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Was bleibt?

Leipzig nach der Olympiabewerbung
Was bleibt?

Die Entscheidung des Internationalen Olympischen Komitees IOC vom 18. Mai, die deutsche Bewerberstadt Leipzig nicht in den engeren Kreis der so genannten Kandidatenstädte für die Olympischen Sommerspiele 2012 aufzunehmen, hat die Stadt im wahrsten Sinne des Wortes »kalt erwischt«. Selbst Skeptiker hatten unter dem Eindruck der in den vorangegangenen Monaten geglückten programmatischen und inhaltlichen Fortschreibung des Bewerbungskonzeptes und der überaus positiven Reaktionen und Kommentare während der Evaluationsbesuche des IOC ihre Zweifel an der Eignung der Stadt verloren und als sicher vorausgesetzt, dass die Stadt weiter Kandidatin bleibt. Warum sich letztlich die Bewertungsmaßstäbe geändert und wohl auch die Sympathien auf Seiten des Komitees verlagert haben, bleibt momentan Spekulationen überlassen und wird wohl auch durch die beabsichtigten nationalen Evaluationen nur ansatzweise nachzuzeichnen sein. Doch stellt sich natürlich trotz dieser Unklarheiten umgehend die Frage, was von dem bisher im Zuge der Bewerbung erarbeiteten gesamtstädtischen Planwerk stadtentwicklungspolitisch noch relevant bleibt respektive aufgegeben werden sollte.

Letzteres lässt sich eindeutig für eine ganze Reihe von Großprojekten wie das Olympiastadion, das Presse- und Medienzentrum, einige kleinere Stadien und Veranstaltungshallen sowie das Olympische Dorf konstatieren. Zwar hat Leipzig – anders als seinerzeit Berlin – keine dieser Bauaufgaben bereits realisiert, doch liefen die städtebaulichen Vor- und Bauleitplanungen auf Hochtouren, da bereits im Herbst dieses Jahres für alle diese Nutzungen die Grundverfügung und das Baurecht gemäß IOC-Forderung hätten erteilt sein müssen. Im Falle des Olympischen Dorfes war unlängst sogar ein internationaler städtebaulicher Wettbewerb mit über tausend Bewerbungen abgeschlossen worden, dessen Ergebnisse nun nur als langfristig zu verfolgende Zielkulisse einer Wohnbebauung an diesem peripheren Ort zu betrachten sein dürften. Dennoch stellt sich insbesondere diese Planung als großer Gewinn für die Stadt dar, da erst im Zuge der Olympiabewerbung das enorme räumliche und atmosphärische Potenzial des Wettbewerbsgebietes samt seiner für Leipzig einmaligen Wasserlage und Hafenarchitektur erkannt wurden und nur auf diesem Wege knapp einer völlig unambitionierten Ausweisung als Gewerbegebiet entgingen.
Ohne größere Abstriche sollten trotz des Ausscheidens Leipzigs insbesondere die Planungsansätze für die urbanen Räume zwischen den Spielstätten weiterverfolgt werden, welche in einem groß angelegten kooperativen GRW-Wettbewerbsverfahren mit internationaler Beteiligung in drei Staffeln entwickelt worden sind oder noch entwickelt werden. Hier stand die Forderung der Nachhaltigkeit des Stadtentwicklungsimpulses gleichberechtigt neben der Leistungsfähigkeit und dem Eventcharakter für das Zieljahr 2012, was einige der Beiträge mit Bravour eingelöst haben. Genannt sei hier nur die Arbeit zur Wiederöffnung des alten Elster-Flussbettes samt Ausbildung eines »Stadthafens« für Sport- und Freizeitboote von dem Schweizer Landschaftsarchitekten Hager, der so die Leipziger Kernstadt über ihre historischen Grün- und Wasserräume mit dem regionalen Gewässerverbund der im Südraum Leipzigs neu entstehenden Seenplatte vernetzt. Ein planerisches Szenario, welches eine enorme Steigerung der Lagegunst und landschaftsräumlichen Attraktivität der Leipziger Innenstadt auch und gerade angesichts weitergehender Schrumpfungstendenzen beschreibt.
Bei all diesen Planungen und Diskussionen für 2012 und die Zeit danach war immer die Imagination und das Denken in Zukunftsräumen gefordert, welche zunehmend die Beteiligten aus Planung, Politik und Verwaltung ergriffen. Nicht mehr der reflexhafte Rückgriff auf das 19. Jahrhundert, nicht mehr die Frage, ob man nun Messe- oder Bachstadt sei, prägten den Diskurs, sondern eine neugierige Suche nach zukunftsweisenden Entwicklungspotenzialen der Stadt. Angesichts der übermächtigen Konkurrenzstädte New York, Paris, London arbeiteten gerade die ausländischen Gäste der Workshops und Foren die verborgenen Eigenarten der Stadt präzise heraus und riefen den Einheimischen ein aufforderndes »be Leipzig« als Motto und Strategie zu. Und die Bevölkerung hat diese selbstbewusste, zukunftsfreudige Haltung in ihrer Begeisterung für die Bewerbung bereits gelebt!
So liegt für Leipzig die Zeit vor seiner Olympia-Bewerbung nun Lichtjahre zurück, und selbst wenn manche der nun wieder anstehenden Alltagsprobleme die alten sind, müssen sie deshalb heute nicht wieder so kleinkariert und provinziell angefasst werden wie zuvor. Es liegt auch an uns Planern und Architekten, was von der Olympiabewerbung bleibt, in den Plänen und vor allem in den Köpfen. Ingo Andreas Wolf
Der Autor ist Professor im Fach Entwerfen und Städtebau an der HTWK Leipzig. Mitglied im Gestaltungsbeirat der Stadt Halle; er war als Beirat für die Olympiabewerbung 2012 der Stadt Leipzig tätig.
Literatur zum Thema: Plusminus Leipzig. Leipzig 2030. Von Engelbert Lütke Daldrup und Martha Doehler-Behzadi. 160 Seiten, Format 17,5 x 24,5 cm, zahlreiche Abbildungen, broschiert, 19 Euro; Verlag Müller + Busmann, Wuppertal, 2004
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