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Gerangel um den Flughafen Tempelhof

Diskurs
Gerangel um den Flughafen Tempelhof

Gerangel um den Flughafen Tempelhof
Die Freifläche des Flughafens ist Berlins größte Flächenreserve und mit dem Tiergarten wichtigste Luftschneise, das Gebäude ein einzigartiges Baudenkmal. Bisher gibt es jedoch keine ernstzunehmenden Planungen für die Zeit nach der Stillegung
Es gibt Debatten, die erscheinen jedem Außenstehenden geradezu absurd: etwa die um den Weiterbetrieb des einstigen Zentralflughafens Tempelhof in Berlin. Wer in dieser nicht enden wollenden Diskussion welche Position und aus welchem Grund vertritt, und welche Einwände und Argumente überhaupt Bestand haben könnten, versucht dieser Artikel zu klären.

~Nikolaus Bernau

Der Berliner Senat und die Brandenburgische Landesregierung wünschen, dass Tempelhof spätestens 2008 geschlossen wird. Sie sehen nicht nur die Betriebskosten für den seit Langem defizitären Flughafen, sondern auch die Gefahr, dass bei einer Weiterführung des Flugbetriebs die gerichtliche Genehmigung für den Bau des Großflughafens Schönefeld ins Wanken gerät. Diese wurde nämlich ausdrücklich mit dem Argument verfochten, dass Schönefeld die Belastung der Innenstadt durch die beiden Flughäfen Tempelhof und Tegel aufheben würde.
sicherheit versus kurze wege
Nun gibt es eine Initiative, die den Weiterbetrieb Tempelhofs erreichen will. Hinter der Initiative stehen nicht nur die wenigen Fluggesellschaften, die noch von dort fliegen, Teile der Handelskammer und auch die Baukammer, sondern vor allem die oppositionellen Parteien CDU und FDP. Deren Wähler wohnen nicht unbedingt in den von Fluglärm und Abgasen betroffenen Innenstadtbezirken Neukölln, Tempelhof, Schöneberg und Kreuzberg, sondern eher in den Randbezirken. Sie haben also wenig Wähler zu verlieren und meinen, dass der Kampf für einen »City-Airport« – ohne Anglizismen kommt auch diese Debatte nicht aus – für eine besonders wirtschaftsfreundliche Politik stehen könne. In der ersten Stufe des Verfahrens hat die Initiative in ganz Berlin erwartungsgemäß die nötigen Unterschriften gesammelt, nun muss sie weitere 300 000 zusammenbringen. Erst danach kann die Volksabstimmung stattfinden. Wenn sie dann überhaupt noch notwendig ist, denn in einem nicht nur demokratiemethodisch höchst fragwürdigen Verfahren hat der Senat die Volksbefragung zwar gestattet, treibt aber zugleich die Aufhebung der Betriebserlaubnis voran. Dass diese selbst nach einem Erfolg der Volksabstimmung nicht wieder erteilt würde, ist auch der Initiative klar. Denn heute würde ein Flughafen wie Tempelhof niemals eine Genehmigung erhalten. Die Flugzeuge kommen oft nur wenige Meter über der belebten Einkaufsstraße Karl-Marx-Straße und den dicht gepackten Wohnhäusern von Neukölln herein. Dass es bisher noch keine wirkliche Katastrophe in Berlin gegeben hat, widerspricht aller statistischen Wahrscheinlichkeit. Also sind eigentlich alle rationalen Argumente auf der Seite des Senats, zumal die Geschichte auch in dieser Debatte nur eine dekorative Rolle spielt. Dabei ist Tempelhof (1923 eröffnet) der erste wirkliche Verkehrsflughafen der Welt; seit 1936 entstanden dann die immensen Bauten nach Plänen Ernst Sagebiels: In einem weiten Kreissegmentausschnitt stehen die gut 1200 Meter langen, auch nach heutigen Maßstäben sensationell leicht konstruierten Hangarhallen. Einst waren sie mit 284 000 Quadratmetern das flächengrößte Gebäude der Welt und sind angeblich immer noch das drittgrößte. Zwei Kilometer misst das Landefeld im Durchmesser, die größte Flächenreserve und mit dem Tiergarten wichtigste Luftschneise Berlins.
Wenn Lord Norman Foster von der Eleganz und Perfektion dieses Flughafens schwärmt, hat er durchaus Recht. Und doch ist die ganze Debatte absurd, weil sie an den realen Nöten Berlins vorbeigeht. Wenn ein innerstädtischer Flughafen wirklich etwas zu tun hätte mit dem wirtschaftlichen Erfolg der Stadt, dann müsste dieser längst sichtbar sein. Wer den Lärm und Dreck in der Innenstadt als Quantite negliable hinstellt, hat nie erlebt, wie die Tassen auf dem Tisch im Anflug einer Turbopropmaschine zittern. Und man kann ja wohl schlecht die halbe Stadt abreißen, nur um einigen Geschäftsleuten den Weg aus Schönefeld mit der S-Bahn in die Innenstadt zu ersparen.
berliner senat: wenig kreativ
Es gab ein brillantes Konzept gegen die Schließung und zum Weiterbetrieb, vorgestellt 2004 von dem Architekten des Leipziger Flughafens, Hans-Georg Brunnert. Er schlug vor, die großen Gebäude nur als Terminal zu nutzen und die Passagiere mit einer Schnellbahn nach Schönefeld zu transportieren. Die Tunnel und Trassen dafür wären vorhanden, und die Passagiere würden sich über die Reisezeitverkürzung freuen. Dennoch lehnten die Flughafengesellschaft sowie die Regierungen Berlins und Brandenburgs umgehend ab. Sie gehen nämlich immer noch davon aus, dass Schönefeld der große Umsteigeflughafen wird und nicht nur dem Zielort Berlin dient, dass die Shoppingmeilen durch Wartende zum Gewinnbringer werden. Dass der Umsteigemarkt in Mittel- und Nordeuropa längst zwischen Frankfurt am Main und Kopenhagen aufgeteilt ist, wird in Berlin von allen Seiten systematisch verdrängt.
Bisher hat der Berliner Senat aber auch noch kein Konzept entwickelt, was mit dem Gelände und dem Gebäude geschehen soll. Ganz im Gegenteil, vergab er seit der Wende doch viele Chancen: Das Deutsche Technikmuseum hätte sinnvoll angesiedelt werden können, statt einen verwinkelten Neubau am Landwehrkanal zu erhalten. Der BND wird nun stadtfeindlich in einem alle Maßstäbe sprengenden Neubau an der Chaus-seestraße untergebracht, statt Tempelhof zu nutzen. Der Preußische Kulturbesitz, der für die Staatsbibliothek und möglicherweise auch – falls sich die Mitarbeiter mit ihrer harschen Kritik nicht doch noch durchsetzen – für die Staatlichen Museen ein Zentraldepot plant, will dies im fernen Vorort Friedrichshagen tun. Die Hallen Tempelhofs und die weiten Flächen des Flugfeldes böten nicht die Garantie, auch noch in einem halben Jahrhundert ausgebaut werden zu können, so die krude Argumentation des Stiftungspräsidenten Klaus-Dieter Lehmann. Eher ist es so, dass der Senat diese Garantie nicht übernehmen wollte. Dabei liegt bisher einzig ein Grobplan vor, der eine Randbebauung mit Würfelchen und die Anlage eines »Wiesenmeers« vorsieht – euphemistische Umschreibung für die pflegeleichte Graswüste. Derzeitig droht in Tempelhof also der »Worst Case«. Und damit ist nicht das Ende des Betriebs, sondern die plan- und ziellose Zerschlagung und womöglich wilde Bebauung des Geländes, die »Zerfusselung« des Gebäudes und der Verlust einer einmaligen Chance gemeint.
Der Autor ist Kunstwissenschaftler und Architekt. Er lebt und arbeitet als Architekturkritiker in Berlin.
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