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Nicht über Nacht gebaut

Diskurs
Nicht über Nacht gebaut

Barrierefreie Wohnungen sind schon heute knapp und zudem für untere Einkommensgruppen und Rentner oft nicht mehr bezahlbar. Es existiert ein Investitionsklima, das in den Jahren

~Ronald Rast

2008 und 2009 zur niedrigsten Wohnungsbautätigkeit seit dem Zweiten Weltkrieg führte. Mittelfristig werden wir aber zunehmend erheblich mehr altersgerechte Wohnungen als derzeit benötigen. Die Grundlage für diese Prognose wurde bereits im März 2002 in einem Bericht einer Enquete-Kommission zur demografischen Entwicklung in Deutschland erstellt. Danach waren 2010 schon über 26 % der Gesamtbevölkerung über 60 Jahre und älter. Im Jahr 2020 werden es bereits über 31 %, 2050 sogar über 44 % sein. Der Anteil der »Hochaltrigen« über 80 Jahre an der Gesamtbevölkerung wächst am schnellsten, er liegt heute schon bei über 7 % und wird 2050 über 15 % betragen. Die Folgen klingen hart, sind aber leider keine Schwarzmalerei: Die Gesellschaft wird überaltern, die Altersarmut steigen und der Anteil der Pflegebedürftigen von heute rund 2 Mio. auf ca. 3,5 Mio. im Jahr 2030 anwachsen.
Diese Entwicklung wird von der Bundesregierung, aber auch von den Ländern in ihrer (nach Vollzug der Föderalismusreform im Jahr 2006) neuen Zuständigkeit für den Wohnungsbau sträflich unterbewertet. Eine Ausrichtung auf bezahlbaren und altersgerechten Wohnraum für die große Masse der Betroffenen fehlt zurzeit völlig. Außerdem ist der Wechsel der Wohnungsbau-Zuständigkeit ungünstig. Durch die Gestaltung von Miet- und Steuerrecht sowie die bundesweite KfW-Förderung bestimmt zwar der Bund auch weiterhin über wesentliche Rahmenbedingungen für den Wohnungsbau – er zahlt aber als Kompensation für den Wechsel der Wohnungsbau-Verantwortlichkeit nach wie vor jährlich 518 Mio. Euro, eigentlich zweckgebunden für die Wohnraumförderung an die Länder. Allerdings kontrolliert niemand, ob diese Steuermittel auch wirklich zweckgebunden für die Wohnraumförderung genutzt werden oder in anderen Haushaltslöchern verschwinden. Wenn der Bund vor Umsetzung der Föderalismusreform zweckgebundene Gelder an die Länder zahlte, waren diese verpflichtet, derartige Zahlungen aus dem Etat der Länder in gleicher Höhe nochmals zur Verfügung zu stellen. Diese Verpflichtung besteht seit 2006 nicht mehr.
Somit schafft der Bund keine geeigneten Rahmenbedingungen für den sozialen und altersgerechten Wohnungsbau; die Regierung hat ihren Schwerpunkt bisher nahezu ausschließlich auf die Förderung der energetischen Sanierung des Wohngebäudebestands ausgerichtet. Politische Kurzsichtigkeit, der Streit zwischen Bund und Ländern um die Finanzierung geeigneter Maßnahmen und die daraus resultierende Untätigkeit werden in wenigen Jahren zu erheblichen sozialen und monetären Folgen (Kosten für Pflegeversicherungsleistungen) führen. Jeder pflegebedürftige Bürger, der wegen Mangel an geeignetem Wohnraum nicht mehr ambulant in den eigenen vier Wänden versorgt werden kann, muss mit erheblich mehr Aufwand in Heimunterbringung betreut werden. Je nach Grad der benötigten Pflege kann eine ambulante Hilfe jedoch bis zu 1 900 Euro pro Monat günstiger sein. Wenn es gelänge, für 100 000 pflegebedürftige Menschen geeigneten Wohnraum zur Durchführung ambulanter Pflege anstelle Heimunterbringung bereitzustellen, wäre das eine jährliche Einsparung von bis zu 2 Mrd. Euro Pflegekosten. Und der Wunsch älterer Menschen, so lange wie möglich selbstbestimmt in den eigenen vier Wänden wohnen zu bleiben, wäre zudem weitestgehend erfüllt.
Sowohl aus einer Studie des Pestel-Instituts als auch aus aktuellen Veröffentlichungen der Spitzenverbände der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft (GdW und BFW) geht hervor, dass wir bis 2030 mind. 2 Mio. mehr altersgerechte und bezahlbare Wohnungen als heute benötigen. Doch diese sind nicht über Nacht gebaut. Um das Ziel zu erreichen, müssten ab sofort jährlich mehr als 100 000 dieser Wohnungen gebaut und/oder durch entsprechend aufwendige Sanierung in den Wohnungsmarkt zurückgebracht werden. Die zurzeit im freien Wohnungsmarkt errichteten Wohnungen werden wegen fehlender Förder- und Regulierungskriterien aber überwiegend nur im hochpreisigen Segment gebaut.
Im Bereich privater Selbstnutzer erhalten ältere Bürger mit gutem Einkommen, die kurz vor Eintritt ins Rentenalter nochmals Geld und Mühe in die Aufwertung ihrer Immobilien stecken würden, gegenwärtig keinerlei steuerlichen Anreiz. Mit den vielfach angebotenen zinsverbilligten Darlehen können Besitzer im Rentenalter nicht mehr viel anfangen, für sie sind nur Zuschüsse sinnvoll. Die Zuschussmöglichkeit im Rahmen der KfW-Förderung des altersgerechten Umbaus wurde aber Ende 2011 von der Bundesregierung eingestellt. Seit dem 1. Januar 2012 gibt es dafür keinen Etat mehr – das ist skandalös und zeugt in hohem Maße von einer Verantwortungslosigkeit der handelnden Politiker.
Die in der Aktion »Impulse für den Wohnungsbau« zusammengeschlossenen Verbände und Institutionen fordern daher neue Anreize und Fördermöglichkeiten. Dringend benötigt werden steuerliche Vergünstigungen für energieeffizientes und altersgerechtes Bauen. So wird die Einführung einer »Klimaschutz- und Demografie AfA« (Absetzung für Abnutzung) in Höhe von 8 % in den ersten Jahren nach der Erstellung des entsprechenden Wohnraums vorgeschlagen. Außerdem muss die seit 2009 bis Ende 2011 eingeführte KfW-Förderung für altersgerechtes Bauen unbedingt wieder mit Etatmitteln des Bundes – nicht nur mit KfW-Eigenmitteln – sowie mit einer Zuschussvariante ausgestattet und in den nächsten Jahren ausgebaut werden.
Der Autor ist Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Mauerwerks- und Wohnungsbau (DGfM e.V.) und Koordinator der Aktion »Impulse für den Wohnungsbau«.
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