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Monopolist auf dem Rückzug

Diskurs
Monopolist auf dem Rückzug

Nehmen wir, nur als Beispiel, die Nordroute. Alle zwei Stunden ein Regionalexpress, der an immerhin zehn Stationen noch hält. Trotzdem liefert die Fahrt durch die schöne Landschaft ein bittersüßes Bild: Außer in zwei Kleinstädten, wo wegen irgendwelcher günstigen Umstände ein Weichensteller oder ein Kneipenwirt ihre Dienst weiter versehen, sind alle übrigen Stationsgebäude aufgegeben. Stolze Anwesen, wie sie einst nur Bahnbaubeamte zu errichten verstanden für ein Unternehmen, das die Zukunft wirklich (und nicht nur als PR-Slogan) auf seiner Seite wusste: Mal Trutzburgen, mal elegante Chalets, mit Rundbogenportalen, Erkern und ausladenden Vordächern, oft mit Wohnungen in Türmchen und Seiten- flügeln, dazu Ställe und Remisen. Baukultur eines reichsweiten Monopolbetriebes, der sich mit solidem Hartbrandklinker auf neumodische Fabrikmoderne ebenso verstand wie mit Edelputz-Rustika auf behäbige Gutsherrenart. Jetzt von den Insignien des Leerstands gezeichnet, die Fenster mit lackierten Blechen oder schlichten Sperrholztafeln vernagelt, die Türen säuberlich ausgemauert. Selten genug, dass ein Stadtflüchtling sich solch einer Bahnhofsleiche erbarmt und sie zum Wochenendgebrauch ausbaut. Alle anderen stehen stumm neben den Gleisen und geben unübersehbar zur Kenntnis, dass es mit der Region nicht zum Besten steht.

Als vor über hundert Jahren die Bahn ihr Streckennetz zu entfalten begann, trieb sie nicht nur die Industrialisierung bis in die entlegensten Winkel des Landes, sie sorgte auch für die dazugehörigen Fortschrittsgefühle. Euphorischer Zeitgeist wurde entfacht durch die »Kathedralen des Verkehrs« in den Großstädten genauso wie durch zahllose Unterwegsbahnhöfe, die allein schon durch ihr Auftauchen, begleitet von Glühbirne und Telegrafieapparat, im finsteren Landleben Hoffnung weckten auf beschleunigte Zivilisation. Nicht nur für Modellbahn-Bastler oder trainspotter gilt: Eisenbahn hatte und hat immer auch mit Gefühlen, mit einem Funken irrationaler Begeisterung zu tun.
Seit er anlässlich seiner Privatisierung aus dem allgemeinen Versorgungsauftrag entlassen wurde, tritt der Monopolist nun überall gnadenlos den Rückzug an, sobald es mit der Kundendichte hapert. Allein im Flächenland Brandenburg etwa wurde in den letzten 15 Jahren das Streckennetz um rund 600 Kilometer, d.h., um ein Fünftel verkürzt, weitere Einstellungen stehen als Drohung permanent im Raum. Dass er damit selbst zum Niedergang ganzer Regionen unmittelbar beiträgt, kümmert den auf Börsenren- tabilität fixierten Dienstleister wenig. Dabei wird moralische Rückenstärkung gerade in kriselnden Landschaften dringend gebraucht. Wenigstens das sollte man aus den Depressionen der ostdeutschen Provinz gelernt haben, wo ja nicht nur die Bahn, sondern obendrein Sparkasse und Post, Schule und Supermarkt dichtmachen. Wenn dann noch die letzte Kneipe aufgibt und in wiederkehrender Finsternis allein die Tankstelle als tröstendes Lichtlein übrig bleibt, rollt der Zivilisationsprozess retour. Kein Wunder, wenn da früher oder später alle vom Abhauen träumen.
Im mühsamen Ringen um Prosperität bestellen Kommunen bei teuren Beraterfirmen die hirnrissigsten Imagekampagnen; zur selben Zeit sehen sie tatenlos zu, wie ihre Bahnhöfe unter Spraydosenvandalismus und wuchernder Vegetation versinken. Die Aushängeschilder einstigen Lokalstolzes vergammeln und verrotten in einer Schamlosigkeit, als entstammten sie dem Kulissenfundus altmodischer Gruselfilme. In Halle-Neustadt wagen sich nur mutige Einheimische noch durch die verwahrlosten Eingangshallen auf die unterirdischen Bahnsteige, in der Anfahrt auf den Chemnitzer Hauptbahnhof (und nicht nur dort) passiert man kilometerweit ruinierte Betriebsanlagen, als habe hier gerade ein unbekannter Krieg getobt. Keine Stadt ließe ihre Grünanlagen und kein Hausbesitzer seine Immobilie so verkommen, wie es das »Unternehmen Zukunft« mit seinen ausgemusterten Liegenschaften seit Jahren tut. Völliges Desinteresse am Bild unserer gebauten Umwelt, totale Fantasielosigkeit bei der Suche nach neuen Nutzungsideen. Ein Fall für die Bundesstiftung Baukultur? Wolfgang Kil
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