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Leipziger Monopoly

Diskurs
Leipziger Monopoly

In der sächsischen Metropole tobte in den letzten Monaten ein Streit, der eine Menge über die Chancen für die so viel beschworene Baukultur aussagt. Auf der

~Matthias Grünzig

einen Seite stand ein Investor, der ein Grundstück in bester Altstadtlage mit einem völlig überdimensionierten Bürohaus bebauen wollte. Auf der anderen Seite kämpfte eine Stadtverwaltung darum, wenigstens ein Minimum an Baukultur durchzusetzen – und scheiterte.
Nach eigener Darstellung ist Unister eine junge, kreative Firma, deren Hauptzweck der Betrieb von Internetportalen ist. Größere Bekanntheit erlangte das Unternehmen allerdings durch kontroverse Immobilienprojekte. Bereits 2008 machte Unister mit der Planung eines Golfressorts im Leipziger Süden Schlagzeilen – Stadtverwaltung und eine Bürgerinitiative verhinderten letztlich den Bau, der den freien Zugang zum Cospudener See versperrt hätte.
2009 erwarb Unister ein Bürogebäude am Brühl, nahe der Oper. Der Bau aus dem Jahre 1964 war zwar architektonisch belanglos, befand sich aber in einer lukrativen Altstadtlage. Diesen Vorteil nutzte das Unternehmen rücksichtslos aus. Zunächst wurde das Haus mit brachialen Methoden entmietet, indem den Mietern, obwohl sie gültige Mietverträge hatten, kurzerhand Heizung, Strom und Telefon abgestellt wurden. Daraufhin wurde mit den Abrissarbeiten begonnen – allerdings, ohne sich vorher mit dem Nachbarn über die Sicherung einer gemeinsamen Brandmauer geeinigt zu haben. Die Arbeiten begannen, die Standfestigkeit des denkmalgeschützten Gründerzeitbaus zu gefährden, der Einspruch des Nachbarn führte zum Stopp, der Fall beschäftigt nun die Gerichte.
Zur gleichen Zeit präsentierte Unister seine Baupläne für dieses Grundstück – ein spektakulärer Hochhaus-Neubau für die eigene Firmenzentrale. Der Haken: Ein Hochhaus hätte die Dimensionen der Nachbarbebauung gesprengt. Schließlich ist das Baugrundstück Teil eines Altstadtkarrees mit vier- bis fünfgeschossigen Gründerzeithäusern. Zudem gilt für die Altstadt eine Gestaltungssatzung, die die Bauherren zu einem besonders rücksichtsvollen Umgang mit Altstadtstrukturen verpflichtet. Folgerichtig wurde das Hochhausprojekt vom Stadtplanungsamt abgelehnt.
Diese Ablehnung war für Unister aber kein Grund zur Kompromissbereitschaft. Im Gegenteil: Die Firma schrieb nun einen Offenen Brief an Oberbürgermeister Burkhard Jung, in dem der Verwaltung eine »nicht kooperative Stadtplanung« und »massive Versuche einer Investitionsbehinderung« vorgeworfen wurden. Für den Fall der Nichtgenehmigung drohte die Firma mit dem Abbau von Arbeitsplätzen. Die Stadt leidet unter einer Arbeitslosenquote von 14 %; die Drohung zeigte Wirkung. Stadtverwaltung und Unister veranstalteten im Sommer 2009 einen Wettbewerb für den Neubau, den das Leipziger Büro Luka Kalkof Architektur für sich entscheiden konnte. Nach seinem Entwurf wäre das Gebäude mit sieben Vollgeschossen und drei Dachgeschossen zwar deutlich höher als die Nachbargebäude ausgefallen, doch die Stadtverwaltung war bereit, diesen Maßstabssprung im Interesse der Arbeitsplätze hinzunehmen. Aber selbst dieses Zugeständnis stellte Unister nicht zufrieden. Im Herbst 2009 überraschte das Unternehmen mit einem Entwurf, der noch höher als der ausgehandelte Kompromiss war. Das Stadtplanungsamt zeigte sich über diesen Affront wenig erfreut und verweigerte die Zustimmung. Unister wiederum setzte alle Hebel in Bewegung und reagierte mit einer medienwirksamen Kampagne, für die sich nicht nur lokale, sondern auch überregionale Medien mobilisieren ließen. Mitarbeiter des Stadtplanungsamtes wurden als ideenlose Bürokraten und Investitionsverhinderer beschimpft. Unister-Pressesprecher Konstantin Korosides empfahl der Stadtverwaltung gar, sie möge sich doch ein Beispiel an Dubai nehmen. Regelmäßig drohte die Firma mit dem Wegzug aus Leipzig, mal wurde Magdeburg, mal Schweinfurt als neuer Firmensitz ins Gespräch gebracht. 1 400 Arbeitsplätze sollten auf diese Weise verlorengehen, obwohl die Firma nach eigenen Angaben nur rund 700 Mitarbeiter beschäftigt. Das Stadtplanungsamt bemühte sich redlich um Lösungen. Es bot Unister zentral gelegene Grundstücke an, auf denen selbst Hochhausbebauungen möglich wären. Doch das Unternehmen lehnte alle Kompromissvorschläge ab.
Am Ende kapitulierte die Stadt vor den Erpressungsversuchen. Im Februar 2010 nahm sich Oberbürgermeister Jung der Angelegenheit an und vereinbarte mit Unister einen »Kompromiss«, der eigentlich einem Sieg für den Investor gleichkommt. Nach ihm kann die Firma ein elfgeschossiges Gebäude bauen. An einer Gebäudeecke wird sogar ein dreizehngeschossiger Turm gestattet. Als Kompensation verpflichtet sich Unister lediglich, die vier oberen Geschosse in Form von zurückgezogenen Staffelgeschossen zu bauen und die Trauflinie stärker zu betonen. Die Verschandelung der Leipziger Altstadt durch ein überdimensioniertes Gebäude ist demnach vorgezeichnet. Zudem ist die Gestaltungssatzung für die Altstadt nun faktisch Makulatur. Denn welcher Investor wird sich nach diesen Zugeständnissen an Unister noch bemüßigt fühlen, die Gestaltungssatzung einzuhalten?
Alles andere als sicher sind dagegen die versprochenen 1400 Arbeitsplätze. Vertraglich zugesichert sind die Arbeitsplätze nicht, und dass ein Unternehmen mit dermaßen unseriösen Geschäftspraktiken ein Garant für sichere Arbeitsplätze ist, erscheint zumindest zweifelhaft. Es ist also gut möglich, dass Leipzig mit Unister noch weitere unangenehme Überraschungen erleben wird.
Der Autor, Jahrgang 1969, ist freier Journalist mit den Schwerpunkten Architektur, Stadtentwicklung und Denkmalpflege. Er lebt in Berlin.
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