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Die rekonstruierte Schlosskuppel in Berlin widerspricht heutigen Werten

Machtsymbol Schlosskuppel
Rekonstruktion ohne Bewusstsein

Rekonstruktion ohne Bewusstsein
Foto: berlinerschloss-webcam.de
Kuppeln und zumal solche mit hohem Tambour-Unterbau sind immer Machtsymbole.

Das gilt auch für die 1854 eingeweihte alte Kuppel des 1950 im Auftrag der SED gesprengten Berliner Stadtschlosses, die nachgebaut als Kuppel des Berliner Humboldtforums vor Kurzem übergeben wurde. Sie ist der politisch, religiös und kulturell bisher umstrittenste Teil dieses an sich schon hoch umstrittenen Projekts. Das Original von Kuppel, Kreuz und Inschrift entstand 1844-54 als städtebauliche Geste König Friedrich Wilhelm IV. nach Plänen Friedrich August Stülers. Sie sollte die traditionelle städtebauliche Dominanz des Schlosses und damit der Monarchie im zunehmend höher bebauten, bürgerlichen Berlin wieder herstellen, die Kapelle unter der Kuppel demonstrierte zudem die Stellung des Monarchen als »Summus Episcopus«, als wortwörtlich oberster Bischof der evangelischen Staatskirche, und seinen Widerstand gegen die Moderne.
Es entstand also ein Symbol des historisch fatalen Staatskirchentums Preußens, aber auch eine Kuppelinschrift neu, die in anmaßender Weise allen denjenigen das »Heil« abspricht, die nicht Christen sind:
»Es ist in keinem andern Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, denn in dem Namen Jesu, zur Ehre Gottes des Vaters. Dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind.«

Friedrich Wilhelm IV. selbst hatte diese Zeilen aus der Apostelgeschichte und dem Paulus-Brief an die Philipper komponiert. Er wünschte sich die Wiedervereinigung von Katholiken und Protestanten in der Hoffnung auf ein wiedererstandenes spätantikes Monarcho-Christentum. Dennoch hat die Inschrift auch einen deutlich antikatholischen und antiorthodoxen Unterton. Weder das gute oder weniger gute Tun der Menschen noch die Perfektion des Rituals werden hier als Quelle des Heils genannt, sondern – in reformatorischer Tradition – alleine der Glaube an Jesus Christus. V. a. aber sind diese Zeilen geradezu militant antijüdisch, wenden sich gegen das Versprechen von religiöser und gesellschaftlicher Gleichberechtigung, wie es in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776, der französischen Verfassung von 1791 und der deutschen von 1848 Form gefunden hat.

Warum baute die Bundesrepublik, sonst so stolz auf ihren selbstkritischen Umgang mit Zeugen der deutschen Geschichte, diese hochpolitisch-monarchischen und dezidiert antijüdischen Gesten nach?
Beim Beschluss des Bundestags 2002, die barocken Fassaden des Berliner Schlosses für das Humboldtforum nachschöpfen zu lassen, war ein Kuppelaufbau noch nicht vorgesehen. Auch in der Wettbewerbsausschreibung 2007/08 wurde der Entwurf einer Kuppel über dem Westprotal lediglich empfohlen, nicht aber der exakte Nachbau. Erst die Jury des Wettbewerbs entschied – wie es ihr Recht ist! –, eine Kuppel an und für sich und dann die spezielle Kuppelarchitektur Stülers zum Kriterium für die Vergabe des 1. Preises an Franco Stella zu machen. Der Bundestag allerdings blieb standhaft, nur der Rohbau der Kuppel wurde zum Bestandteil des von ihm finanzierten Gesamtprojekts erklärt. Die Außenarchitektur der Kuppel aber sollte genau so wie der Nachbau der barocken Fassaden aus privaten Spenden finanziert werden. Eine öffentliche Debatte über die Details wie das goldene Kreuz und die Inschrift sowie deren Symbolgehalt ersparten sich die Rekonstrukteure damit.
Die Akquise gelang vielleicht auch deswegen: »Ungenannte« Spender finanzierten die Außenarchitektur nach Stüler, Inga Maren Otto, Witwe des Versandhauskonzern-Gründers, gab 1 Mio. Euro für die Laterne und das goldene Kreuz. Von unten unsichtbar wurde ihr sogar eine vom Original abweichende Widmungsinschrift zugestanden: »Im Gedenken an meinen Mann Werner A. Otto 1909-2011. Inga Maren Otto«. Aus dem Kreis der Verantwortlichen sind keine radikalen Monarchisten oder fundamentalistischen Christen bekannt, die diese Bauformen und Details mit einer wirklichen Botschaft verbinden. Was die Sache eigentlich noch schlimmer macht: All die vielen Beratungsgremien, die hoch gebildeten Fachleute der Stiftung Preußischer Kulturbesitz unter Herrmann Parzinger – der Gründungsintendant des Humboldtforums, Hartmut Dorgerloh, der über die Kunstpolitik Friedrich Wilhelm IV. geforscht hat; die Leitung des Berliner Stadtmuseums unter dem sonst so kritisch auftretenden Niederländer Paul Spies; die Kunsthistoriker der Humboldt-Universität um Horst Bredekamp; oder die sonst so sehr auf Symbolwerte achtende Kunsthistorikerin und Bundeskulturstaatsministerin Monika Grütters – folgten der Behauptung der Schlossbau-Stiftung und der Architekten im Büro Franco Stellas, dass es hier »nur« um eine Nachschöpfung des 1950 zerstörten Schlossbilds ginge.
Doch es gibt keine Form ohne Bedeutung.
Auch bei diesem Fassadennachbau haben die Rekonstrukteure hochideologisch ausgewählt, was ihnen und ihren Auftraggebern wichtig erscheint. So wurden noch erhaltene bauliche Zeugnisse aus der Zeit des bis heute ungeliebten Kaisers Wilhelm II. für den Fassadennachbau zerstört; die »malerische« Ostfassade zur Spree – Symbol des Machtanspruchs der Hohenzollern über die Stadt Berlin-Cölln – entstand nicht wieder, stattdessen der hart-rationalistische Ostflügel Franco Stellas; über dem Nordwestflügel entstand ein hoher Restaurantpavillon, der die gesamte lange Linie der Lustgartenfassade ruiniert – ein Skandal im Skandal. Die Gelb-Ocker-Töne der nachgebauten Barockfassaden sind letztlich Erfindung, vage angelehnt an Originalbefunde in Schloss Charlottenburg, einige frühe Darstellungen des Berliner Schlosses und andere Analogien. Selbst die Kuppelinschrift zitiert zwar den Text von 1848, nutzt aber die Buchstaben einer Ersatzinschrift von 1884 – und modernisiert Interpunktion und Stil.
Kurz, dieses »Schloss« ist wie jeder Nachbau ein riesiges Patchwork. Dazu hätte man stehen können. Doch man tat, als wenn das alles nur bedeutungslose Formen seien.
Erst jetzt protestierte die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz, nicht gegen das Kreuz, aber wenigstens gegen die Inschrift, als eine »restaurative Betonung von machtvollen Alleinvertretungsansprüchen«. Der katholische Erzbischof von Berlin, Heiner Koch, verteidigte die Inschrift ausdrücklich: Sie zeige, dass die Menschen sich nur vor Gott verbeugen und keiner irdischen Macht diese Ehre erweisen sollen. Aber nicht Gott, sondern Christus ist das Subjekt der Inschrift, und es geht um das Heilsversprechen, nicht um die Gottesfurcht.
Auch deswegen forderte der Berliner Rabbiner Andreas Nachama, dass die beiden Bischöfe Berlins sich dafür einsetzen, die Inschrift wieder zu entfernen. Nicht nur, weil sie eklatant dem heutigem Staatsbewusstsein widerspricht, sondern auch dem Inhalt des Humboldtforums: Die darin künftig repräsentierten Kulturen haben durchweg unter genau dem durch Kuppel, Kreuz und Inschrift gezeigten monarcho-christlichen Allerlösungsanspruch Europas leiden müssen. Er war die ideologische Legitimation des Kolonialismus. Das Knie vor Jesus Christus zu beugen, war jahrhundertelang die Aufforderung, vor »den Weißen« zu knien.
Wenn es hier überhaupt einen Satz geben muss, ist wohl eher der erste aus dem Grundgesetz angemessen: Die Würde jedes Menschen ist unantastbar. Doch das wäre den Schlossrekonstrukteuren sicher zu modern und politisch.

~Nikolaus Bernau

Der Autor ist Kunstwissenschaftler und Architekt. Er arbeitet als Architekturkritiker in Berlin.


Auf der Website des Fördervereins Berliner Schloss e.V.
betont Frank Peter Stephan (Professor für Architekturtheorie und Geschichte der Architekturtheorie an der FH Potsdam)
den Aspekt der absoluten Selbsthingabe am Kreuz und des unbedingten Gehorsams gegenüber Gott,
der die preußischen Herrscher zu einer geradezu antitotalitären Haltung angehalten habe:
»Die Kuppel auf dem Humboldt-Forum ist eine Abgrenzung gegen Cäsarenwahn« »


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