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Warum wir so nicht klimaneutral werden – die Lebenszyklusanalyse tut Not

Das GEG muss Treibhausgasemissionen im Gebäudelebenszyklus berücksichtigen
Warum wir so nicht klimaneutral werden

Warum wir so nicht klimaneutral werden
Die ETH Zürich wirbt für das Baumaterial Lehm aus Aushub und erforscht neue Verarbeitungstechniken Foto: Professur für Nachhaltiges Bauen/ETH Zürich
Seit Claudia Siegeles Kommentar in db 4/2019 (»Die Spitze des Eisbergs«) hat sich politisch nicht viel geändert, gesellschaftlich ist jedoch einiges in Bewegung gekommen.


~Thomas Lehmann und Sina Wartmann

Rezos Youtube-Video hat auf Versäumnisse der Bundesregierung im Klimaschutz hingewiesen, was die Altparteien ziemlich ins Rudern gebracht hat; die Europawahlen haben deutschlandweit einen Ruck zu Grün ergeben, und in Aachen bildeten im Juni 36 500 Personen eine der größten Klimaschutzdemonstrationen der Geschichte. Aus diesem Grund wollen und müssen wir nach Siegeles einleitendem Schwinger gegen das immer noch nicht beschlossene Gebäudeenergiegesetz (GEG) einen weiteren Schlag zu dieser Thematik nachsetzen.

Der geht allerdings gegen den unverbindlichen (!) Kabinettsbeschluss »Klimaschutzplan 2050« der Bundesregierung, der angestrebte Klimaziele für 2030 und 2050 nennt und umreißt, was sich in den Sektoren langfristig verändern soll, um diese Ziele zu erreichen. Der Gebäudebereich soll bis 2050 »nahezu« klimaneutral werden – durch eine Minimierung des Energieverbrauchs, den Einsatz erneuerbarer Energien und hochwertige Dämmeigenschaften eines Hauses. Aber Vorsicht – der Klimaschutzplan bezieht sich allein auf die Nutzungsphase von Gebäuden!

Treibhausgasemissionen aus der Herstellung von Baumaterialien, dem Bau und Rückbau von Gebäuden werden hierbei nicht berücksichtigt. Mit nüchternem und ernüchtertem Blick auf die EnEV und den aktuellen Entwurf des GEG stellt man fest, dass das zugrundeliegende Normenmonstrum DIN V 18599 weder diese zusätzlichen Phasen noch Treibhausgasemissionen an sich abdeckt. Dabei verursachen die Baustoffe bekanntermaßen einen beachtlichen Anteil an den Gesamtemissionen eines Gebäudes. Dieser liegt beispielsweise bei Einfamilienhäusern je nach Bauart bei 25-50 %.

Betrachtet man darüber hinaus die energetischen Einspar»erfolge« nach fast 20 Jahren EnEV, sieht es nicht rosiger aus: Der Primärenergieverbrauch von Haushalten hat sich trotz aller Einsparmaßnahmen der letzten Jahr(zehnt)e letztlich nicht verändert: Er lag 2017 mit ca. 2 400 Petajoule auf dem Stand von 1990! Ebenso bitter ist die Erkenntnis, dass sich der durchschnittliche Energieverbrauch von Wohnflächen mit knapp 175 kWh/m2 auf dem Niveau von gering modernisierten Mehrfamilienhäusern bewegt. Die Anzahl an Modernisierungen zur Senkung dieses Energieverbrauchs ist in den letzten Jahren sogar deutlich rückläufig. Offensichtlich entfalten die politisch gewählten Stellschrauben eine zu geringe Wirksamkeit.

Doch wir wollen auch die Chance nutzen, konstruktive Lösungsmöglichkeiten zu unterbreiten. Als Einstieg die Frage: Woher kommt überhaupt diese selektive Fokussierung auf die Nutzungsphase? Das Abkommen von Paris ist Teil der Klimarahmenkonvention, bei dem Treibhausgas (THG)-Emissionen auf nationaler Ebene betrachtet werden. Das Werkzeug hierzu sind sogenannte Treibhausgasinventare. Sie erlauben, die Entwicklung von THG-Emissionen vergleichbar darzustellen. Hierzu werden als Grundprinzip Emissionen den Sektoren zugeteilt, in denen sie entstehen. THG-Emissionen aus Brennstoffverbräuchen in Häusern fallen dabei dem Gebäudesektor zu. THG-Emissionen, die während der Produktion von Baumaterialien, dem Bau, Rückbau und Recycling entstehen, fallen aber in andere Kategorien, z. B. verarbeitendes Gewerbe und Industrieprozesse. Diese separierte Betrachtungsweise ist für eine vergleichbare Erfassung von THG-Emissionen durchaus sinnvoll. Zur Erreichung von baulichen Klimazielen kann eine den gesamten Lebenszyklus betrachtetende Perspektive jedoch geeigneter sein. Eine mögliche Lösung für den Baubereich ist die Lebenszyklusanalyse (LCA), auch Ökobilanz genannt, die bereits im Klimaschutzplan kurz angesprochen wird. Anders als in EnEV/GEG wird in der Ökobilanzierung eine ganze Bandbreite an unterschiedlichen Emissionen aus dem Gebäudelebenszyklus und Gebäudebetrieb dargestellt.

Mit diesem Ansatz haben die Architektur und die Baubranche ein bereits bewährtes Tool, um ganzheitlich Energieverbräuche und Treibhausgasemissionen von Gebäuden zu bewerten. Auch die Politik könnte dieses Instrument nutzen, um angepasste und klare rechtliche Vorgaben zu erarbeiten. Dazu empfehlen wir, eine verpflichtende Ökobilanzierung bei jeder Baumaßnahme in den Kontext des GEG einzubetten. Das wäre eine klare und zielgerichtete Willensbekundung zum Klimaschutz, die uns jedoch, wie den meisten Kritikern des GEG, fehlt. Förderlich dafür wäre z. B. eine Verpflichtung, dass Bauprodukte mit der allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung einen ökobilanz-konformen Emissionsdatensatz enthalten müssten.

Eine wirkungsvolle Klimapolitik benötigt Werkzeuge, die eine ganzheitliche Betrachtung zur Klimaneutralität erlauben und die konsequent angewendet werden. Der Klimaschutzplan soll alle fünf Jahre überarbeitet werden. Ziel muss sein, mit der nächsten Überarbeitung des Klimaschutzplans diese Werkzeuge in vollem Umfang zu berücksichtigen, wenn realistisch in absehbarer Zeit die CO2-Emissionen aus dem Gebäudebestand sinken sollen.


{Thomas Lehmann beschäftigt sich seit 2012 mit dem Thema Ökobilanzierung und ist Lehrbeauftragter für Architekten und Ingenieure.

{Sina Wartmann hilft Entwicklungsländern beim Aufbau von Systemen für die Klimaberichterstattung.


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