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Plädoyer für mehr Mut zur Technik in der Hochschullehre

Plädoyer für mehr Mut zur Technik in der Hochschullehre
Sanieren Sie auch Teilchenbeschleuniger?

So lautete tatsächlich die Anfrage an den Autor in seinem ersten Berufsjahr als fertiger Architekt. Diese Frage sorgte v. a. wegen ihrer technischen Herausforderung und Komplexität für Begeisterung – die gestalterischen Anforderungen waren zugegebenermaßen eher untergeordnet. Als bauliche Highlights des Projekts erwiesen sich z. B. die Entfluchtung, die auch bei einer 8 t schweren Strahlenschutztür gewährleistet sein muss, und die Anlieferung des Teilchenbeschleunigers in den 10 m tief unter dem Kölner Grüngürtel gelegenen Raum. Nicht weniger herausfordernd waren die 1,5 m dicken Betonwände, die Strahlendurchgang verhindern, aber dennoch alle TGA-Installationen durchlassen mussten. Die Kreativität kam dabei keineswegs zu kurz: Der logistische Anspruch erforderte regelmäßig neu entwickelte Lösungen.

Mittlerweile stellen selbst Wohn- und Bürogebäude immer höhere technische Anforderungen, die i. d. R. entwurfsrelevanten Einfluss haben oder von Architekten koordiniert werden. V. a., wenn der Architekt auch künftig dem Anspruch, Generalist zu sein, gerecht werden will, sollten bereits die Hochschulen auf diese veränderten Bedingungen reagieren. Damit ist kein Auswendiglernen von Normen gemeint, sondern vielmehr eine vernetzte Einbindung in den Entwurfsprozess und ein kontextuelles Technik-Grundverständnis.

Über eine Lüftungsplanung erfahren Studierende z. B., welch immensen Einfluss Technikkomponenten auf ihren Entwurf haben. In einer »Integrierten Projektarbeit« an der RWTH Aachen etwa wurde im vergangenen Sommersemester ein Konzerthaus entworfen, das neben einer überschlägigen Luftmengen- und Heizlastberechnung auch ein Grundverständnis für den Einbau von Transformatoren und Notstromaggregaten erforderte. Erkenntnis u. a.: Die Freude eines jeden TGA-Fachplaners ist ein Entwurf, in dem Technikzentralen und Steigschächte nach VDI 2050 ermittelt wurden.

Ein weiterer Punkt, an dem gerade junge Absolventen in ihren ersten Ausführungsplanungen und Objektüberwachungen oft verzweifeln, sind die steigenden Anforderungen an Flachdächer. Im Rahmen einer regelwerkkonformen Planung sind heute nicht nur Ab- und Überläufe zu planen, sondern neben einer Vielzahl an Leitungs- und Rohrdurchbrüchen sowie Lichtkuppeln auch immer häufiger Gründachaufbauten und aufgesetzte Technik, z. B. Lüftungsgeräte und Photovoltaik-Anlagen. Wie schwer diese Entwässerungslabyrinthe auch für »alte Hasen« anzulegen sind, zeigen dann eindrucksstark die Bauschadens-Vorlesungen.

Daraus ergibt sich die abschließende Frage, warum Architekten eine solche Technik- und Regelwerksscheu haben. Im Studium wird die Existenz von Regelwerken oft ausgelassen und lediglich das Nötigste kontextlos auswendig gelernt; später in Realisierungswettbewerben mogelt man die Attika dünn oder die Lüftungsanlage weg. Dabei macht der selbstverständliche Umgang mit allen Einflussgrößen nicht nur den Entwurf realitätsnäher, sondern gewährleistet andersherum auch eine entwurfsgetreuere Realisierung – eine Chance, die man sich schon im Sinne der Bauherrenzufriedenheit nicht entgehen lassen sollte.

~Thomas Lehmann

Thomas Lehmann bewegt sich seit über 20 Jahren in den unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern der Architektur.
Als Lehrbeauftragter (Lehrgebiet Baukonstruktion) leitet er gegenwärtig das Wettbewerbsteam der FH Aachen für den Solar Decathlon Europe SDE21.
Sein Promotionsthema befasst sich mit Hochschuldidaktik in der Architektur.


Dieser Beitrag ist Teil einer Reihe über die Ausbildung von jungen Architekten in Deutschland. Sie wird in db 12/2020 mit Betrachtungen über
die notwendigen Qualifikationen von Hochschulprofessoren fortgesetzt.

Sehen Sie dazu auch die gesamte Themenseite:
Zukunft der Architekturlehre »


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