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Projekt deutsche Katharsis – der Berliner Hauptbahnhof

Diskurs
Projekt deutsche Katharsis – der Berliner Hauptbahnhof

Fortsetzung Titel Als Ende November das Urteil im lang schwelenden Streit zwischen der Deutschen Bahn

und Meinhard von Gerkan erging, war es uns – wie vielen anderen – einen Kommentar wert (db 1/07). Damit schien dem brisanten Thema Genüge getan. Zu kurz gegriffen. Der Berliner Hauptbahnhof scheint, das belegen die Ereignisse der letzten Wochen, sich unerwartet zum kathartischen Mittelpunkt unterschiedlichster bundesdeutscher Diskussionen zu etablieren.

Kaum war Kyrill durch das Land gestürmt, ein Träger auf den Eingangsbereich des neuen Hauptbahnhofs gestürzt, waren die Zeitungen voll der schnellen Schuldzuweisungen und wurden Wünsche nach dem Bahnhof Zoo als (Haupt-)Bahnhof laut. Die Bahn erging sich in Häme über den Architekten und Journalisten der Tagespresse avancierten über Nacht zu Experten in Sachfragen über hochkomplexe Verantwortlichkeiten im Baugeschehen und zu tragwerksplanerischen Belangen. Hauptbahnhof Berlin, das scheint viel mehr als ein Gebäude. Und zeigt so viel mehr über die Qualität der viel beschworenen deutschen Baukultur, die uns schon in Kürze per Grundgesetz verordnet werden soll, als wir uns je hätten träumen lassen.
Ein wenig erinnert das Ganze an eine griechische Tragödie – deren bekanntliches Ziel die kathartische Wirkung für die »Zuschauer« war, eine Hoffnung, die trotz der unschönen Vorkommnisse und Entgleisungen der letzen Wochen immer noch wünschenswert erscheint.
Vergisst man die schlechte Verlierermentalität der Deutschen Bahn, die nach dem Urteil klar postulierte, dass sie sich demnächst in Wettbewerben allenfalls von Architekten inspirieren lassen wolle, also Visionen und Ideen zu kaufen bereit sei, diese jedoch in einer ihr wirtschaftlich rentabel erscheinenden Form realisieren werde, bleiben wohl langfristig die ignoranten, an Kundendesinteresse nicht zu überbietenden Kommentare von Bahnchef Mehdorn im Ohr. Den aufgrund der zu kurz ausgefallenen Bahnsteigüberdachungen im Freien stehenden Fahrgästen der Ersten Klasse empfahl er zynisch, sie mögen doch in der Zweiten Klasse die Züge betreten und sich zu ihren Plätzen durchkämpfen. Ganz schlechten Stil bewies Mehdorn, als er noch in Unkenntnis der Ursache, die Schuld am Unglück dem Architekten zusprach und diesem – als Gerkan nicht nur alle Schuld von sich wies, sondern dafür auch Belege hatte – mit Klage drohte,
Das Thema Hauptbahnhof hat sich mittlerweile verselbstständigt. Der Träger war noch nicht ganz auf dem Vorplatz gelandet, da sprachen Tagespresse und selbst ernannte Fachleute bereits von einem Skandal. Selbst die renommierte Tageszeitung FAZ war sich nicht zu schade, einem nicht nachvollziehbaren Experten namens Andreas Platthaus am 20. Januar ein Podium zu bieten für ein bislang in einer seriösen Tageszeitung noch nie gelesenes polemisches Statement, Titel » Gerkan soll schweigen«. Den Maulkorb erteilte Herr Platthaus, dessen Themenschwerpunkt nach eigenem Bekunden Welt und Geschichte des Comics sind, dem Architekten des »bröckeligen Neubaus«, da der Träger nur dekorativen Zwecken gedient habe, und verband damit den Wunsch, den Bahnhof als Kunstwerk unter Denkmalschutz zu stellen, auf dass er in einigen Jahren zusammenbrechen möge. Aber er war nicht der einzige, der in der Tagespresse mit schnell-schlecht recherchierten Schuldzuweisungen aufwartete. Wer von Gerkan so vorschnell den Mund verbietet, dem sei als Lektüre sein Anfang der achtziger Jahre erschienenes Buch, »Die Verantwortung des Architekten« empfohlen, in dem er sich dezidiert mit dem Berufsbild des Architekten, seinen gestalterischen, aber auch gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Pflichten auseinandersetzt.
Im Gewirr der Erklärungsversuche fiel sehr angenehm auf, dass gerade Tragwerksplaner sich professionell zurückhielten und selbst auf Nachfrage nicht bereit waren, vorschnelle Stellungnahmen zu den Ursachen und Verantwortlichkeiten abzugeben.
Während jetzt alle das Beweissicherungsverfahren und die gutachterliche Stellungnahme abwarten, sollte die Zeit genutzt werden, die am Geschehen wieder aufgeflammten unterschiedlichen Diskussionen getrennt und in angemessener Form zu führen:
– Das Problemfeld des Wettbewerbswesen, angefangen von der Zulassung zur Teilnahme, über die Wirksamkeit von Juryentscheidungen Bauherren gegenüber, bis hin zu den Rechten der Entwurfsarchitekten im späteren Baugeschehen.
– Die Ausbildung der Architekten zu Ingenieuren, die diesem Namen gerecht werden und in integrierten Planungsprozessen als kompetente Gestaltungsexperten mit technischem Verständnis auftreten.
– Die unterschiedlichen, teilweise diffusen Vorstellungen, was in Deutschland unter Baukultur verstanden werden soll und welche Kompetenz Architekten darin als Gestalter haben werden.
Und noch eine Bitte. Mögen der TÜV, und Voreilige mit ihm, doch Abstand davon nehmen, an dieses Ereignis einmal wieder die Forderung nach einem »Gebäude-TÜV« anzulehnen. Diese aus geschäftlichen Interessen des TÜVs bei jeder (unpassenden) Gelegenheit vorgetragene Forderung ist nichts anderes als eine Auftragsbeschaffungsmaßnahme.
Ein wünschenswertes Resultat: Nach Abschluss der Diskussionen sollte »Die Verantwortung des Architekten« unter erweiterter, neuer Autorenschaft eine überarbeitete Neuauflage erleben.
~Elisabeth Plessen
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