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Nicht nur für Berlin

Diskurs
Nicht nur für Berlin

Jetzt haben wir ihn also, den Entwurf für »das Berliner Schloss«. Begeisterung ist allerdings bisher nicht

~Nikolaus Bernau

aufgekommen für die nüchterne Vorgabenerfüllung des Italieners Franco Stella, die noch erheblich überarbeitet werden muss. Dafür wird wieder einmal debattiert, ob man die barocken Fassaden des 1950 barbarisch auf Befehl der SED gesprengten Schlosses rekonstruieren darf, kann, muss oder will. Dabei ist das Wollen höchstoffiziell geklärt, seit der Bundestag dreimal mit überwältigenden Mehrheiten beschlossen hat, die drei barocken Außenfassaden und drei der vier Wände des Kleinen Hofs (Schlüterhof) neu zu bauen. Kaum jemals wurde über einen Kulturbau in Deutschland derart demokratisch entschieden.
Stella übrigens schlägt außerdem vor, die Fassaden des Großen oder Eosander-Hofes und die Tordurchfahrten am verlorenen Vorbild zu orientieren. Auch wenn die Finanzplaner jetzt schon wegen der Mehrkosten stöhnen: Das macht – wenn man die Idee des kopierenden Nachbaus überhaupt als Möglichkeit akzeptiert – durchaus Sinn, um der Fassadenkulisse Tiefe zu geben. Deswegen haben ja viele Architekten erwogen, auch das legendäre Große Treppenhaus Schlüters hinter den Fassaden des Kleinen Schlosshofs wiederherzustellen.
Doch wann endlich fängt die Debatte darüber an, was hinter dieser Fassade geschehen soll? Wann endlich beginnt das Deutschland außerhalb Berlins sich zu interessieren? Immerhin wohnen dort die Steuerzahler, die das Projekt bezahlen werden. Unrealistische 552 Millionen Euro kalkuliert Bundesbauminister Tiefensee. Vergleichbar realistisch hofft er – zunehmend wird deutlich, dass ihm offenbar selbst oberflächliche Kenntnisse von Planungsprozessen fehlen – auf einen Baubeginn 2010. Dabei fehlt bisher sogar ein detailliertes gemeinsames Nutzungskonzept der Hauptbeteiligten, der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die hier ihre einzigartigen Museen außereuropäischer Kulturen und Kunst unterbringen will, der Zentral- und Landesbibliothek Berlin, einer der größten Bibliotheken Europas, und der Humboldt-Universität, die hier ihre historischen Sammlungen zeigen will. Sie sollen sich zum Humboldt-Forum vereinigen.
Das erinnert an die vielen herrlich interdisziplinären Museen und Bibliotheken in den USA und Kanada. In Deutschland wäre ein solches Forum in jeder Art einmalig. Dabei zwang Bundesbauminister Tiefensee, um das umstrittene Projekt Schloss politisch endlich durchsetzen zu können, 2005 die Staatlichen Museen zu einer Reduzierung ihrer Platzansprüche von 36 000 Quadratmetern auf 24 000 Quadratmeter. Und die Landesbibliothek musste sogar – auf Druck des Berliner Senats allerdings – zwei Drittel ihres Platzbedarfs von 12 000 Quadratmetern streichen. Nur so hat Tiefensee das neue Schloss auf 40 000 Quadratmeter und 552 Millionen Euro runterrechnen können. Wie die Museen und die Bibliothek hier arbeiten sollen, interessiert kaum jemanden.
Einige Grundideen Stellas sind hervorragend. So will er zwischen die beiden Schlosshöfe einen neuen Flügel mit einer Passage zwischen Lustgarten und Schlossplatz einschieben. Unverkennbar erinnert sie an den Hof der Uffizien. Der Eosanderhof soll bis auf eine Abstandslücke zu den Fassaden überbaut werden, für die »Agora« des Humboldt-Forums, für Magazine und Ausstellungsräume. Aber warum ist diese Agora, die doch ein lebendiger Treffpunkt der Multi-Kulti-Gesellschaft sein soll, mit vier Geschosse hohen Pfeilern gestaltet wie eine Weihehalle? Unbrauchbar für die Museen sind auch die vielen kleinen Kammern – sie benötigen große, flexible Säle. Unverständlich auch Stellas Vorschlag für die haushohe »Stadtloggia« an der Spreeseite. Das mag an die Gartenloggia des Papstpalastes in Pienza erinnern – doch der Ausblick auf den Fernsehturm ist wirklich nicht mit dem auf die toskanischen Hügel zu vergleichen. Der Ostflügel überzeugt wenig, er ist nutzlos, zu schmal, hat zu wenig Masse.
Der Wettbewerb insgesamt war enttäuschend. Auch diejenigen, die sich die Freiheit genommen haben, die Regeln zu missachten – und deswegen rigoros aussortiert wurden – brachten keinen wirklichen Alternativentwurf zu Stellas rigidem Neorationalismus. Allerdings lesen sich die vier dritten Preise, die Ankäufe, der Sonderpreis und auch die Arbeiten, die erst in einem Sonderrundgang vor der letzten Abstimmung aussortiert wurden, wie Kommentare der Jury zu Franco Stellas Arbeit. Hans Kollhoffs knallrote Show-Bühne im Eosanderhof deutet auf das Verlangen hin, mehr Populismus zu wagen, die großen Ausstellungshallen, Erschließungsflächen und Foyers bei Jan Kleihues entsprechen den Forderungen der Nutzer. Er hätte mit seinem kühlen Neomodernismus auch ein 1. Preis werden können. Paul Schröders raffinierte Rundgänge zeigen, wie man den Eosanderhof auch dynamischer als Stella überbauen kann. Kühn Malvezzi weisen mit ihren Ziegelwänden, in die dann je nach Spendenaufkommen die barocken Dekors eingemauert werden können, genauso wie Titus Bernhard mit seiner in Pixel zerfallenden Fassade andere Methoden auf, mit dem Problem der Rekonstruktion umzugehen – nur war dies, Pardon, nicht Thema des Wettbewerbs.
Nun muss sich der Bundestag endlich gegen den Bauminister ermannen. Die Einschränkung auf 40 000 Quadratmeter ist Unsinn. Selbst das alte Schloss hatte 50 000 Quadratmeter! Bund und Stadt sollten den Museen, der Bibliothek den notwendigen und nicht den politisch durchsetzbaren Raum geben. Auch wird der Bau sicherlich 700, vielleicht eine Milliarde Euro kosten. Das ist durchaus angemessen: Für den Bundesnachrichtendienst bauen wir gerade ein Haus für mehr als 600 Millionen Euro. Kultur sollte so viel wert sein wie Büros von Schlapphüten. Das kann man auch Wählern in (Baden)-Württemberg, Bayern, Sachsen, im Rheinland oder Hannover erklären; Regionen, die nicht nur positive Preußen-Erinnerungen haben und die Schlossfassade eher als Berliner Kuriosum betrachten.
Der Autor ist Kunstwissenschaftler und Architekt. Er lebt als Architekturkritiker in Berlin.
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