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UIA-Kongress in Turin: Architektur für alle!

Diskurs
UIA-Kongress in Turin: Architektur für alle!

Um die Vermittlung von Architektur, ums Zuhören und darum, Architektur zu artikulieren, sollte es beim 23. UIA-Weltkongress gehen, mit dem die 1948 gegründete Union Internationale des Architectes wie nebenbei ihr sechzigstes Jubiläum feierte.

~Manuel Cuadra

»Transmitting Architecture« – so allgemein und unverbindlich die Losung der Veranstaltung, die vom 29. Juni bis zum 3. Juli 2008 in der Hauptstadt des Piemont abgehalten wurde, auch klingt, so sehr wehte in Turin doch ein anderer Geist als drei Jahre zuvor in Istanbul und davor in Peking: ein Geist gewachsener Offenheit für das Andere, der Gleichberechtigung, des Miteinanders jenseits aller Grenzen – sofern man so pauschal über eine Großveranstaltung mit zeitweise mehr als zwölf parallelen und zusammen über hundert Vorträgen und Seminaren urteilen kann.
Auch die Leitgedanken, unter welche die drei Arbeitstage gestellt waren – auf den ersten Blick Allgemeinplätze – waren atmosphärisch sehr wichtig: Der erste lautete schlicht »Kultur«, der zweite »Demokratie«, der dritte »Hoffnung«. Das immer wieder auftauchende »Architektur für alle« erinnerte an die sozialdemokratische »Kultur für alle« der bundesdeutschen achtziger Jahre. Eine messianische Haltung war aber nicht zu beobachten, dafür aber ganz entschieden Freude am eigenen Beruf.
Mit Muhammad Yunus kam nicht einem Architekten, sondern einem Wirtschaftswissenschaftler die Rolle des Hauptdarstellers zu. Der Begründer des Mikrofinanz-Gedankens aus Bangladesch, der 2006 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, war nicht allein aufgrund seiner globalen Relevanz vom UIA-Präsidenten Gaetan Siew aus Mauritius zum Ehrengast und »keynote speaker« ernannt worden, sondern sehr bewusst wegen der Haltung, für die er eintritt. Und das Konzept ging auf. Denn Yunus‘ Worte »If we are not able to listen, we’ll only build up beautiful things but never useful ones« brachten die Intentionen der UIA sehr genau auf den Punkt.
Wenn man vor Ort den Eindruck hatte, die Welt wachse immer schneller zusammen, dann auch, weil selten von Grenzen, etwa von einer Ersten und einer Dritten Welt die Rede war. Stattdessen standen prioritäre Aufgaben, vor allem in den Bereichen Umwelt, Energie, Umgang mit der Industrie im Vordergrund. Wo Themen geografisch eingegrenzt wurden, kam Afrika auffällig oft vor. Auffällig auch die von vielen Veranstaltungen implizierte, sehr breit aufgefasste Definition des Begriffs »Architektur«, die neben Hochbau auch Städtebau und Landschaftsarchitektur mit einbezog – auch eine Form der Überwindung von Grenzen.
Wurde vor drei Jahren in Istanbul einiger Starkult betrieben, setzten die Kuratoren dieses Mal eher auf Aktualität und Vielfalt. Zwar durften in der Reihe der »Lectio Magistralis« Eisenman, Fuksas und Perrault nicht fehlen, doch standen ihnen Teodoro González de León aus Mexiko, Kengo Kuma aus Japan und Mathias Klotz aus Chile gegenüber; für den Blick zurück musste Paolo Soleri (www.arcosanti.org) reichen.
Jenseits der großen Auditorien ging es vielfach lebendiger zur Sache als bei manchem alten Meister. So in der von Architectes sans Frontières International unter der Leitung des AsF-Präsidenten Jordi Balari organisierten Sitzung. Dort fiel besonders der Vortrag von Diébédo Francis Kéré aus Burkina Faso auf, der von Berlin aus international agiert. Wenn sein Beitrag zu den überzeugendsten zählte, dann wegen seiner Authentizität. Selbst aus der Region stammend, in der er die letzten Jahre Schulen gebaut hat, konnte sein Verständnis der sozialen und kulturellen wie klimatischen und konstruktiven Bedingungen nicht differenzierter sein. Insgesamt betrachtet stellen seine Entwürfe nicht weniger als Synthesen von Tradition und Modernität, des landwirtschaftlichen Erbes wie der Versprechen der Industrialisierung, von Geschichte also und von Gegenwart und Zukunft dar (siehe db 1/2004), von denen wir in der heutigen Welt mehr brauchen – nicht allein in Afrika.
Im Grunde in die gleiche Kerbe, intelligente zeitgenössische Konzepte unabhängig von ihrer Lage in den »führenden« oder in »rückständigen« Gesellschaften zu suchen, schlug auch die Verleihung der Gold Medal. Nach Renzo Piano 2002 und Tadao Ando 2005, erhielt sie dieses Mal der mexikanische Architekt Teodoro González de León, Jahrgang 1926. Er steht für eine besondere, eben nicht europäische Moderne, die viel an Monumentalität und Schwere behalten hat und damit Macht und Mythos kommuniziert, wie es innerhalb der europäischen Moderne lange nicht denkbar war. Das Signal lautet hier, erneut: Offenheit für die Vielfalt und den Reichtum dieser Welt; die Bereitschaft, diesen Reichtum zu würdigen, zu genießen, zu kultivieren. Um den vielfach formal eindimensionalen kritischen Regionalismus der vergangenen Jahrzehnte ging es dabei nicht, sondern um Interesse für das, was die Regionen von sich aus und aus sich heraus hervorbringen.
Der Premio Jean Tschumi für Kritik und Lehre der Architektur wurde Luca Molinari (Italien) und der Escola Sert (Spanien), der Premio Auguste Perret für den Einsatz von Technik in der Architektur Françoise Hélène Jourda (Frankreich), der Premio Patrick Abercrombie für Stadt- und Regionalplanung Peter Hall (Großbritannien) und Mahmoud Yousry Hassan (Ägypten) zugesprochen.
Obwohl der Kongress mit 10 140 Teilnehmern aus aller Welt – die eine Hälfte davon kam aus Italien, die andere aus über 110 Ländern, allen voran Brasilien, Kolumbien, Japan, Nigeria, China und Indien – sehr gut besucht war, kam mangels eines zentralen Treffpunkts leider nie das erwartete große Erlebnis von Gemeinschaft auf.
Ebenso unvermeidbar wie Verspätungen im Programmablauf scheint bei UIA-Kongressen das Nebeneinander der drei sich letztlich skeptisch beäugenden Kulturen zu sein: der sehr stark vertretenen Amts- und Verbändekultur der Funktionäre, der politischen Kultur der Interessengruppen, und der Expertenkultur der Fachleute. Besonders wer eine inhaltliche Dominanz der Experten erwartete, musste enttäuscht werden. Positiv ausgedrückt, kommt den UIA-Kongressen die Funktion einer Schnittstelle zwischen diesen drei Kulturen zu. Sie bilden eine Börse, bei der die Funktionäre, Politiker und praktisch Tätigen unter den Architekten inhaltliche Setzungen und institutionelle Schwerpunkte aufeinander abstimmen. Was alle verbindet, und das war auch in Turin zu spüren, ist der Glaube an die gesellschaftliche und kulturelle Relevanz der Architektur.
In der Abschlusserklärung plädierte die UIA für neue Leitbilder in der Entwicklungspolitik und für neue Lebensformen im Allgemeinen, die eine Abkehr von der Konsumgesellschaft einleiten, der Natur gerecht werden und die Besinnung auf elementare menschliche Werte fördern. Das sind natürlich große Worte. Um in einem architektonischen Kontext einen Sinn zu ergeben, bedürfen sie aber der gestalterischen und baulichen Umsetzung. Wie schwierig eine solche Umsetzung ist, aber auch mit wie viel Befriedigung sie verbunden sein kann, auch das war in Turin zu erleben. •
Der Autor ist Professor für Geschichte der gebauten Umwelt / Architekturgeschichte an der Universität Kassel. Er engagiert sich im hessischen BDA sowie als Direktor der documenta urbana und des International Committee of Architectural Critics CICA.
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