außen strahlt schon heute die ehemals ausgebrannte und eingewucherte Kirchenruine fast in altem Glanz. Für das Innere hat man auf eine Rekonstruktion des alten Zustandes bewusst verzichtet, da die heutige, aus mehreren Kirchenkreisen zusammengelegte Gemeinde über genug Kirchenraum verfügt und die Elisabeth-Kirche nur noch temporär für liturgische Zwecke nutzen will. Die Gemeinde, der die Choreografin Sasha Waltz und die Architektin Almut Grüntuch-Ernst angehören, will vielmehr ihr Haus wechselnden kulturellen Veranstaltungen öffnen, wofür sich die innen unverkleidet und unverstellt gebliebene Hülle alter Bausubstanz mit all ihren historischen Spuren wohl auch bestens eignen dürfte.
Sie ist die einzige, 1835 realisierte Kirche von ursprünglich zwei geplanten großen Vorstadtkirchen Schinkels, aus denen die Elisabeth-Kirche und drei weitere kleinere Kirchen im Wedding und in Moabit hervor- gingen. Unsäglich viel Mühe musste sich der Architekt hier geben, viele Varianten entwerfen, bevor der König aus einer Privatschatulle das Geld zu ihrem Bau gab. Im Originalton: »Schinkel soll die Zeichnungen dazu entwerfen und zwar nur ganz einfache ohne besondere Verzierungen und ohne Türme.« Eine bezaubernde Kirche in »griechischem Stil« mit grünem Vorgarten ging daraus hervor, die nicht zuletzt dank des Architekten Klaus Block wieder existiert.
Ein einfaches, zum Innenraum offenes Dachtragwerk setzte er auf die erhaltenen Außenwände, die nun innen wie außen den Bauprozess Schinkels erfahrbar machen. Allein zwei neue Treppenhäuser und eine Empore in zeitgenössischer Materialität, wo vormals die Orgel stand, sollen noch den beeindruckenden Raum ergänzen. Um ihn wirklich bespielen zu können, fehlt auch hier noch das Geld für einen neuen Boden und eine technische Ausstattung.
Das nötige Geld ist beiden Projekten und Architekten noch zu wünschen, die dem Denken Schinkels wohl eher gerecht werden als die vielen, die in ihm heute nur ein Bollwerk der Tradition sehen wollen. Schrieb er doch solche Sätze wie etwa: »Historisches ist nicht, das Alte allein festzuhalten und zu wiederholen, dadurch dürfte die Historie zu Grunde gehen, historisch handeln ist das, welches das Neue herbeiführt und wodurch die Geschichte fortgesetzt wird.« Oder kürzer und prägnanter: Überall ist man da nur wahrhaftig lebendig, wo man Neues schafft. Einem gewaltigen Steinbruch gleicht zweifellos Schinkels Werk. Er war jedoch beileibe nicht Berlins einziger bedeutender Architekt, den es wieder lohnt zu studieren und für die Gegenwart produktiv zu machen. Claus Käpplinger
Der Autor arbeitet als freier Architektur- und Stadtkritiker in Berlin für zahlreiche Medien, u.a. für den »Berliner Tagesspiegel« und den »Deutschlandsender-Kultur«
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