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Wie werden wir zusammenleben?, lautet die Frage, die Hashim Sarkis der von ihm geleiteten 17. Architekturbiennale von Venedig als Motto vorgegeben hat. Ein kritischer Rundgang.

17. Architekturbiennale von Venedig
»Wie werden wir zusammenleben?«

Wie werden wir zusammenleben?, lautet die Frage, die Hashim Sarkis der von ihm geleiteten 17. Architekturbiennale von Venedig als Motto vorgegeben hat. Das war lange vor Corona; aber mit und durch Corona hat sich die Tonlage verändert, spricht aus der vermeintlichen Allerweltsformulierung mehr denn je die bange Erwartung künftiger Krisen.

~Bernhard Schulz

Das sieht das Team des deutschen Beitrags, die Architekten Arno Brandlhuber, Olaf Grawert und Nikolaus Hirsch und der Regisseur Christopher Roth, ganz anders. Ihr Konzept unter dem Titel »2038. Die neue Gelassenheit« nimmt eine Zukunft als denkbar an, »in der noch einmal alles gut gegangen ist und wir in einer Ära der ,Neuen Gelassenheit‘ angekommen sind«: »Heute, im Jahr 2038, haben wir die großen Krisen gemeistert. Es war knapp, aber wir haben es geschafft«, heißt es – im Original in der Weltverkehrssprache Englisch – eingangs des handlichen Buchs zum deutschen Beitrag. Es handelt sich bei dem Konzept um eine »Fiktion, die ihre Berechtigung im Wissen der Expertinnen und Experten hinter dem Projekt findet«. Angenommen wird eine Zukunft nach der Überwindung der großen Krisen, die – so skeptisch ist man dann doch – ihren Höhepunkt derzeit noch nicht erreicht haben, aber schließlich doch überwunden werden konnten. Die krumme Jahreszahl 2038 ergibt sich aus dem Jahr des Umbaus des deutschen – ursprünglich bayerischen! – Pavillons in den Giardini von Venedig, der 1938 zum Italien-Besuch Hitlers in dröhnendem NS-Klassizismus zurechtgestutzt wurde.

Schon dieses Aha-Jubiläum ist eine Kopfgeburt; denn wer außer den wechselnden Kuratoren hätte sich je am Erscheinungsbild des Pavillons gestört, das denn auch, ob man‘s nun mag oder nicht, seit einigen Jahren unter italienischem Denkmalschutz steht. Ebenso ist das ganze Vorhaben des deutschen Teams alles, nur kein Ausstellungskonzept. Es ist eine »Plattform«, gedacht für virtuelle Kommunikation mit zahlreichen Teilnehmern. Das Ergebnis kann man sich im Netz ansehen und -hören: https://2038.xyz/ eingeben, um einen virtuellen, interaktiven Rundgang gemeinsam mit einem Avatar zu unternehmen. Im deutschen Pavillon selbst gibt es nichts zu sehen außer QR-Codes an den Wänden.

Andere Länderbeiträge sind anschaulicher

Seit mit der glücklicherweise stark verbesserten Lage an der Corona-Front Reisen wieder möglich geworden sind, steht der deutsche Pavillon erst recht nackt da – im Kontrast zum gegenüberliegenden Pavillon Frankreichs, wo die Lebensumstände in (Vor-)Städten rund um den Globus in bunt bewegten Bildern gezeigt werden, die man sich ebenfalls zuhause am Computer anschauen könnte, aber eben auch innerhalb des Pavillons zu sehen bekommt.

Andere Länderbeiträge setzen erst recht auf Anschaulichkeit, auf das Erleben und Erfahren mit den Sinnen, soweit dies im Medium der Ausstellung überhaupt möglich ist. Dänemark lässt seinen Pavillon im Wasserkreislauf durchströmen, Japan breitet die Einzelteile eines über die Jahre gewachsenen Privathauses wie die Elemente eines Modellbaukastens auf dem Boden aus, Belgien oder genauer dessen flämische Teilregion hat eine witzige Stadt aus Modellen real existierender Bauten im Maßstab 1:15 komponiert. Die USA haben ein mehrgeschossiges Hausgerüst vor ihren Pavillon gestellt, um auf den stets übersehenen und dennoch gewichtigsten Beitrag ihres Landes zur Architektur herauszustellen, das Holzrahmenhaus, das von den schlichten Cabins der ersten Siedler bis zu den allgegenwärtigen Bungalows der Suburbs den bei Weitem dominierenden Konstruktionstyp des Landes bezeichnet.

Architektur spielt nur Nebenrolle

Eine, gar »die« Antwort auf die Gretchenfrage »How will we live together?« bietet die Biennale also nicht. Sie ist weniger auf architektonische Vorhaben aus als auf ein tastendes Suchen, und die von Hashim Sarkis verantworteten Zentralausstellungen bieten vorwiegend Installationen oder Arrangements, wie die mit gefärbtem Wasser gefüllten Plastikflaschen, mit denen das Architektenduo Patti Anahory und César Schofield Cardoso von den Kapverden den Talmiglanz vermeintlicher Ferienparadiese trefflich entlarvt.

Ein Team um Achim Menges und Jan Knippers von der Universität Stuttgart hat aus Glas- und Karbonfaserseilen eine Art Baumhaus in die Höhe gebaut, begehbar, elastisch und um ein Vielfaches leichter als eine Betonkonstruktion, mit der vergleichbare Terrassen einst im Repertoire des Baubaren Einzug hielten. Zugleich wird das DFAB-Haus von Gramazio Kohler (ETH Zürich) vorgestellt, eine »dynamische plug-in-Plattform« mit drei weit auskragenden Terrassen, errichtet in Dübendorf nahe Zürich. SOM – ja doch, das Großbüro, das nachgerade synonym für den International Style der Kommerzarchitektur steht – träumt in Zusammenarbeit mit der Weltraumagentur ESA von einer Mondkolonie aus aufblasbaren Elementen, die Christos »Verpackte Luft« von der documenta 1968 nachgerade als prophetisch erscheinen lassen. Aber hat das Leben außerhalb der Erde noch die Anziehungskraft, die ihm in der Mondflugeuphorie der 1960er Jahre angedichtet wurde?

Fokus auf Probleme unserer Zeit

Gewiss, um‘s Mutterschiff Erde steht es schlecht, das machen die zahlreichen Schaubilder, Diagramme, Landkarten, Erklärungstafeln deutlich, die die Ausstellung im ehemaligen Italien-Pavillon zu einem Seminar in Ökologie machen. Im vergangenen Jahr hat der 57-jährige Sarkis, der am renommierten MIT als Dekan der Architekturfakultät lehrt, ein Buch unter dem Titel »The World as an Architectural Project« vorgelegt; das erklärt wohl die Dimensionen, in denen diesmal in Venedig gedacht werden muss.

Wie gut, dass man sich, so man ihn findet, in den hinreißenden Gartenraum flüchten kann, den der unübertroffene Carlo Scarpa 1952 in einen Winkel des Gebäudeensembles hineinkomponiert hat und der lange Jahre wie verzaubert dahindämmerte! Zurück ins Gebäude, muss man weiter studieren, darf auch über Einsprengsel wie drei mächtige Lavabrocken sinnieren, die an ausgestorbene oder besser ausgelöschte Pflanzen gemahnen sollen, die einst auf solchem Gestein erblühten. Ja doch, nichts geschieht ohne des Menschen Schuld – das ist übrigens auch die Quintessenz des israelischen Beitrags, der das Austrocknen eines ganzen Sees im Norden des Landes durch die technisch-landwirtschaftliche Nutzung des umliegenden, einst von Wasserbüffeln bevölkerten Sumpfgebiets dokumentiert. Und schon die Sahara, lernen wir in Sarkis‘ Lehrbuchausstellung, hat die Ausbreitung der Nutztierhaltung seit vor 10 000 Jahren zur Ursache, die aus Wäldern erst Weideland machte, aus dem durch Erosion die heutige Dürrezone hervorging.

Zukunft des Raums

So schrecklich das alles ist, erführe man doch gerne mehr über unsere heutigen Lebensumstände, über Verdichtung, Megacitys, Binnen- und Außenmigration, und all das am besten mit dem kühlen Verstand, über den der sympathisch vergrübelte Sarkis verfügt. Sein Interesse gilt der Zukunft des Raums, des öffentlichen und gemeinschaftlich genutzten. Beispielhaft steht dafür der runde, von hoch aufgerichteten Baumstämmen markierte und zum Himmel offene Raum, den der umtriebige Alejandro Aravena nach dem Vorbild von Versammlungsräumen der indigenen Mapuche an den Rand des Arsenale-Bassins gestellt hat. Etwas praktikabler sind da Projekte wie das von Benedetta Tagliabue, eine Metro-Station und ein Kollektivhaus in Clichy, einem Vorort von Paris. Elegant – wenngleich für den libanesischen Durchschnittsverdiener gewiss nur ein ferner Traum – ist der im vorigen Jahr fertiggestellte »Steingarten-Turm« in Beirut von Lina Ghotmeh, der als Beispiel für in die Stadt zurückkehrende Natur gepriesen wird.

Hashim Sarkis, keine Frage, mag den Optimismus solcher Projekte. Insofern war der Ansatz des deutschen Teams durchaus nicht verkehrt, eben nicht ins große Jammern einzustimmen, sondern vom umgekehrten Ende her zu denken, dem der letztendlichen Krisenbewältigung, und quasi rückwärts den Weg abzuschreiten, der zu jenem »Es ist noch einmal gut gegangen« geführt hat. Nur hätte das ins Medium der Ausstellung übersetzt werden müssen, von dem die Beteiligten offenbar so gar nichts halten.

Die Biennale hat gefehlt

Für Venedig eröffnet sich durch die Pandemie, die die Unhaltbarkeit der bisherigen, extensiven Tourismus-Bewirtschaftung klargemacht hat, womöglich ein Weg zum Besseren. Das bedeutet nicht das Ende des Reisens. Venedig, und diese Biennale macht es erfahrbar, ist der große Treffpunkt, ein Ort des überwiegend immer noch unbeschwerten Miteinanders; ein Ausnahme-Ort, kein Modell. Die Biennale hat gefehlt, und jetzt ist sie doch noch zum Leben erweckt worden. Das ist eine große Leistung aller Beteiligten. Man lustwandelt durch die Giardini und folgt dem Parcours durch die Corderie des Arsenals, als ob es keine Pandemie gegeben hätte. Es ist also möglich, eine solche, wahrhaft globale Krise zu überwinden. Wenn das die Botschaft ist, die die Biennale neben all ihren bewegenden Fragen aussendet, hat sich aller Aufwand durchaus gelohnt.

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