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Schlechte Aussichten

Diskurs
Schlechte Aussichten

Architektur und Stadtbild gelten längst als wesentliche, »weiche« Standortfaktoren: Touristenströme, Unternehmensansiedlungen

~Christoph Gunßer

und nicht zuletzt das bürgerschaftliche Selbstverständnis hängen davon ab, wie es einer Stadt gelingt, ihre Stärken und ihren Charakter gerade auch baulich herauszuarbeiten. Und, wenn nötig, wohlüberlegt neue Akzente zu setzen. In Würzburg scheint sich hingegen kurzsichtiges Verwertungsinteresse gegen solch perspektivisches Denken durchzusetzen – mit fatalen Folgen für das Stadtbild.
Mitten in der ensemblegeschützten Altstadt steht mit dem 1929/30 errichteten Ämterhochhaus ein prominentes Beispiel der Neuen Sachlichkeit: das erste Hochhaus Nordbayerns (Architekt: Franz Kleinsteuber). Mit flachem Walmdach über Kranzgesims und vertikalen Sprossenfenstern nur moderat modern, überragt der Siebengeschosser die bescheidene Nachkriegsarchitektur seines Viertels und fügt sich doch in die für eine Großstadt bemerkenswert geschlossene Dachlandschaft ein. Auch im Geflecht der engen Gassen nahe dem Alten Rathaus bildet das selbstbewusst aus der Bauflucht gerückte hohe Haus eine wohlintegrierte Landmarke. Baukünstlerisch ist es auf einem Niveau mit dem Alten Technischen Rathaus in München oder dem – architektonisch kühneren – Tagblattturm in Stuttgart, die zeitgleich entstanden. Wie diese beiden steht auch das Ämterhochhaus unter Denkmalschutz.
Zu nutzen scheint ihm dieser Schutz aber nichts. Denn nach dem Willen der Stadt soll das Monument nun zerstört werden. Nachdem sich 2005 – wohl aufgrund jahrzehntelanger Vernachlässigung – Teile des Kranzgesimses gelöst hatten, sperrte man kurzerhand die Kolonnaden zu Füßen des Bauwerks und ließ das stadteigene Haus räumen. Ohne auf Angebote zur Sanierung einzugehen (ein Gutachten zum Bauzustand ist bis heute in wesentlichen Teilen unter Verschluss), bot die Stadt die Immobilie meistbietend zum Verkauf »auf Abbruch«. Ein Investor ward 2007 gefunden, der das Gelände samt Hochhaus für 1,25 Mio. Euro erwarb und einen »Tricyan Tower« genannten Neubau errichten möchte (Architekten: Hofmann Keicher Ring, Würzburg). Dieser soll nicht nur drei Geschosse und volle 5 m höher sein als sein Vorgänger, er verpackt die 3200 m2 Nutzfläche auch in einer ziemlich beliebigen Hülle. Diese lässt die subtilen Kunstgriffe der Stadtbaukunst vermissen, die den alten Turm »verorten« halfen. Flache Attika, querformatige große Scheiben, heller Putz – auf Fotomontagen bricht der klobige Neubau völlig mit den Regeln seines Umfelds. Die charakteristische Stadtsilhouette der Mainfrankenmetropole würde auf jeden Fall nachhaltig gestört. Den unverbauten Blick auf die Altstadt hätten künftig nur noch die Bewohner des modischen Monstrums selbst.
Wohlbegründete Proteste örtlicher Initiativen und auch die Bedenken des Stadtheimatpflegers Hans Steidle blieben trotzdem folgenlos – die beamtete Denkmalpflege war bereits im Vorfeld aufgrund des bis heute obskuren Gutachtens von der »Baufälligkeit« des Ämterhochhauses überzeugt worden.
Im letzten Sommer wurde der Entwurf für den Neubau, nach nur unwesentlicher Überarbeitung, Grundlage eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans, den der Stadtrat abgesegnet hat. Zuletzt versuchten Anwohner per Normenkontrollklage den B-Plan anzufechten, da weder der Denkmalschutz noch geologische Gegebenheiten ausreichend beachtet worden seien. Beispielsweise würde der Neubau mit seinen drei Tiefgaragengeschossen zwei Grundwasserleiter durchstoßen, was durchaus die Standsicherheit benachbarter Gebäude gefährden könnte.
Der bayerische Verwaltungsgerichtshof berät derzeit in der Sache. Selbst wenn die Klage abgewiesen und die Baugenehmigung erteilt werden sollte, könnte diese indes wiederum angefochten werden.
So ist ein Ende der bereits sechs Jahre währenden Querelen um das Ämterhochhaus vorerst nicht in Sicht. Und es bleibt zu hoffen, dass der nach Meinung von Insidern ohnehin wenig wirtschaftliche Neubau am Ende vom Investor selbst fallengelassen wird. Für Würzburgs offenbar zu einer unkritischen, investorenfreundlichen »Modernisierung« des Stadtbilds entschlossenen Stadtbaurat und seine parteiübergreifenden Netzwerke ist ein Rückzieher in Richtung Erhalt und Umbau des Ämterhochhauses jedenfalls nur schwer vorstellbar – zu weit hat man sich hier für einen Abriss des »alten Kastens« aus dem Fenster gelehnt. Bemerkenswert: Nicht einmal die katholische Kirche hat gegen den banalen Stilbruch in der noch fast ausschließlich von Kirchtürmen geprägten sakralen Silhouette Würzburgs die Stimme erhoben. Es geht hier ja auch nicht um die Bewahrung einer »heilen Welt«, sondern um die grundlose Zerstörung eines Zeugnisses der frühen Moderne, das zur Zeit seiner Entstehung keineswegs unumstritten war und erst nach gründlicher Überarbeitung der Entwürfe errichtet werden durfte.
Ein Erhalt des Ämterhochhauses ist nach Expertenmeinung technisch durchaus möglich und auch wirtschaftlich: Für ein paar hunderttausend Euro mehr, als sie für den Verkauf (vorbehaltlich des Abbruchs) erlöst, könnte die Stadt demnach demonstrieren, dass sie stolz ist auf dieses einmalige Zeugnis der Zwanzigerjahre in ihrer Silhouette, auch wenn die am Main eher mild als wild ausfielen.
Immerhin scheint die zweifelhafte Qualität einiger neuerer Zutaten zum Stadtbild nicht folgenlos zu bleiben: Seit rund einem Jahr gibt es in Würzburg eine Stadtgestaltungskommission – wohl zu spät für das Ämterhochhaus, doch hoffentlich der Beginn einer transparenteren und geschichtsbewussteren Politik.
Der Autor ist freier Fachautor mit Schwerpunkt nachhaltige Architektur und Stadtplanung.
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