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Lautlos lärmt das Glockenspiel: Neuer Streitpunkt bei Potsdamer Garnisonkirche

Neuer Streitpunkt bei Potsdamer Garnisonkirche: das Glockenspiel
Lautlos lärmt das Glockenspiel

Lautlos lärmt das Glockenspiel
Glockenspiel der Garnisonskirche Potsdam, Foto: Löwe 48, CC BY-SA 3.0 DE
Eng quetscht sich die Baustelle des neuen Turms der Potsdamer Garnisonkirche an das ehemalige Potsdamer Rechenzentrum, das seit Jahren als Kulturzentrum dient. Was für ein Zusammenprall der Welten.

~Jürgen Tietz

Architektur und Städtebau als Kulturkampf. Auf der einen Seite steht die Teilrekonstruktion des 1968 gesprengten Sakralbaus, der nicht zuletzt aufgrund des Zusammentreffens von Hitler und Hindenburg beim sogenannten Tag von Potsdam 1933 als politisch kontaminiert gilt. Auf der anderen Seite das ehemalige Rechenzentrum, das 1969-71 anstelle der Kirche entstand, und dessen Mosaik »Der Mensch bezwingt den Kosmos« (1972) von Fritz Eisel im Sockelgeschoss in sozialistischem Pathos schwelgt. Sowjetischer Weltraumflug contra Preußischer Adler. Wie soll das zusammengehen?

Nur wenige Schritte entfernt prallen an der Dortustraße, deren Name an den Potsdamer Revolutionär Maximilian Dortu (1826-49) erinnert, die Erinnerungswelten erneut aufeinander. Dort ragt das Metallgestänge des 1991 aufgestellten neuen Glockenspiels der Garnisonkirche empor. Während die Blumengebinde vor der Gedenktafel zur Erinnerung an Dortus Hinrichtung 1849 in der Sommersonne welken, sprießt auf der anderen Straßenseite rund um das Glockenspiel das Unkraut. Aufgrund seiner als rechtslastig eingeschätzten Inschriften, läutet es seit 2019 nicht mehr. »Treu und Redlichkeit« schweigen am angrenzenden Kinderspielplatz und in der bonbonfarbig sanierten Vorzeigeinnenstadt.

Trotz beschlossener Klanglosigkeit hat das Brandenburgische Landesamt für Denkmalpflege das Glockenspiel jetzt unter Denkmalschutz gestellt. Ein Skandal? Jedenfalls in den Augen des stets meinungsstarken Kasseler Architekturprofessors Philipp Oswalt, Mitbegründer des »Lernorts Garnisonkirche«, der sich kritisch mit der Rekonstruktion des Sakralbaus auseinandersetzt. Für Oswalt würde durch die Entscheidung des Landesdenkmalamts erstmals ein Symbolobjekt der »Neuen Rechten« unter Denkmalschutz gestellt, heißt es in einer Stellungnahme. Das Brandenburgische Landesamt müsse sich fragen lassen, »auf Grundlage welches erinnerungspolitischen Konzeptes« seine Entscheidung getroffen worden sei.

Die aktuelle Diskussion um Denkmalwert und -würdigkeit des Glockenspiels ist Teilstück jenes Streits um Sinn oder Unsinn der Rekonstruktion der Potsdamer Garnisonkirche, der die rekonstruktionsverliebte brandenburgische Landeshauptstadt seit der Wiedervereinigung begleitet. Die Geschichte des Glockenspiels reicht sogar in die 80er Jahre zurück. 1984 startete der Bundeswehroffizier Max Klaar in Iserlohn einen Spendenaufruf für ein Glockenspiel, der zu einem ersten Instrument mit neun Glocken und der Gründung einer »Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel« führte. Mittlerweile ist das Instrument auf 40 Glocken unterschiedlicher Größe angewachsen.

In einem Gutachten über »Potsdams umstrittenes Wahrzeichen«, das am »Leibniz-Zentrum für zeithistorische Forschung« angefertigt wurde, lässt Autor Dominik Juhnke keinen Zweifel daran, dass der Nachbau ein Projekt »konservativer Akteure« sei. Zugleich steht für ihn außer Frage, dass es sich um ein »bedeutsames Objekt der Zeitgeschichte handelt«. In der Denkmalbegründung des Landesamtes wird daher unabhängig von der Bedeutung des Glockenspiels als Musikinstrument festgehalten, dass es »als zeithistorisches Zeugnis der Vor- und Nachwendezeit um 1989 die gesellschaftlichen Debatten in Potsdam und in rechtskonservativen Kreisen in Westdeutschland« dokumentiere.

Der Diskussion um das Glockenspiel kommt in mehrfacher Hinsicht grundlegende Bedeutung zu. Zum einen mag es für manche Potsdamer Protagonisten im Eifer ihrer Rekonstruktionsgefechte überraschend sein, aber 30 Jahre nach Aufstellung des Instruments ist die Wendezeit 1989/90 selbst zu einer abgeschlossenen historischen Epoche geworden. Der Blick der Denkmalpflege wird sich also nicht nur in Brandenburg in den kommenden Jahren verstärkt auf die Zeugnisse der Jahre um 1990 richten, auf die Bauten des Bundes und der Länder, aber auch auf den Umgang mit den Zeugnissen der Ost-Moderne. Das wiedervereinigte Deutschland und der Prozess des mühsamen Zusammenwachsens von Ost und West ist selbst historisch geworden.

Zum anderen steht der Streit um das Glockenspiel beispielhaft für die Frage, ob es einer bestimmten politischen Agenda unterworfen ist, was Denkmalwert besitzen darf und was nicht. Mit guten Gründen stehen selbst sprödeste und umstrittene Denkmale unterschiedlicher Epochen unter Schutz. Sie sind Zeitzeugnisse, an denen sich Geschichte erzählen und anschaulich machen lässt. Sie besitzen einen Streit- und einen Lernwert. Herausragende künstlerische Leistung und zeitgeschichtliche Bedeutung können dabei gleichermaßen relevant für den Denkmalwert eines Objekts sein.

Fängt man allerdings an, mögliche Denkmale deshalb nicht mehr zu schützen, weil einem die dahinterstehende politische Haltung widerstrebt, dann wird es nicht nur ziemlich leer in den Städten und Dörfern, dann ist man bereits mitten in jener derzeit grassierenden »cancle culture« gefangen, die lieber wegreißt und auslöscht, anstatt zu erhalten und zu erklären, auch wenn das mühsam ist. Ray Bradbury und George Orwell lassen grüßen. Denkmale müssen unbequem sein dürfen, wie es der Kunsthistoriker Norbert Huse einmal festgestellt hat. Sie können Genuss bieten. Sie dürfen aber auch Stachel im Fleisch der Erinnerung sein. Es gibt kein Recht auf sympathische Denkmale.

Der Autor ist Architekturkritiker in Berlin.

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