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nachgefragt – genius loci

Diskurs
nachgefragt – genius loci

1.

When an architect’s interventions in landscapes include instinct and reflex, continuous development of perception and emotion, as well as the scientific parameters of nature, there is a chance that they may engage visitors on a series of conditional levels which finally lead to associative experiences. This is when the visitor can discover meaning within the architectural confrontation with the landscape – and when architects have no need of Genius loci.
Kjetil Trædal Thorsen, Snøhetta AS, Oslo
2.
ort und essenz
essenzen. das wesentliche, was den ort ausmacht. der widerspruch in sich. der ort. physikalisch. klar bestimmt. durch seine grenzen. die essenz. flüchtig. fliessend, strömend, entschwindend. subjektiv wahrge-nommen. der ort materiell, die essenz immateriell.
die essenz des ortes erfühlen. jeder ort hat seine eigene befindlichkeit, seine spezielle identität, geprägt von den angrenzenden, durchströmenden nutzungen, von den menschen, die ihn aufsuchen, beleben. geprägt von den spuren der vergangenheit. der ort ist gebunden, nicht übertragbar, sowenig wie architektur kopierbar, transportierbar ist. der ort gibt vor, was er verträgt. es ist alles schon gegeben, vorhanden, es muss aufgenommen werden, übersetzt in andere zeichen, sichtbar gemacht werden.
die materialisierung der essenz. der gedankenhauch. flüchtig, schwebend, ätherisch. nicht fassbar. wird zum bild. das bild zum gebauten raum. an diesem einen. ort. die essenz sichtbar, spürbar, erlebbar gemacht.
Regina Schineis, hiendl_schineis architektenpartnerschaft, Augsburg / Passau
3.
In letzter Zeit wird der wunderschöne Begriff Genius loci inflationär gebraucht.
In den letzten Jahrzehnten wurden Städte und Landschaften von beängstigenden Fehlleistungen verbaut. Die derzeitige Baumode ist ein Rausch aus Gleichheit ohne festen Stil.
So ist eine der groben Fehlleistungen in Sachen Architektur der um sich greifende Gestaltverzicht, der in der sogenannten »bescheidenen Architektur« einzige Langeweile erzeugt. Seit es die »postmoderne Architektur« und den »Dekonstruktivismus« gibt, tragen die Architekturmoden immer kürzere Ablaufdaten.
Aktualitätsbezug ist notwendig, Qualitätsbezug jedoch unabdingbar. Architektur muss länger Bestand haben als publizierte Modeware. Auch wenn Architektenarbeit keine Affekthandlung eines Künstlers oder ein emotionaler Kraftakt ist, muss sie dennoch vom Genius loci getragen sein. Architektur gibt es weder ohne Ration noch ohne Emotion.
Die Globalisierung in allen Bereichen, auch in der Kunst und Kultur greift immer mehr um sich, dadurch entsteht Gleichmacherei. Um zu verhindern, dass Landschaften, Dörfer, Städte weiter geschäftstüchtigen und modesüchtigen Bauherren und Architekten überlassen bleibt, gilt es weit mehr individuelle Qualität einzusetzen.
Gustav Peichl, Peichl & Partner ZT, Wien
4.
»Als Genius loci bezeichnet man den einzigartigen, innewohnenden Charakter eines Ortes, der eine besondere Atmosphäre hervorbringt. Ihn zu erhalten, bedarf es der Analyse des Ortes, seiner Bautypologien, die Analyse seiner Bauteile, seiner Materialien und Farben etc. Ohne diese Grundlage bleibt der Entwurf eines Hauses emotionale Spielerei, die an dem gesellschaftlichen Auftrag des Architekten vorbeigeht.
Nicht das Einzelhaus, sondern das Hausensemble formt den städtischen Raum, den wir an unseren alten europäischen Plätzen lieben.«
Christoph Mäckler, Prof. Christoph Mäckler Architekten, Frankfurt
5.
Die Stadt als Rahmenerzählung
»Ort« – ein Synomym mit einem undefinierbaren Bedeutungsvolumen: das eigentliche Lebenselixier der Stadträume, mit den tausend Einflüssen und Erzählungen des Vorhandenen, und zugleich mit den eingeschriebenen, nicht erfüllten Wünschen.
Für einen suggestiven Ort muss sich schon einiges an aussagefähiger Architektur zu einem deutbaren und spezifischen Charakter, einer Stimmungsqualität, zusammenfügen.
Ich bin heilfroh, dass sich darüber keine kausale Konsequenz zu einer Handlungsanweisung verdichten konnte. So steht dem Ungeahnten zumindest von dieser Seite her nichts im Wege.
Ich wüsste nämlich nicht, wie man sich ohne diesen Genius loci an irgendetwas im Leben erinnern könnte. Eine grässliche Vorstellung.
Karla Kowalski, Szyskowitz Kowalski Architekten, Graz
6.
Für mich hat jeder Ort eine physische und eine geistige – also metaphysische Dimension. Wenn man versucht, die eine von der anderen zu trennen, tut man nichts Gutes, denn die physische Seite bedingt einen großen Teil der geistigen – und vielleicht auch umgekehrt.
Diese Sichtweise birgt kreatives Potenzial. Im Inneren entstehen Fragen ohne schnelle Antworten – wunderbar.
Wenn man akademisch vorgeht und die physischen Dimensionen des Ortes analysiert, um dann die metaphysischen daraus herzuleiten, entstehen lediglich äußerliche Antworten auf äußerliche Fragen.
Ich suche grundsätzlich jeden Ort auf, an dem ich bauen möchte. Ich versuche Kopf, Herz und Sinne völlig frei zu bekommen. Wenn es dann gelingt, die drei korrespondieren zu lassen, weiß ich um den Ort. Mit Magie des Ortes oder Beschwörung des Geistes eines Ortes hat das nichts zu tun. Es ist ganz normale Architektenarbeit. Das dazugehörige Arbeitsmittel ist die Konzentration.
Tobias Wulf, wulf & partner, Stuttgart
7.
»Genius loci – Hoffnung der Verlorenen«
Valerio Olgiati, Architekt, Flims
8.
Zu einer Zeit, in der das Wort »Aura« (adoptiert durch die Schweizer Kollegen) und das Wort »Ikone« (adoptiert durch einen niederländischen Kollegen) durch übermäßigen Gebrauch opak geworden sind, ist es vielleicht nützlich, zum Genius loci zurückzukehren. Es könnte gut sein, dass es dasselbe Schicksal erleidet, aber dies ist von geringer Konsequenz; das Wort selbst ist lediglich eine Referenz, ein Werkzeug, mit dem man Orte diskutiert, Orte, die auf dieselbe Distanz gehalten werden, der Sprache und Medien innewohnen. Das Wort »Ort« ist natürlich nicht der Ort selbst, und je mehr wir den Genius loci diskutieren, desto weiter sind wir von seiner physischen Präsenz entfernt. Dies ist die inhärente Kehrseite von beidem, Sprache und medialer Botschaft.
Der Punkt ist, Genius Loci ist prä-lingual. Orte werden in erster Linie phänomenologisch erfahren, eins zu eins. Sie entstehen durch die Aufmerksamkeit, die wir ihnen zollen, durch den staunenden Blick unseres Auges, durch die Berührung unserer Hand, durch die Konzepte und Erzählungen, die wir, wenn auch nur momentan, auf ihren unschuldigen Oberflächen abladen.
Genius Loci ist, wo immer ich bin …
Wie Fred Astaire sang: »Oh no they can’t take that away from me.«
Peter Wilson, Bolles + Wilson Architekten, Münster
9.
Für unsere Architektur hat der Geist des Ortes eigentlich immer eine Rolle gespielt, da sie traditionell sehr stark an den Nutzern, an den Menschen orientiert ist.
Es wäre jedoch ein Fehler zu meinen, dies könne sich allein in den Fassaden ausdrücken. Der kulturelle Hintergrund des Ortes, das heißt, die Lebensweise und Tradition der Menschen, die die Häuser bewohnen oder nutzen werden, ist sehr unterschiedlich, von Region zu Region, von Land zu Land, von Kontinent zu Kontinent verschieden. Dies muss man, auch wenn man international arbeitet, berücksichtigen, und zwangsläufig müssen alle diese unterschiedlichen Voraussetzungen Ausdruck finden in der architektonischen Erscheinung. Dies ist kein Hinwenden zu einem neuen Regionalismus, sondern es ist eine Architekturdebatte, die sich wieder mehr an den äußerlichen und geistigen Gegebenheiten des Ortes, an dem Architektur entstehen soll, orientiert.
Stefan Behnisch, Behnisch Architekten, Stuttgart
10.
Nach meinem Verständnis geht die Idee des Genius loci davon aus, dass es so etwas wie den einen Geist eines Ortes gäbe, den es zu finden gälte.
Es gibt aber eine unübersehbare Zahl möglicher Interpretationen, und damit, wenn man so will, eine unübersehbare Zahl möglicher Geister.
Die Aufgabe des Architekten ist es, eine Auswahl zu treffen, eine Wertung vorzunehmen und so eine schlüssige Interpretation vorzulegen.
Der Verweis auf den einen quasi »objektiven« Geist eines Ortes erweist sich hierbei eher als hinderlich.
Der Genius loci wird daher häufig bemüht, wenn es darum geht, die gefundene Wertung im Sinne einer Legimitation abzusichern.
So gesehen wird der Genius loci zu einem bloßen Verkaufsargument. Dies wiederum hat dieser alte und sicherlich sehr komplexe Begriff nicht verdient. Wir verwenden ihn in unserer Arbeit daher nicht.
Andreas Hild, Hild und K Architekten, München
11.
Der Geist des Ortes ist nicht etwas, das für immer und ewig in Stein festgeschrieben ist. Er ändert sich, wenn sich die Bedeutung eines Ortes ändert. Hat eine Kirche, die zu einem Kindermuseum umgebaut worden ist, noch denselben Geist? Wohl nicht. Doch nicht nur der Zweck und Ort entscheiden über den Geist von Architektur, sondern auch Zeit und Zeitgeist geben den Kontext vor für die Rezeption von Architektur. Und damit auch aktuelle gesellschaftliche Ereignisse.
Der Ort, der seinen Geist, seine Symbolkraft, in diesen Monaten radikal verändert hat, ist die Wall Street. Die Börse, die monumentalen Hochhäuser, standen – nachdem die Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre vergessen war – für Stabilität, Sicherheit und für Wohlstand. Oder noch genauer, für Reichtum. Die gigantischen Lobbys aus glänzendem Stein, die umfangreichen Sammlungen zeitgenössischer Kunst, Konstruktionen, die mit Energiesparen nichts zu tun haben – all das symbolisierte die Magie des Geldes.
Und jetzt, nach dem Bankencrash? Plötzlich sind die Wolkenkratzer Symbol für Gier, Größenwahn und Angst. Der Geist dieses Ortes hat sich innerhalb eines Jahres in sein Gegenteil verwandelt: Aus Sicherheit wurde Bedrohung, sogar Panik; aus Reichtum wurde Raffgier und schließlich Bankrott.
Wie das Finanzsystem wieder ins Gleichgewicht zu bringen ist, dafür ist ein Architekt nicht zuständig. Die Ausstrahlung eines Bankgebäudes aber hängt auch von seiner Architektur ab. Das bedeutet, dass in Zukunft die Bauten der Finanzwelt wieder Sicherheit ausstrahlen müssen, und das heißt in diesen Zeiten: Bodenständigkeit. Kein Protz am Bau, keine ins Monströse gedrehte Demonstration von technischen Notwendigkeiten, keine Verkleidungen aus exklusivem Tropenholz. Niemand wird sein Geld heute einer Bank anvertrauen, die Millionen in Design-Schnickschnack steckt.
Das jedenfalls entspräche dem Geist der neuen Bescheidenheit, den die Wall Street, die Finanzwelt insgesamt heute dringend braucht.
André Poitiers Architekt RIBA Stadtplaner, Hamburg
12.
Der Genius Loci ist einer der markantesten Ausgangspunkte, um Architektur im (realen) Raum zu verankern und der Beliebigkeit zu ent- heben. Daher ist die Auseinandersetzung mit dem Genius loci ein zentrales Thema unserer Arbeit.
Zu den Besonderheiten von Ort und Aufgabe entwickeln wir spezifische Assoziationen. Diese Assoziationen entstehen oft aus der Beobachtung und Analyse bestehender alltäglicher Dinge bzw. Anordnung von Dingen. Dies können stadträumliche Situationen, möblierte Innenräume, gefüllte Kisten, Gegenstände etc. sein. Diese scheinbar selbstverständlich entstandenen räumlichen Konstellationen haben eine eigene Authentizität und bergen menschliche Erfahrung und Aktion in sich. Sie werden grafisch, plastisch und architektonisch transformiert. Zentraler Begriff ist dabei Wahrnehmung von Raum – besonders mit der Ambivalenz von Gegenständlichkeit und Abstraktion.
Bei diesem Prozess werden durch die kohärenten Assoziationen die Eigenheiten des Ortes tradiert, überhöht, verdeutlicht und aktiviert.
Konkret geht es dabei um eine Aktivierung des Ortes als physisch wahrnehmbaren Raum, als assoziativen Vorstellungs- und Erfahrungsraum und als funktionalen, sozialen Raum – unmittelbar spürbar für alle.
Idealerweise entsteht ein neuer Blick auf Orte und Räume. Dieser neue Blick eröffnet wieder neue Potenziale für Verknüpfungen unterschiedlicher Bilder, Atmosphären und Nutzungen. Das Thema der multiplen assoziativen Verknüpfung und Aktivierung von Orten und Räumen sehen wir in dem Zitat aus der Frühphase von O. M. Ungers sehr schön umschrieben:
…»Das Konzept des Pergamonmuseums war ein Haus im Haus, das im Umschließenden das Umschlossene, im Kostbaren das noch Kostbarere, im Sichtbaren das noch Unsichtbare suchte. Eine Metapher also für alles, was sich entfaltet. Der Gegenstand in der Schublade, die Schublade im Schrank, der Schrank im Zimmer, das Zimmer im Haus, das Haus in der Straße, die Straße in der Stadt, die Stadt in der Landschaft, die Landschaft in der Vorstellung, die Vorstellung wieder im Gegenstand, der Gegenstand in der Schublade, die Schublade im Schrank usw. Ein ständiger Kreislauf.« O. M. Ungers, Architekturlehre, Berliner Vorlesungen 1964–65, in: Archplus 179, Juli 2006, Seite 139
Meixner Schlüter Wendt Architekten, Frankfurt
13.
Ort und Identität
Für Baumschlager-Eberle eröffnet sich mit dem Begriff »Ort« ein komplexer Zusammenhang, der die Planung herausfordert. Wir müssen in jedem einzelnen Fall bestehende Strukturen analysieren. Dabei geht es viel mehr um Wissen, viel weniger um Intuition. Wir müssen schauen, was wir davon fortschreiben und was wir daran ändern wollen. Architektur muss für Gemeinsamkeiten sorgen. Sie soll Verhaltensweisen beeinflussen, die zur Identitätsfindung beitragen, sie kann in den Teilgesellschaften dieser Welt Akzeptanz finden. Oder etwas metaphorisch: Die guten Geister des Ortes werden sich dann schon einfinden.
Dietmar Eberle, Baumschlager-Eberle Ziviltechniker, Lochau
14.
Am Anfang ist der Ort. Die Veränderung des Ortes durch Planen und Bauen ist ein umfassender Kommunikationsprozess. Die Qualität der Auseinandersetzung mit Menschen und Dingen macht diesen Vorgang zu »Kultur«. Dafür gibt es kein Rezept. Jede Bauaufgabe erfordert und entwickelt
neue Kommunikationsnetze. Konstanten sind für uns: Intensität, Nähe, Begeisterung, Vertrauen und Verantwortung.
Peter und Christian Brückner, Brückner & Brückner Architekten, Tirschenreuth/Würzburg
15.
Das Bauen im historischen Kontext fordert die Auseinandersetzung mit dem »Geist des Ortes« in besonderer Weise. Unsere Architektur bedient sich hierbei keines determinierten Repertoires, vielmehr fordert die Besonderheit des jeweiligen Ortes eine spezifische Herangehensweise.
Der primäre Gedanke ist: Eigentlich darf man hier gar nichts verändern! Gerade Profanbauten atmen einen ganz besonderen Geist, der umso fragiler ist, je geringer die Wertigkeit, die diesen Gebäuden seitens der Bauherren beigemessen wird.
Die besondere Qualität dieser Orte ist in sehr unterschiedlichen Aspekten begründet. Ein grandioses Raumerlebnis, ein einzigartiges Licht, vielleicht auch ein eigenartiger Geruch. Die Patina der Oberflächen bis hin zu Verfall und Zerstörung, das »Morbide Moment« zu erhalten und mit Neuem zu verbinden ist eine besondere Herausforderung.
Jede Veränderung, die dem Vorgefundenen eine neue Schicht hinzufügt oder kontrastierend begegnet fordert den »Geist des Ortes« heraus. Der Ort wandelt sich, erhält eine neue Materialität, übernimmt neue Funktionen, möglichst ohne seine Aura einzubüßen.
Auf der einen Seite steht der Architekt, mehr oder weniger sensibel dem Bestand gegenüber, auf der anderen Seite die zukünftigen Nutzer, die mit dem Erhalt der Besonderheiten des Ortes vielfach schlichtweg überfordert sind und in letzter Konsequenz funktionale Aspekte immer höher bewerten als eine spezifische Atmosphäre.
Häufig ist die besondere Atmosphäre eines Ortes auch nicht sofort spürbar. Sie ist verdeckt, überlagert von Zeitschichten, die es zu sondieren und zu entflechten gilt. Dabei kann auch historische Substanz fallen, was ich durchaus für legitim halte, denn manchmal muss man als Architekt auch dem Genius loci etwas auf die Sprünge helfen.
Claus Anderhalten, Anderhalten Architekten, Berlin
16.
… ich nenne es das »weiterbauen«. weiterbauen an orten, an situationen. das besondere eines ortes ist geprägt von einer vielschichtigen wahrnehmung, auch dialektischen betrachtung. orte erzählen, wenn man sich die mühe antut, hinzuhören, hinzuschauen. orte verraten uns koordinaten, an die es anzuknüpfen gilt.
so arbeite ich. im spannungsfeld zwischen subjektiver wahrnehmung und konzeptionellen hinterfragung. klingt einfach, ist es aber nicht. denn das weiterdenken, das »weiterbauen« an orten, das aufspüren der konstanten, wie sie gion caminada nennt, verlangt, dass vorab der ort das zentrale thema bleibt, ohne furcht, ihn zu hinterfragen, zu verändern, nicht eine ideologie, nicht ein formaler ansatz, nicht eine spontane idee. sukzessiv, verschmelzen dann sichtbare und unsichtbare spuren (fiktive archäolgien) mit idee, programm, dialektik, ambivalenz. prozesshaft eben, um die einflüsse, die orte immer wieder neu erbringen, stets einzuarbeiten. weiterdenken, weiterleben, weiterbauen ….
Walter Angonese, Walter Angonse Architekt, Kaltern
17.
Der Stadt Rio vorgelagert zum Meer hin liegt eine Festung, die über Jahrhunderte lang als strategisch-militärischer Stützpunkt, Kaserne und Gefängnis diente. Birgit Wessendorf hatte sie in das Exkursionsprogramm unseres Lehrstuhles aufgenommen. Ob sie eine Vorahnung von dem Ort hatte, der uns allen nachhaltig im Gedächtnis bleiben sollte, weiß ich bis heute nicht.
Die Insel erreicht man über eine schmale einspurige Straße, die nach dem Passieren von Schranken und mächtigen Mauertoren in einem größeren gefassten Freibereich endet. Von dort aus gelangt man in eine unglaublich schöne Raumfolge von engen Gassen, kleinen Höfen, gerahmten Ausblicken aufs Meer. Die Wege und Plätze sind selten eben, weshalb man der Bequemlichkeit halber langsam, der Falllinie folgend, einer nicht selbst bestimmten Richtung nachgeht. Am Ende eines dunklen Durchgangs gelangt man an einer Stelle auf eine Gasse, die von dort aus nach rechts abbiegt. Linker Hand wird die Gasse durch eine mehrere Meter hohe, bewachsene Mauer begrenzt – teils mit sichtbaren Steinen, teils verputzt. Gegenüber sieht man in das Untergeschoss eines mächtigen Hauses, das die Festung zum Meer hin begrenzt.
An dieser Stelle bleiben alle unwillkürlich stehen, da das hallende Geräusch im tunnelähnlichen Gang mit einem Mal von einem leisen Plätschern abgelöst wird. Links oben an der Mauer tritt das Wasser aus, zwischen Steinen und Blättern mit einem Punktlicht von der Sonne betont, unbekümmert glitzernd, eine geradezu spielerische Situation erzeugend. Unten, im Schatten, sammelt sich das Wasser in einer Kuhle auf dem Weg, um von dort aus in einer Art Rinne in den dunklen und schweren Raum zu führen, dessen Verlauf mangels Licht man nicht verfolgen kann. Nur am Ende sieht man im Gegenlicht ein Loch, das dem Wasser einen Ausgang zum Meer bietet.
So recht weiß niemand in diesem Moment zu sagen, was die eigentliche Ursache für die ungeheuer faszinierende Stimmung ausmacht, die aus einer zunächst banalen Situation einen sakralen Raum macht, der jeden unmittelbar berührt und fängt.
Aber da kommt schon der Reiseführer. Er erklärt uns, hier sei die Stelle, an der man Gefangene erschossen habe. Sie wurden vor die Mauer gestellt und das Blut auf der Wand und am Boden hätte das Wasser weggewaschen und sei so von der Kuhle aus in das Meer gespült worden.
Zu Hause wollte ich mir diesen Raum nochmals auf dem Dia anschauen. Leider war es zu schlecht belichtet, man sah eigentlich nichts. Ich fragte Birgit, aber auch bei ihr war kein Foto aufzutreiben. Ich fragte einige der Studenten. Keiner von ihnen war im Besitz eines Bildes von der Stelle. Aber fast alle hatten fotografiert …
Arno Lederer, Lederer Ragnarsdóttir Oei, Stuttgart
18.
«Der Ort ist Ausgangspunkt allen Entwerfens. Architektur kann nicht im luftleeren Raum entstehen, sondern ist an dessen städtische und landschaftliche Umgebung gebunden. Sie bezieht sich auf die Besonderheit des Ortes; auf seine physische Beschaffenheit sowie geistige, kulturelle und atmosphärische Ausstrahlung. Mit anderen Worten, der Genius loci ist für mich die Inspirationsquelle schlechthin, ohne diese Quelle wäre ich hilflos …!«
Jan Kleihues, Kleihues + Kleihues, Berlin
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