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Vereinte Nationen

Planer und Bürger aus 50 Ländern entwickeln Freiräume für Kopenhagen-Nørrebro
Vereinte Nationen

Schon seit einiger Zeit kursieren Fotos von dem knallroten Platz mit seiner merkwürdigen Möblierung, die poppigen Farben und die großstädtische Wirkung sorgen für viel Aufmerksamkeit. Aber der Name »Superkilen« steht für ein längerfristiges, deutlich umfassenderes Projekt: Veranstaltungsräume, Sporthallen, ein Marktplatz und ein Park gehören ebenfalls dazu und sind mittlerweile fertiggestellt. Begonnen hatten die Vorgespräche und Planungen im Rahmen eines Quartiersmanagements bereits 2004, nun ist das Gelände ein Erfolg geworden, nicht nur bei Fotografen sondern v. a. bei den Anwohnern.

~Ralf Wollheim

Der griffige Name »Superkeil« bezieht sich ganz einfach auf die Form des Grundstücks. Straßenbahngleise und -depots durchschnitten hier in einem lang gezogenen Dreieck die Blöcke des Stadtteils Nørrebro. Aber bereits in den 70er Jahren wurde die Tram in Kopenhagen aufgegeben, und es entstanden Brachflächen, die erst später umgenutzt wurden. In die Hallen zog ein Sportzentrum ein, und der recht banale Grünstreifen wurde Teil einer übergeordneten Radwegverbindung, die verschiedene Bezirke miteinander verbindet. Nørrebro gilt als das Kreuzberg Kopenhagens. Es ist zwar kleiner, dafür aber eher noch internationaler; auf den Straßen hört man hier Hindi, Russisch, Arabisch und etliche unbekannte Sprachen. In Mjølnerparken, einer Wohnsiedlung für ca. 2 500 Einwohner mit Großblöcken aus den 80er Jahren am Nordrand des Geländes, liegt der Anteil von Migranten sogar bei 92 %. Es heißt, bis zu 38 verschiedene Nationen lebten dort. Für das ehemalige Arbeiterviertel, dicht besiedelt, z. T. mit Wohnungen in Hinterhöfen, entwickelte die Stadt Kopenhagen ab 2004 ein Stadterneuerungsprogramm. Dabei ging es um Verbesserungen der Infrastruktur u. a. durch Verkehrsberuhigung und neue Radwege und auch um die Wohnverhältnisse, denn in Nørrebro gab es noch erstaunlich viele kleine Wohnungen ohne vernünftige Heizung und Sanitäranlagen. Aber genauso wichtig war das Quartiersmanagement – um der »kulturellen Komplexität« gerecht zu werden: In sehr enger Zusammenarbeit mit den Bewohnern wurden Vorschläge gesucht, wie das Gebiet attraktiver werden kann, mit dem Ziel, Jugendliche zu integrieren und die Identifikation der Bewohner mit ihrem Bezirk zu fördern. Die Ergebnisse zahlreicher Workshops mit den Beteiligten flossen in einen Maßnahmenkatalog ein, über dessen Umsetzung und Etats die Bewohner abstimmten. Zahlreiche kleine Projekte konnten so realisiert werden. Für das ehemalige Straßenbahngelände mit seinen fast 30 000 m² Fläche wurde mit Unterstützung der Stiftung RealDania ein Wettbewerb ausgelobt, der die Zusammenarbeit von Architekten, Künstlern und Landschaftsarchitekten ausdrücklich forderte und auch die weitere Einbindung der Nachbarschaft festschrieb. Bereits der Entstehungsprozess des Parks sollte zur Integration beitragen wie auch später die Nutzung durch möglichst viele Anwohner unterschiedlicher Herkunft und jeden Alters. Auf dem Grünstreifen mit Radweg sollten Freiflächen für verschiedene Aktivitäten entstehen, der Transit- zum Aufenthaltsraum werden.
Die Welt im Kleinen
Das Team mit dem dänischen Architekturbüro BIG (Bjarke Ingels Group), Topotek1 Landschaftsarchitekten aus Berlin und der Künstlergruppe Superflex aus Kopenhagen gewann den Wettbewerb mit einem farbenfrohen Entwurf, der das Gelände in eine rote, eine schwarze und eine grüne Zone mit unterschiedlichen Nutzungen unterteilt. Dabei wurde auf robuste Materialien zurückgegriffen: Tartan, Asphalt, Kunstharz.
Pflanzen kommen im roten Bereich eher selten vor: Rotblättriger Spitzahorn und ein sogenannter Blut-Pflaumenbaum passen in das Farbkonzept und ergänzen den vorhandenen – grünen – Baumbestand. Die farbigen Flächen in Magenta, Orange und verschiedenen Rottönen folgen dem Geländeverlauf und beschreiben die verschiedenen Bewegungsrichtungen. Auch eine angrenzende Brandwand wurde einbezogen, an ihr steigt eine Skaterrampe empor. Erstaunlicherweise ließ sich der vorhandene Radweg in das Gelände integrieren, er zieht sich nun als rotes Band ebenerdig durch die Anlage, ohne dass es zu dramatischen Kollisionen kommt.
Zunächst fallen nur die unterschiedlichen Farbflächen in ihren riesigen Dimensionen – fast 10 000 m² – auf, aber man wundert sich auch über das bunte, manchmal skurrile Mobiliar und die merkwürdigen Neonschilder. Diese sind kein Hinweis auf Las Vegas, sondern gleich auf die ganze Welt. Denn die Planer griffen nicht einfach zum Katalog für Stadtmöbel, um Bänke, Lampen oder Papierkörbe auszusuchen, sondern baten die Anwohner um Vorschläge, auch aus ihren jeweiligen Heimatländern. So gesellt sich der leicht erkennbare britische Papierkorb zur brasilianischen Telefonzelle, die bunten Fahrradständer aus Amsterdam zur gefliesten Bank aus Portugal. Kleine Plaketten helfen den Besuchern bei der Identifizierung der Stadtmöbel. Denn hier ist jeder fremd. Aus Deutschland stammen eine große, runde Betonbank und ein riesiger Lichtmast, der den ganzen Abschnitt effizient ausleuchtet. Das Sammelsurium an Gegenständen aus 57 Ländern spiegelt die Herkunft der Anwohner, was auch durchaus ernste Hintergründe haben kann. Harmlos aussehende Basketballkörbe stammen aus einer Anlage aus Mogadischu, wo das Spiel unter Islamisten noch vor Kurzem strengstens verboten war. Eine Elefantenrutsche aus der Ukraine musste nachgebildet werden, weil das Original zu stark verstrahlt war. Oder junge Rapperinnen brachten Erde aus Palästina und Israel nach Nørrebro. Die Künstler der Gruppe Superflex haben einige Beteiligte auf ihren Reisen begleitet, auf denen sie die passenden Objekte für Kopenhagen suchten.
So fuhr ein älteres dänisches Paar durch mehrere amerikanische Bundesstaaten, um einen Pavillon für ihre Linedance-Gruppe zu finden: Junge Musiker suchten auf Jamaika nach einem Soundsystem für Nørrebro. Diese Reisen sind mit Fotos und Videos auf der Facebook-Seite von Superkilen dokumentiert – eine zeitgemäße Art, Geschichten zu erzählen – und zu beinahe jedem Objekt im Park gibt es eine Story. Aber auch für Ankündigungen der verschiedenen Gruppen und Aktivitäten auf den Plätzen sowie in den Hallen werden Social Media genutzt. Das reicht vom normalen Sportangebot bis hin zur Roller-Disko auf dem Platz. Und dort ist auch dokumentiert, wie gut der Park angenommen wird. Für Kinder gibt es vielfältige Spielmöglichkeiten, Sportler nutzen gezielt die Geräte oder probieren spontan die merkwürdigen Angebote aus, machen Klimmzüge an den Gerüsten vom Muscle Beach in Venice oder trainieren an den Laufgeräten aus der Türkei. Es scheint Dauernutzer und zufällige Besucher zu geben aber auch Touristen, die erst einmal alles fotografieren. An der stark befahrenen Nørrebrogade beginnt die Platzanlage recht übersichtlich in Rot, wird dann dichter bespielt mit den unterschiedlichen Angeboten und ist Richtung Osten merklich intimer gehalten. An dem schwarzen Platz überwiegen dann Bänke und Tische und die in Dänemark anscheinend obligatorischen Grillplätze. Hier sind die Aktivitäten deutlich ruhiger, bis hin zum Generationen übergreifenden Schachspiel. Der – noch nicht ganz fertige – grüne Abschnitt bietet schon jetzt verschwiegene Senken für kleine Kinder, Picknickplätze für Familien oder Ruhesuchende.
Durch die Beteiligung der Bürger im Vorfeld wurden zugleich auch die gewünschten Aktivitäten ermittelt und erfolgreich umgesetzt wie z. B. Sportmöglichkeiten für Senioren im grünen Bereich.
Das zeitgenössische und moderne Design von Superkilen sieht Martin Rein-Cano von Topotek1 in der Tradition historischer Gartenarchitekturen, die schon immer das Exotische fremder Welten nach Europa holten. Statt japanischer Brücken, chinesischer Tempel oder ägyptischer Obelisken in Versailles oder Sanssouci sind es nun Neonleuchten und Werbeschilder aus dem globalen Alltag.
So trifft die bekannte Silhouette eines spanischen Stiers auf ein Werbeschild für Donuts oder für einen Zahnarzt aus dem Nahen Osten. Die Collage der Objekte ist poppig bunt, aber eher überraschend in der Vielfalt als einfach und beliebig. Der kräftig bunte Mix und die selbstbewusste Farbwahl soll auch ein Zeichen für ganz Kopenhagen setzen. Zwar geht es zuerst um die Belebung des Areals und der Nachbarschaft, aber auch darum, Nørrebro durch ein unverwechselbares Gemeinschaftsprojekt nach Außen zu repräsentieren. Auf dem schwarzen Areal mit seiner eher klassischen Platzgestaltung, mit einem marokkanischen Brunnen, Bänken und anderen Sitzgelegenheiten, soll ein Markt Touristen, Besucher und für die lokalen Geschäfte Kunden aus anderen Stadtteilen anziehen. Da hilft die Neugier auf die schwarze Monsterkrake aus Japan, die ganz harmlos mehrere Rutschen verbirgt.
Lokalen Charakter hat v. a. der Umbau der Hallen des Straßenbahndepots. Z. T. schon länger als Sporthallen genutzt, wurden sie nach Plänen des dänischen Büros AG5 ausgebaut. Ein neuer, vorgebauter Eingangsbereich samt Café öffnet die Hallen zum roten Platz und wendet sich den Besuchern zu. Digitale Anzeigentafeln sollen hier über die verschiedenen, nicht nur sportlichen Aktivitäten informieren, denn die erweiterten Räume beherbergen jetzt auch Veranstaltungsräume. Schließlich kann der Park nicht das ganze Jahr genutzt werden. •
  • Der Autor ist Kunsthistoriker mit dem Schwerpunkt Architektur, Freiraumplanung und den manchmal fließenden Grenzen zur bildenden Kunst. Er lebt und arbeitet in Berlin.
  • http://superflex.net/tools/superkilen www.topotek1.de www.topotek1.de www.topotek1.de
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