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Top secret!

Ein Gespräch mit Francesca Ferguson
Top secret!

Francesca Ferguson wurde 1967 geboren. Sie kuratiert den deutschen Beitrag zur Biennale 2004 in Venedig, für die Kurt W. Forster das Gesamtthema »Metamorphose« vorgab. Francesca Ferguson studierte Geschichte in Oxford und zog 1989 als Journalistin nach Berlin. Seit Mitte der neunziger Jahre arbeitet sie als Kuratorin. Mitglieder der Auswahlkommission waren neben der Vorsitzenden Kristin Feireiss (Aedes East Forum, Berlin): Jean-Louis Cohen (einstiger Direktor der Cité d’Architecture, Paris), Peter Conradi (Präsident der Bundesarchitektenkammer), Kaspar Kraemer (Präsident des Bund Deutscher Architekten), Martin Roth (Generaldirektor der staatlichen Kunstsammlungen, Dresden) und Hilde Léon (Berlin), die Generalkommissarin des Deutschen Beitrages 2002 gewesen ist. Mit Francesca Ferguson sprach Claus Käpplinger.

CK: Seit Sie zur Generalkommissarin des Deutschen Pavillons auf der Architekturbiennale Venedig 2004 ernannt wurden, haben mich viele Architekten in Westdeutschland gefragt: »Wer ist Francesca Ferguson?« Vor Ihnen waren ja renommierte deutsche Architekten wie Thomas Herzog oder Hilde Léon Generalkommissare, deshalb möchte ich diese Frage nun an Sie weiterreichen.

FF: Ich bin Kuratorin, halb deutsch, halb britisch und komme aus einer Diplomatenfamilie, weshalb ich in verschiedenen Ländern wie Kenia, Rumänien, Jamaika, Irland und Portugal groß geworden bin. Nach dem Fall der Mauer bin ich dann nach Berlin gekommen und habe hier zuerst für das Nachrichtenfernsehen als associated producer gearbeitet. Seit einigen Jahren organisiere ich nun die Veranstaltungsreihe.
»urban drift« ist ein Diskussions- und Veranstaltungsforum für junge Architekten und Designer. Können Sie sagen, wie Sie Ihr Weg vom Journalismus zur Architektur führte?
Ich habe keinen Architektur-Background. In Berlin hat sich zuerst der Wunsch entwickelt, sich mit der kulturellen Situation der Stadt auseinander zu setzen. Über die »Kunst-Werke« (eine Berliner Ausstellungsinstitution, die Red.) kam ich zur freiberuflichen Kuratorentätigkeit. Doch in die sehr selbstreferentielle Kunstszene wollte ich nicht einsteigen. Ich hatte mehr den Kontext, den Ort im Fokus. So habe ich bald Projekte, Künstler und Architekten gesammelt, die sich mit den Veränderungen der Stadt und dem öffentlichen Raum, temporärer Architektur und Interventionen auseinander setzen.
Dazu haben Sie dann im Jahr 2000 »urban drift« gegründet?
Nein, das war bereits 1999. Doch zuvor hatte ich schon mit Architekten und Künstlern am Checkpoint Charlie die Ausstellung »Stadtluft« gemacht, die sich mit temporären Räumen, dem öffentlichen Raum und Leerstand beschäftigte. Das war eigentlich der Beginn von »urban drift«. »Drift« meint ja im Englischen sowohl Tendenz – man sagt »you get my drift« – , als auch ein Treiben-lassen wie das französische Wort »deriver«. Dazu haben mich die französischen Situationisten angeregt, sich mit der Stadt unter verschiedenen Perspektiven auseinander zu setzen, sich mit einer gezielten Ziellosigkeit treiben zu lassen, woraus sich ein anderes Gefühl für Stadt entwickelt.
Die Situationisten waren ja eine Kunstbewegung der sechziger Jahre, die jedoch auf die Architektur in Deutschland wenig Einfluss hatte.
Ja, das konzeptuelle Erleben und Erfahren von Raum hat vielleicht in Deutschland nicht so viel Resonanz gefunden, aber in Holland und Großbritannien hatten und haben sie großen Einfluss nicht nur auf die künstlerische Praxis, sondern auch auf die Architektur.
»urban drift« scheint mir aber vor allem ein Diskussionsforum zu sein, das sich der Themen Stadtbrachen, des Temporären und Provisorischen annimmt?
Ich würde nicht sagen, dass »urban drift« ein Format hat. Zwar fing es im Rahmen des Festivals BerlinBetaMedia als Symposium an, übrigens über neue Technologien und New Media, doch 2002 machten wir im Café Moskau schon eine Art von Konferenz-Festival mit Vorträgen, Filmen und Musik bis tief in die Nacht. Und seit letztem Jahr haben wir auch einen Raum für Ausstellungen. 1999 und 2000 hatten wir auch »branding« oder »event-architecture« als Themen. Letztes Jahr war es der Zwischenraum, the »urban fringe«, »pirated spaces« und »informal architecture«.
Auffällig erscheint mir, dass Sie damit vor allem der jungen und jüngsten Architektengeneration ein Forum geschaffen haben.
Ja, aber ich möchte mich von Off-Architektur unterscheiden, also nicht irgendeine Gruppe junger Architekten schaffen und sie dann promoten. Ich habe immer versucht, auch sehr etablierte, aber vielleicht provokante Namen wie Peter Cook, Cedric Price oder Asymptote mit jüngeren zu mischen. Ich bin gegen das Abkapseln junger Rebellen, die sich zwar lautstark zu Wort melden, aber nicht immer das umsetzen, wovon sie reden.
Sie haben auch auffällig oft Vertreter Osteuropas oder der Dritten Welt zu »urban drift« eingeladen.
Ja, man muss über die Ausdünnung der Städte und ihre mangelnden Ressourcen nachdenken. Da finde ich interessante Beispiele etwa beim »favela housing«. Ich möchte aufmerksam machen: auf den Umgang mit begrenzten Ressourcen, auf Eigenverantwortung und Architekten als soziale Mediatoren beziehungsweise Katalysatoren. Das »Hotel Halle-Neustadt« ist dazu eines der schönsten Projekte, wo Architekten, Künstler und Gemeinde einen leeren Plattenbau für kurze Zeit in ein Hotel verwandelt haben und viele Aktionen zur Motivierung der Bewohner gemacht haben.
In wieweit haben solche Projekte Ihre Konzeption für den Deutschen Pavillon der Biennale beeinflusst, die von ihrem diesjährigen Leiter Kurt W. Forster unter das Überthema »Metamorphose« gestellt wurde?
Insofern, dass ich im Pavillon zeigen möchte, was schon da ist, was schon gebaut ist. Metamorphose kann so wahnsinnig viel sein. Als Kurt Forster es beschrieb, da ging es um Hafenstädte, architektonische Werkzeuge oder Formfindung. Ich benutze aber lieber den Begriff im Sinne von »transformative«. Ich wollte Projekte finden, die das transformative Potenzial von Architektur aufzeigen: was verwandelt und wandelt um. Da sieht man, dass es gar nicht so einfach ist, spektakuläre Statements zu machen. Oft sind es sehr kleine Eingriffe, die zeigen, was die Probleme eines Gebietes oder einer Aufgabe sind. Diese kleinen Projekte, oft am Stadtrand oder in Kleinstädten situiert, machen klar, welche Emotionen, Kämpfe und Kompromissbereitschaft zur Auseinandersetzung mit Restflächen und restriktiven Baunormen oder -konventionen notwendig sind.
Das hört sich etwas überspitzt nach »small is beautiful« an. Ein neuer Trend nachdem in den letzten Jahren international eher die Wiederkehr der Superstrukturen gefeiert wurde?
Ja, das ist richtig. Rudolf Stegers, einer meiner Berater, hat zu unseren Projekten gesagt: »Das sieht aus wie viele Akupunkturen in der Landschaft«. Wir nennen auch die Ausstellung »Deutschlandschaft«, mit vielen kleinen Transformationen wie einem Loft-Cube auf dem Dach oder einem Plug-In-Kiosk. Der kleine Maßstab kann sehr große Wirkungen auf das Umfeld haben, das merkt man aber oft erst, wenn man die Hintergrundgeschichte eines Projektes kennt.
Entschuldigung, aber die Veränderungen beziehungsweise Hintergrundgeschichten sind doch sehr schwer in Form einer Ausstellung zu vermitteln?
Das ist richtig. Wir werden auch kaum oder fast keine Modelle zeigen. Es wird keine herkömmliche Architekturausstellung sein, sondern etwas, was eine künstlerische Note haben wird. Unsere »Deutschlandschaft« spielt mit einem filmisch-fotografischen Blick mit Realität und Surrealität und ist eine Anspielung auf das Panorama, also eine romantische Idee des 19. Jahrhunderts. Prozesse sind so nicht zu vermitteln. Dazu wird es mediale Gespräche, Interviews und einen Katalog geben. Nicht alle Projekte werden kleine Projekte sein, doch alle werden sich mit dem Unterbewerteten und Restriktiven beschäftigen, wie etwa dem Transformieren früherer Industrieflächen.
Wird es also vorwiegend um Umbau, Erneuerung und Aufwertung gehen?
Es wird sich nicht immer um Aufwertungen handeln. Manchmal geht es auch nur um Polarisierung, wie etwa bei den Wohnprojekten mit ihren sehr genormten Lebensformen. Um klare Haltungen wird es immer gehen, oft provokant oder spielerisch, manchmal subtil oder selbstironisch. Zu einem kollektiven Beitrag werden dann alle diese Projekte zusammen collagiert.
Es wird also keine individuelle Projektpräsentation geben? Es werden keine Themengruppen gebildet? Wieviele Projekte wurden überhaupt zur Ausstellung ausgewählt?
Etwa 32 Projekte, die die ganze Bandbreite von Architektur wiedergeben und zwischen denen alltägliche Bauten der »Deutschlandschaft« collagiert werden. Es wird sein, als wenn man durch Deutschland fährt. Das Interessante wird sein, neben dem Restraum und beiläufigen Architekturen diese Projekte zu entdecken.
Was wird daran das Urbane sein? Wo liegen die Schwerpunkte? Werden darunter auch Indoor-Landschaften zu finden sein?
Ja, teilweise wird es Innenaufnahmen geben, aber bestimmend wird sein, wie diese Projekte ihr Umfeld transformieren. Es wird zu fast jeder Bauaufgabe etwas geben und eine Mischung aus etablierten und weniger bekannten Architekten: sowohl Arno Lederer, Sauerbruch Hutton, B+K, Allmann-Wappner-Sattler, Gewers Kühn & Kühn, Titus Bernhard als auch Brückner+Brückner, Manuel Heinz oder Deadline Architects, die ihr erstes Haus gebaut haben.
Was haben Sie nicht gefunden? Oder wo taten sich regionale Lücken oder Schwerpunkte auf? Ich denke zum Beispiel an Ostdeutschland?
Wir haben keine spannenden Bürohäuser gefunden, die innerhalb der letzten vier Jahre entstanden sind beziehungsweise nicht bereits überall publiziert wurden. Ostdeutschland war hingegen kein Problem, da man das Thema Rückbau nicht außer Acht lassen kann. Da haben wir ein paar gute Beispiele gefunden, die auch im internationalen Kontext wichtig werden könnten. Sonst kann ich nicht sagen, dass es hier mehr diese und dort jene Auseinandersetzung gegeben hätte.
Um welche Projekte es sich handelt, darf nicht publiziert werden – um in Venedig »überraschen« zu können (Anm. d. Red.).
Sie sprachen davon, dass Sie Berater hatten?
Ja, unter anderem Rudolf Stegers oder Karin Voermanek als Journalisten. Omar Akbar vom Bauhaus Dessau hat mich beraten. Peter Conradi hat viele Vorschläge gemacht. Und noch einige Leute mehr habe ich gefragt, wie Christiane Fath von der Galerie Framework – also eine Mischung aus Architekturjournalisten, Galeristen und Architekten.
Sind Sie bei Ihrer Suche auf spezifische Themen oder Tendenzen der deutschen Architektur gestoßen? Auf etwas spezifisch Deutsches innerhalb des internationalen Kontextes?
Eine eigene deutsche Note, das finde ich schwierig zu definieren. Unsere Projekte sind so sehr aus einem individuellem Kontext und Situation entstanden, dass man darüber keine nationale Klammer legen kann. Wenn ich jedoch in Großbritannien nach solchen Architektursituationen wie Trafo- station oder Gewerbegebiet gesucht hätte, dann wäre ich wahrscheinlich auf nicht so viele interessante Projekte gestoßen. Hier gibt es vielleicht wenig Diskurs und mediale Darstellung von Projekten, aber in England wird oft mehr geredet als wirklich etwas getan.
Für mich war es so überraschend, wieviel Selbstreflektion, Ironie und Sinnlichkeit die Projekte, die wir zeigen werden, besitzen. Die deutsche Architektur ist nicht so sehr der Schweizer Architektur ähnlich, wie es oft in der Presse behauptet wird, nicht so sachlich, rationalistisch und puristisch.
Doch diesen Eindruck haben Sie bei Ihrer Ernennung zur Generalkommissarin durchaus geteilt. Damals sagten Sie, die deutsche Architektur gelte im Ausland als »sachlich, schlicht, qualitativ hochwertig, ökologisch korrekt« und »bietet wenig Konzeptuelles«.
Das habe ich damals bewusst so gesagt, um zu zeigen, dass ich etwas Anderes machen werde, dass mit meiner Auswahl ein anderer Eindruck von der deutschen Architektur entstehen wird.
Die Ausstellungen im Deutschen Pavillon auf der Architekturbiennale leiden schon seit Jahren daran, dass sie von Seiten der Bundesrepublik unterfinanziert wurden. Die Generalkommissare verbrachten oft mehr Zeit mit der Sponsorensuche als der Ausstellungskonzeption. Wie können Sie da Ihre sicherlich aufwendige »Deutschlandschaft« realisieren?
Ich stehe schon besser da als meine Vorgänger. Wir sind nicht unterfinanziert. Weil es bei mir aber sehr viele Elemente der Ausstellung wie Interviews und Fotografien geben wird, müssen auch wir Sponsoren suchen. So kooperieren wir mit dem Rektor der Leipziger Hochschule für Graphik und Buchkunst, dem Fotografen Joachim Brohm, der für die Fotocollage bestimmte Fotografen auf die Motivsuche schicken wird.
Wie muss man sich im Pavillon die Interaktion von Video-Interview3s und Fotocollagen, von Vorträgen und Ausstellung vorstellen?
So genau möchte ich mich dazu noch nicht äußern, das muss noch offen bleiben. Ein eigenes Vortrags-Begleit-Programm wird es im Moment nicht geben, da sich dieses in Venedig immer als schwierig erwiesen hat. Doch mit der Hilfe des Auswärtigen Amtes und des Instituts für Auslandbeziehungen werden wir Gäste aus Ländern einladen, die normalerweise nicht nach Venedig reisen würden. Aus Damaskus, Beirut oder Lateinamerika werden so Vertreter von Institutionen und Hochschulen in einer Art von Wissensaustausch den Deutschen Pavillon besuchen können.
In Deutschland lamentiert man gern über die deutsche Architektur in dem Sinne, dass sie kaum konzeptuell und exportfähig sei, dass das Ausland jenseits technischer Aspekte kaum Interesse für deutsche Architektur und Architekten zeigt. Entspricht dies auch Ihrem Eindruck?
Die mediale Selbstdarstellung scheint mir in Deutschland schwächer als in anderen Ländern zu sein, die ganz selbstbewusst mit Superdutch oder Young British Architects ihre Architekten pushen. Doch dies ändert sich mittlerweile. Was hier viel zu lange vernachlässigt wurde, ist, dass Architektur nicht nur von der Fachpresse, sondern auch vom Life-Style-Bereich und der Alltagspresse entdeckt wird. Ein mainstream-flavor muss ein breiteres Publikum mit Architektur verbinden. Wie hier nun die Themen Stadtumbau und Rückbau auf den offiziellen staatlichen Levels gepusht werden und immer mehr Architekturgalerien entstehen, wird auch die deutsche Architektur international Wellen schlagen. Im Deutschen Pavillon muss ich eine »playful conversation« schaffen, dass man später sagt: Hier gibt es ein Spiel mit der realen Situation und Visionen, hier gibt es eine Auseinandersetzung mit der Architektur.
Ich wünsche Ihnen dazu viel Erfolg!
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