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No Please, Mister President!

Diskurs
No Please, Mister President!

Kaum noch jemand erinnert sich an die Ära der von der FDP gestellten Bundesbauministerin Irmgard Adam-Schwaetzer. Von 1991-94 amtierte sie und musste den Umzug von Bundestag und

Bundesregierung aus Bonn nach Berlin vorbereiten. Einer ihrer ersten Vorschläge war, die zu Zeiten Hitlers und zu Zeiten der DDR entstandenen Verwaltungs- und Repräsentationsbauten durch Neubauten zu ersetzen. Man könne es demokratisch gewählten bundesrepublikanischen Abgeordneten und Ministern nicht zumuten, in totalitär »belasteten« Gebäuden zu arbeiten. Außerdem seien die Häuser nicht mehr funktional. Das dritte Argument in der schnell aufbrechenden Debatte lautete, die neue Bundes- republik müsse sich ja auch architektonisch manifestieren können.

Adam-Schwaetzer benutzte also fast genau die Argumente, die jetzt auch Arno Sighart Schmidt, Präsident der Bundesarchitektenkammer, ins Feld führt, um den Abriss des deutschen Pavillons auf dem Biennale-Gelände in Venedig zu fordern: Es sei ein moralisch, funktional und bautechnisch ungeeignetes Gebäude und nicht in der Lage, das heutige Deutschland zu vertreten. An seiner Stelle solle ein Neubau entstehen. Sighart Schmidt sind offenbar so ziemlich alle Entwicklungen der deutschen Erinnerungskultur der vergangenen drei Jahrzehnte entgangen. Hat er sie übersehen? Oder ignoriert? Was für den Posten des wichtigsten deutschen Architekturlobbyisten schlimmer wäre, kann man kaum entscheiden.
Ausdrücklich betont er zwar, »falsch interpretiert« worden zu sein: Es ginge ihm nicht um Geschichtsverfälschung, aber »Architektur muss auch einem Zweck dienen, hier also Architektur und Kunst zu zeigen und ein Fenster des heutigen Deutschland zu sein.« Außerdem sei die Bedeutung des Gebäudes – der für einen Pavillon viel zu massig geraten sei – als ausdrucksstarker Zeuge der Nazizeit eher zweifelhaft. Das dürfte nicht nur die italienischen Denkmalpfleger überraschen, die den Pavillon genau des- wegen auf ihre Schutzliste gehoben haben. Denn die Fassade zitiert, wenngleich provinziell verknappt, deutlich erkennbar Motive der Speerschen Monumentalentwürfe.
Und warum kann hier keine moderne deutsche Kunst gezeigt werden? Sie hat sich schließlich wesentlich am Erbe der Nazizeit abgearbeitet, beginnend beim Eskapismus eines Ernst Wilhelm Nay über die Mythologie Josef Beuys bis zu den netten blonden Jungs von Norbert Bisky. Nicht zufällig protestierte jetzt der Maler Georg Baselitz als einer der ersten gegen die Abrissforderung. Gerade im Kontrast zu den steifen Formen des deutschen Pavillons kann sich die künstlerische Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit offenbar besonders gut entfalten.
Das funktionale Argument ist endgültig absurd. So gut wie keiner der Biennale-Bauten ist im heutigen Sinn praktisch, das Licht fällt meist schlecht ein, die Wegeführung ist für Massenpublikum ein Desaster, die Säulen und Tempelgiebel stehen für ein Repräsentationsgebaren, das uns fremd wurde. Doch hat jemals jemand an einen Abbruch des beständig leckenden Pavil- lons Russlands, der USA oder Dänemarks gedacht? Nicht dass wir wüssten. Sie sind nämlich längst zum Teil der Geschichte der Moderne geworden.
Seit den 80er Jahren sahen zunächst v. a. Graswurzelbewegungen in der alten Bundesrepublik historische »Belastungen« eines Geländes oder eines Gebäudes als eine Chance für einen neuen, selbstkritischen Umgang mit der deutschen Geschichte. In den 90er Jahren wurde diese Methode zum auch vom Staat akzeptierten Standard. Erklärung und Aufklärung war das Motto. Zwar konnte auch diese Einsicht das quer zur Lindenperspektive stehende Außenministerium der DDR nicht retten, es wurde 1996 hauptsächlich aus städtebaulichen Gründen abgerissen. Und der DDR-Palast der Republik fiel 2007, weil der Bundestag den Symbolbau des historischen Konkurrenten los werden wollte – auch wenn alle wirtschaftliche, ökologische, kulturpolitische und eben historische Vernunft dagegen sprach. Doch einstige DDR-Ministeriumsbauten wurden für den Bundestag umgebaut, die gewaltigen, zwischen 1933 und 1942 entstandenen Bauten für die Reichsbank, Görings Reichsluftfahrtministerium, der Sitz des Verteidigungsministeriums im Bendlerblock, sogar Goebbels Propagandaministerium wurden zu Sitzen neuer Verwaltungen. Und fast immer findet man in der Eingangshalle eine Dokumentation zur Geschichte des Gebäudes, der Untaten, die dort begangen wurden, der Menschen, die hier arbeiteten. Ähnliche Erklärungen gibt es auch beim Berliner Olympiastadion, beim Nürnberger Reichsparteitagsgelände oder auf dem Münchner Königsplatz. Millionen Besucher haben diese Orte erlebt, die Methode gilt als einer der wichtigsten deutschen Kulturexportgüter überhaupt. Sie zeigt, dass Geschichte keine Nullstunde kennt, dass Menschen weiter leben, weswegen Gebäude aus vergangenen Zeiten auch Denk- male genannt werden.
Kurz: Repariert den Pavillon wie er ist, lasst die Künstler sich abarbeiten an der deutschen Vergangenheit. Und wenn es denn sein muss, überlegt einen Anbau. Das sollte genügen. Zumal rund um den Pavillon Bäume stehen, die jede große Maßnahme schon aus Naturschutzgründen verbieten. Was einem Landschaftsgestalter wie Arno Sighart Schmidt eigentlich bewusst sein dürfte.
~Nikolaus Bernau
Der Autor ist Kunstwissenschaftler und Architekt. Er lebt als Architekturkritiker in Berlin.
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