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Wie werden wir in Zukunft wohnen wollen?

Wie werden wir in Zukunft wohnen wollen?
Wie werden wir in Zukunft wohnen wollen?

Wie werden wir in Zukunft wohnen wollen?
Suburbia from above, Foto: Max Böttinger auf Unsplash
Das wissen viele Menschen, die sich eine künftige Wohnung erträumen, die sich von ihrer realen notgedrungenen Wohnsituation grundlegend unterscheidet. Das wissen Uni-Professoren,

~Falk Jaeger

die Bücher schreiben zu den Themen Stadtplanung, Quartiersentwicklung, Wohnungsstandards, bezahlbarer Wohnraum, Wohnsoziologie usw., die Verlagskataloge sind voll davon. Das weiß der BDA, der »Neue Standards – Thesen zum Wohnen« in einer Ausstellung samt Begleitkatalog propagiert. Gemeinsame Überzeugung: Die Formel »Drei-Zimmer-Küche-Bad« ist nicht mehr aktuell. Die Gesellschaft wird diverser, die Formen und die Organisation des Zusammenlebens haben sich gewandelt, die Arbeitswelt hat sich verändert (Homeoffice, Start-ups, Workspaces), das Freizeitverhalten ist ein anderes, die Menschen sind flexibler und mobiler. All dies hat Auswirkungen auf die Art und die Organisation des Wohnraums, in dem die Menschen dieses andere Dasein ausleben wollen. Vor allem wandeln sich die Wohnbedürfnisse in Bezug auf Platz und Zuschnitt des Wohnraums durch kürzere Lebens- und Arbeitszyklen.

Welche Arten von Wohnungen werden also gebraucht? Generell gesagt: flexibel nutzbarer Raum. Wohnungen mit unbestimmten Räumen, Flächen, die frei aufteilbar sind, Wohnungen, die je nach Bedarf vergrößert oder verkleinert werden können. Wohnungen für verschiedenste Lebensentwürfe, vom Singlehaushalt über Familien, Wohngruppen, Inklusionsprojekte, WGs, betreutes Wohnen etc. bis zu kombinierten Wohn-Arbeitsbereichen, Lofts für Start-ups und Homeoffice-Arbeit, barrierefreie Wohnungen, solche mit viel Grünbezug zu Gärten, Terrassen oder Dachgärten. Den Wohnungen zugeordneten Grünbereichen wächst ohnehin zunehmend Bedeutung zu. Aus stadtklimatischen Gründen oder fürs City Gardening oder für die verkehrsmindernde wohnungsnahe Erholung. Wer einen schönen Dachgarten hat, fährt am Wochenende nicht raus ins Umland. Dieser vielfältige, differenzierte Bedarf ist da. So weit so gut. Indes: Wie werden wir in Zukunft wohnen müssen?

Denn so viel über das neue Wohnen geredet wird, soviel geforscht, gelehrt, entwickelt wird, soviel soziale Mischung und urbane Dichte, d. h. Nutzungsmischung eingefordert wird, die gebaute Wirklichkeit sieht anders aus. Wie zu DDR-Zeiten geht es der Politik nur um Zahlen. 400 000 Wohnungen sollen pro Jahr neu gebaut werden. Welcher Art und wie die aussehen, steht nicht in der Agenda. Und so klotzen sie denn, die Wohnungsbaugesellschaften und die Bauentwickler, immer und überall das gleiche. Ein-, Zwei-, Drei- und Vierzimmerwohnungen von der Stange wie in den 60er Jahren. Möglichst große Flächen auf einmal, das spart Kosten. Möglichst schematisch und möglichst hoch, das spart Kosten. Oben drauf etwas Magerwiese als vorgeschriebene Dachbegrünung, das spart Kosten. Die öffentlichen Bauträger können nicht anders, die privaten wollen nicht anders. Die einen müssen Kosten drücken, um auf Sozialmietniveau zu kommen, den anderen werden die Wohnungen eh aus der Hand gerissen, unbesehen der Qualität.

Differenzierte Baukörper: Fehlanzeige. Unterschiedliche Wohnungszuschnitte: Fehlanzeige. Größere, WG-geeignete Wohnungen: Fehlanzeige. Große Balkons, Terrassen und Dachgärten: Fehlanzeige. Selbst im Luxusbereich ist Fantasie bei der Grundrissentwicklung offenbar nicht gefragt.

Wir bauen zurzeit einen Riesenberg an neuen Wohnungen, die in 20 Jahren zum Problem geworden sein werden, weil sie so nicht mehr brauchbar sind. Die städtebaulichen Qualitäten der überall rechtwinklig-schematisch hingeklotzten Baublöcke interessiert ohnehin nicht. Interessante Straßenverläufe, Platzfolgen, Dichtewechsel, kleine, individuell bebaute Parzellen – nicht nur Architekten, jedermann weiß, wie eine lebendige Stadt aussieht. Aber die Strategen der Developer und die Bauleitplaner in den Ämtern sind über die 60er Jahre nicht hinausgekommen.

Selten genug wird Zukunftsfähiges gebaut. Das sind dann die paar allbekannten, mit Architekturpreisen bedachten Projekte, die schon dutzendfach publiziert wurden, allen voran »Spreefeld« in Berlin, nun schon zehn Jahre alt. Die Vorzeigeprojekte sind fast ausschließlich von Baugruppen oder Genossenschaften realisiert worden, von den Eigentümern selbst also, kein Wunder. Wieso reagiert man in den Kommunen nicht auf diese Erkenntnis? Weil es bequemer, einfacher und in Zeiten des Personalmangels besser zu bewältigen ist, wenn man großflächig an Investoren vergibt und serielle Bauten ruckzuck genehmigen kann. Alles andere macht Arbeit. Vieles liegt an den Planungsämtern, vieles an der Baulandvergabepraxis, so manches auch an den Bauordnungen. Eigentlich jedoch am Verbraucher, aber dessen Marktmacht ist gebrochen, durch Wohnungsmangel, Baupreisexplosion und Finanzierungskostensteigerung. Die Politik ist wieder einmal gefragt. Aber die interessiert sich nur, s. o., für Sollzahlen. Wenn sie wenigstens dabei erfolgreich wäre, könnte man sich wieder mehr um die Qualitäten kümmern. In Aussicht ist das nicht.

Der Autor lebt und arbeitet als freier Architekturkritiker in Berlin

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